OGH 5Ob71/15z

OGH5Ob71/15z28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Said M*****, vertreten durch Günter Schneider, Mieter‑Interessens‑Gemeinschaft Österreichs, 1100 Wien, Antonsplatz 22, gegen die Antragsgegnerin Dkfm Erika K*****, vertreten durch Mag. Stefan Hajos, Rechtsanwalt in Wien, wegen §§ 16, 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. November 2014, GZ 39 R 339/14p‑12, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 28. August 2014, GZ 5 Msch 13/14p‑6, aufgehoben wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00071.15Z.0428.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die mit 783,79 EUR (darin enthalten 91,63 EUR USt und 234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Antragsteller war seit 1. 4. 2009 Hauptmieter einer Wohnung. Das Mietverhältnis war bis zum 31. 3. 2014 befristet. Aufgrund eines Mietzinsrückstandes für die Monate Dezember 2012 bis Februar 2013 brachte die Antragsgegnerin und Vermieterin am 4. 2. 2013 eine Mietzins‑ und Räumungsklage bei Gericht ein. Darin erklärte sie, den Mietvertrag nach § 1118 ABGB aufzulösen. Die Klage wurde dem Antragsteller am 15. 2. 2013 zugestellt. Dieser gestand im Verfahren den Rückstand für Dezember 2012 bis März 2013 zu und erklärte lediglich, er könne sich die Wohnung nicht mehr leisten. Sonstiges Vorbringen erstattete er nicht. Das klagsstattgebende Urteil vom 4. 4. 2013 wurde ihm am 4. 6. 2013 zugestellt und rechtskräftig. Im Oktober übergab er die Wohnung an die Antragsgegnerin.

Am 12. 11. 2013 brachte der Antragsteller bei der Schlichtungsstelle den Antrag auf Überprüfung des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses ein.

Das Erstgericht wies den Antrag des Hauptmieters als nach § 16 Abs 8 MRG präkludiert ab. Die dreijährige Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit von Hauptmietzinsvereinbarung ende bei befristeten Hauptmietverhältnissen frühestens sechs Monate nach Auflösung des Mietverhältnisses, die bereits mit der Auflösungserklärung der Vermieterin in der Mietzins‑ und Räumungsklage erfolgt sei. Selbst wenn der Mieter im Räumungsverfahren die Auflösungserklärung bestritten hätte, wäre diese nur schwebend unwirksam gewesen und nach dem Erfolg des Vermieters ex tunc wirksam geworden. Sinn der sechsmonatigen Frist sei auch, dem Mieter die Möglichkeit zu geben, die Überprüfung des Mietzinses erst nach Beendigung oder nach Umwandlung in einen unbefristeten Mietvertrag geltend zu machen, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Mieter nicht mehr fürchten müsse, dass aufgrund seines Antrags der Mietvertrag beendet werde. Die Auflösungserklärung eines Vermieters in einer Räumungsklage sei jedenfalls als eine solche Beendigung anzusehen, weil klar erkennbar sei, dass der Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr wolle.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers Folge und hob den Beschluss des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Rechtlich folgerte es, dass die Auflösung des Bestandverhältnisses bereits mit der Zustellung der Mietzins‑ und Räumungsklage, die als Auflösungserklärung zu werten sei, und nicht erst mit der Rechtskraft des stattgebenden Räumungsurteils eingetreten sei. Nach § 33 Abs 2 und 3 MRG könne jedoch der Vermieter noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz die rechtswirksam gewesene Auflösungserklärung durch Nachzahlung des Mietzinsrückstands unter bestimmten Voraussetzungen außer Kraft setzen. Bis dahin bestehe ein Schwebezustand, während dessen Dauer dem Mieter die Geltendmachung aller seiner Rechte aus dem Mietvertrag offenstehe. Dieser den Mieter schützende Aspekt dürfe daher auch bei der Anwendung der Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG nicht außer Acht gelassen werden. Diese Frist solle Beweisprobleme verhindern, die sich bei einer Mietzinsüberprüfung lange nach dem Abschluss der Mietzinsvereinbarung stellten. Bei befristeten Mietverträgen trete dieser Zweck in den Hintergrund. Der Mieter befinde sich während der Dauer des befristeten Mietverhältnisses in einer Drucksituation, weil er auf eine Verlängerung des Mietverhältnisses oder Umwandlung in ein unbefristetes hoffen könne, sodass ein Antrag auf Mietzinsüberprüfung diese Erwartungen zunichte machen könnte. Auch die Einbringung einer Räumungsklage gegen den Mieter lasse diesen nach wie vor schützenswert erscheinen, weil er nicht zu einem mit unnötigem Verfahrensaufwand verbundenen Mietzinsüberprüfungsverfahren gezwungen werden solle. „Auflösung“ im Sinne des § 16 Abs 8 dritter Satz MRG sei daher als „Beendigung“ des befristeten Mietverhältnisses zu verstehen, die entweder mit Zeitablauf oder ‑ wie hier ‑ bereits früher mit Rechtskraft eines Räumungsurteils nach § 1118 ABGB eintrete. Die sechsmonatige Verlängerung der dreijährigen Präklusivfrist sei somit erst ab Rechtskraft des Räumungsurteils am 3. Juli 2013 zu berechnen, weshalb der Antrag auf Mietzinsüberprüfung nicht verfristet sei.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob der mit der „Auflösung“ des Mietverhältnisses in § 16 Abs 8 Satz 3 erster Halbsatz MRG festgelegte Fristbeginn im Falle der Einbringung der Räumungsklage gegen den Mieter mit dem Zugang der Auflösungserklärung oder mit Rechtskraft des Räumungsurteils anzusetzen sei.

Der vom Antragsteller beantwortete Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist aus dem vom Rekursgericht angegebenen Grund zulässig. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 16 Abs 8 Satz 2 MRG muss die Unwirksamkeit einer Hauptmietzinsvereinbarung binnen drei Jahren geltend gemacht werden. Bei befristeten Hauptmietverhältnissen (§ 29 Abs 1 Z 3) endet diese Frist nach § 16 Abs 8 Satz 3 MRG frühestens sechs Monate nach Auflösung des Mietverhältnisses oder nach seiner Umwandlung in ein unbefristetes Mietverhältnis.

2. Diese Verlängerung der Präklusivfrist bei befristeten Mietverhältnissen soll dem Mieter die Möglichkeit bieten, noch nach Mietende einen allfälligen Rückforderungsanspruch wegen Mietzinsüberschreitung gemäß § 37 Abs 1 Z 8 geltend machen zu können: Zu diesem Zeitpunkt steht er nicht mehr unter dem Druck, bei Geltendmachung seiner im MRG normierten Rechte eine Verlängerung des Bestandverhältnisses zu gefährden (ErlRV 555 BlgNR 20. GP  18; 5 Ob 102/04t; THausmann in Hausmann / Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht³, § 16 MRG Rz 80; Schinnagl in Illedits/Reich-Rohrwig , Wohnrecht², § 16 MRG Rz 40).

3. Der Oberste Gerichtshof lehnt diese Fristverlängerung in Fällen einer gesetzlich nicht durchsetzbaren Befristung eines Hauptmietverhältnisses ab (5 Ob 128/99f; 5 Ob 326/98x mwN = wobl 1999/133, 263 [zust Prader ]). Ein nicht durchsetzbarer Endtermin könne auch nicht durch einen Räumungsvergleich bestärkt werden und ebenso sei die Verlängerung eines befristeten Vertrags durch Räumungsvergleich über die jeweilige Höchstdauer hinaus unwirksam (5 Ob 326/98x). Kann ein Vermieter eine gesetzwidrige Befristung ohnehin nicht durchsetzen, befindet sich der Mieter objektiv zu keinem Zeitpunkt in einer Drucksituation, weil der Fortbestand des Mietverhältnisses bei einem in Wahrheit gegebenen unbefristeten Mietverhältnis nicht vom Fortsetzungswillen des Vermieters nach Ablauf der Befristung abhängt (vgl T. Hausmann aaO).

4. Eine auf § 1118 zweiter Fall ABGB gestützte Mietzins‑ und Räumungsklage des Vermieters ist als Erklärung der Auflösung des Mietverhältnisses zu werten (stRsp RIS‑Justiz RS0105354). Das Mietverhältnis wird nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits mit Zustellung dieser Klage aufgelöst (RIS‑Justiz RS0105354 [T5]).

5. Ein Mieter, dessen Mietverhältnis wegen Zahlungsrückständen nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG aufgekündigt oder nach §§ 1118 zweiter Fall ABGB aufgelöst wurde, hat nach § 33 Abs 2 und 3 MRG die Möglichkeit, die Aufkündigung oder Auflösung durch Zahlung des geschuldeten Betrags bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuwenden, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ihn am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft. In diesem Fall wird die Erklärung des Vermieters, den Vertrag aufzuheben, rückwirkend unwirksam (RIS‑Justiz RS0107946). Behauptungs‑ und beweispflichtig für das Fehlen des groben Verschuldens ist der Mieter (RIS‑Justiz RS0069316). Jeder Zweifel geht zu seinen Lasten (RIS‑Justiz RS0069316 [T5]).

6. Im vorliegenden Fall hat der Mieter im Mietzins‑ und Räumungsprozess die Richtigkeit des geltend gemachten Rückstands zugestanden und sich ausschließlich darauf berufen, sich die Wohnung nicht mehr leisten zu können. Diese Behauptung des nicht leistbaren Wohnens kann ein fehlendes grobes Verschulden nicht ausreichend aufzeigen, weil der Mieter auch bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten beweisen muss, dass er diese nicht verschuldet hat (RIS‑Justiz RS0069316 [T8]).

7. Bringt der Mieter im Räumungsprozess zum Ausdruck, dass er den Mietzins weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft zahlen kann und wird, tritt er dem Auflösungsbegehren des Vermieters nicht entgegen. Beide Parteien sind sich daher einig, dass das Mietverhältnis durch die Auflösungserklärung des Vermieters (hier durch die Einbringung der Räumungsklage) beendet wird und eine Fortsetzung des befristeten Mietverhältnisses weder gewünscht noch realistisch ist.

8. Spätestens zum Zeitpunkt seiner Einwendungen in der Verhandlung vom 4. 4. 2013 und der Fällung des stattgebenden Urteils an diesem Tag befand sich der Antragsteller objektiv nicht unter dem Druck, deshalb vorläufig auf einen Antrag auf Überprüfung des Hauptmietzinses verzichten zu müssen, um eine Verlängerung des Bestandverhältnisses nicht zu gefährden.

9. Jedenfalls in den Fällen, in denen der Mieter schon mangels ausreichenden Vorbringens zu den Voraussetzungen des § 33 Abs 2 und 3 MRG die vorzeitige Auflösung eines befristeten Mietverhältnisses wegen Zahlungsrückständen nach § 1118 zweiter Fall ABGB nicht mehr ex tunc beseitigen kann, beginnt die sechsmonatige Verlängerung der dreijährigen Präklusivfrist (§ 16 Abs 8 Satz 3 MRG) mit Zustellung der Räumungsklage. Angesichts der ratio für die Verlängerung der Frist besteht kein Anlass, die zitierte Bestimmung so auszulegen, dass die „Auflösung des Mietverhältnisses“ frühestens mit der Rechtskraft eines dem Räumungsbegehren stattgebenden Urteils eintritt.

10. Aufgrund des festgestellten Zeitablaufs war der Antrag des Antragstellers auf Mietzinsüberprüfung verfristet. Die Entscheidung des Erstgerichts ist somit wiederherzustellen.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 1 Z 17 MRG. Die Vermieterin konnte den Antrag des Mieters zur Gänze abwehren.

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