OGH 1Ob71/15w

OGH1Ob71/15w23.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Leitner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Autohaus H***** GmbH, *****, vertreten durch die Prunbauer Rechtsanwalts GmbH, Wien, wegen 8.194,73 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 2. Dezember 2014, GZ 21 R 298/14t‑46, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 5. August 2014, GZ 16 C 52/13p‑40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 8.194,73 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 12. 2012 binnen 14 Tagen zu zahlen sowie die mit 11.778,52 EUR (darin 1.217,58 EUR USt und 4.473 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte baute über Auftrag der Klägerin in ein dieser gehörendes Kraftfahrzeug einen neuen Motor ein. Etwa 23 Monate nach dem Einbau des Motors und nach ca 65.000 gefahrenen Kilometern trat beim Austauschmotor ein Motorschaden auf, dessen Behebung einen Aufwand in Höhe des Klagebetrags erfordert. Der Motorschaden ist darauf zurückzuführen, dass ein Dichtring der Nockenwelle undicht geworden war, was durch ein „Weiterfressen“ schließlich zur Beschädigung des Kolbens und der Ventile führte. Die Klägerin hatte bei der Beklagten in den vorgesehenen Intervallen von je 30.000 km Services durchführen lassen; auch beim letzten Service [etwa zwei Monate vor dem Motorschaden] hatten die Mitarbeiter der Beklagten keinen Ölverlust bemerkt. Diese weigerte sich trotz Aufforderung, den aufgetretenen Motorschaden unentgeltlich zu beheben.

Die Klägerin begehrte nun Zahlung des Klagebetrags samt 4 % Zinsen seit 18. 12. 2012 und brachte im Wesentlichen vor, der Motor habe die gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, auch nach einer zurückgelegten Strecke von 65.000 km noch zu funktionieren, nicht aufgewiesen und damit schon bei der Übergabe die Mangelhaftigkeit in sich getragen. Die Beklagte habe bei der Übergabe nicht darauf hingewiesen, dass es sich beim Dichtring um einen Verschleißteil handle, der allenfalls bereits nach 10.000 km getauscht werden müsse. Die Klägerin habe zudem in den vorgeschriebenen Intervallen das Service bei der Beklagten durchführen lassen. Das Klagebegehren werde auch auf Schadenersatz gestützt, weil der für den Schaden ursächliche Dichtring bereits früher im Rahmen eines solchen Service hätte gewechselt werden müssen.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, der von ihr eingebaute Motor sei bei der Übergabe nicht fehlerhaft gewesen. Der Mangel müsse seine Ursache in der Fahrzeugbenutzung bzw ‑beanspruchung durch die Klägerin haben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und ging dabei unter anderem von folgenden Feststellungen aus: Der Dichtring sei ein Verschleißteil, dessen Lebensdauer variiere und technisch nicht vorhergesagt werden könne. Zum Zeitpunkt des Einbaus des Austauschmotors und der Übergabe des Fahrzeugs sei der Dichtring nicht „mangelhaft“ gewesen. Es gebe keine Vorgaben des Herstellers, wann der Dichtring der Nockenwelle getauscht werden solle, weshalb auch beim Service ein Wechsel in der Regel nicht durchgeführt würde. Der Hersteller schreibe lediglich den Tausch des Zahnriemens nach 120.000 gefahrenen Kilometern bzw nach fünf Jahren vor. Der Dichtring könne nicht beim Einbau des Motors beschädigt worden sein. Die Schadhaftigkeit nach einer Laufleistung von ca 66.000 km bzw 23 Monaten nach dem Einbau eines fabrikneuen Motors sei „aus technischer Sicht“ als eine „vorzeitige Beschädigung“ anzusehen. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, Gewährleistungsansprüche könnten nur wegen Mängeln erhoben werden, die zum Übergabezeitpunkt ‑ zumindest latent ‑ schon vorhanden gewesen seien. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich aber, dass der Dichtring im Zeitpunkt der Übergabe noch keine Mängel aufgewiesen habe. Aus dem festgestellten Sachverhalt lasse sich auch die rechtswidrige Verursachung des Schadens durch die Beklagte nicht ableiten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Der schadensursächliche Dichtring sei zum Zeitpunkt des Einbaus des Motors bzw der Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin nicht mangelhaft gewesen. Die Auffassung, ein Motor, bei dem ein Verschleißteil zu einem vorzeitigen Motorschaden führen könne, sei per se mangelhaft, treffe somit nicht zu. Die Revision sei zulässig, weil nicht ersichtlich sei, ob die zu 1 Ob 414/97g ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs so ausgelegt werden könnte, dass es zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommen könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist zulässig, weil sich das Berufungsgericht mit der Frage, ob eine gewisse Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit eines Dichtrings, deren Fehlen schließlich zur vollständigen Beschädigung des Motors führt, als gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft einer solchen Sache im Sinne des § 922 Abs 1 ABGB anzusehen sind, nicht auseinandergesetzt hat. Sie ist auch berechtigt.

Zutreffend weist die Revisionswerberin auf einen grundsätzlichen Beurteilungsfehler der Vorinstanzen hin, die die getroffene Tatsachenfeststellung, der Dichtring sei zum Zeitpunkt der Übergabe nicht „mangelhaft“ gewesen, mit der rechtlichen Kategorie der Vertragsmäßigkeit im Sinne des § 922 Abs 1 Satz 1 ABGB gleichgesetzt haben. Wie sich (nicht nur aus den dieser Feststellung zugrundeliegenden Ausführungen des Sachverständigen, sondern auch) aus den Erwägungen in der erstgerichtlichen Beweiswürdigung ergibt, sollte mit der gewählten Formulierung lediglich ausgedrückt werden, dass der Dichtring bei Übergabe noch nicht akut schadhaft gewesen ist, also damals seine Dichtungsfunktion erfüllen konnte. Auch wenn das Erstgericht an sich zutreffend erkannt hat, dass Gewährleistungsansprüche auch dann bestehen können, wenn ein Mangel (im Rechtssinn) zum Übergabezeitpunkt ‑ als „Anlagemangel“ ‑ schon latent vorhanden war (RIS‑Justiz RS0018498), hat es dennoch ohne Weiteres das Vorliegen eines vertragswidrigen Zustands verneint.

Im Verfahren haben sich nun keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Nachlassen der vorgesehenen und notwendigen Wirkung des Dichtrings auf eine Ursache zurückgeführt werden könnte, die der Sphäre der Klägerin zuzuordnen wäre, wie etwa eine mit dem üblichen Gebrauch eines Kraftfahrzeugs unvereinbare Überbeanspruchung oder sonstige Fehlbehandlung; auch die Revisionsgegnerin weist nur noch auf einen gebrauchsbedingten Verschleiß hin. Damit verbleibt allein die Möglichkeit, dass sich die Kurzlebigkeit des Dichtrings aus dessen Konstruktion, dessen Verarbeitung oder dem verwendeten Material ergeben hat.

Dies führt zur rechtlich relevanten ‑ und von der Revisionswerberin aufgezeigten ‑ Frage, ob ein neuer Motor, der nach weniger als zwei Jahren und ca 65.000 Kilometern Laufleistung ‑ und bei regelmäßigem Service ‑ seine Funktionsfähigkeit verliert, im Sinne des § 922 Abs 1 Satz 2 ABGB die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat.

Diese Frage ist entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu verneinen. Es kann nach Auffassung des erkennenden Senats keinem Zweifel unterliegen, dass im Rechtsverkehr allgemein erwartet wird (zur Maßgeblichkeit der Verkehrsauffassung siehe nur RIS‑Justiz RS0114333), dass ein fabriksneuer Kraftfahrzeugmotor, der nicht in exzessiver Weise beansprucht wird, mehr als zwei Jahre funktionstüchtig bleibt und zu diesem Zwecke auch mit Teilen, mögen es auch „Verschleißteile“ sein, ausgestattet ist, deren Qualität eine ausreichende Lebensdauer gewährleistet. In diesem Sinne ist wohl auch die auf den Ausführungen des Sachverständigen beruhende Feststellung zu verstehen, die eingetretene Schadhaftigkeit sei aus technischer Sicht als eine vorzeitige Beschädigung anzusehen. Die gewöhnlich vorausgesetzte Funktionstüchtigkeit bestimmter Teile eines Kraftfahrzeugs während dessen üblicher Lebensdauer ist idR nur dort nicht anzunehmen, wo schon nach allgemeinen Erfahrungswissen eines durchschnittlichen Autobesitzers mit vorzeitigem Verschleiß zu rechnen ist oder wo der Hersteller bestimmte Intervalle vorgibt, in denen die betreffenden Einzelteile ausgetauscht werden sollen. Dass eine solche Vorgabe bei dem hier entscheidenden Motorbestandteil, nämlich dem Dichtring der Nockenwelle, nicht existierte, ist gar nicht strittig. Ein durchschnittlicher Autobesitzer geht ohne Weiteres davon aus, dass derartige Teile nicht unbemerkt so frühzeitig verschleißen, dass es zu einem Weiterfressen bis zu einem gänzlichen Motorschaden kommen könnte, insbesondere wenn die empfohlenen Serviceintervalle eingehalten werden, was von der Revisionsgegnerin, die das Service jeweils selbst durchgeführt hat, auch nicht mehr bestritten wird. Soweit sie sich nunmehr darauf beruft, es entspreche dem Wesen eines Verschleißteils, dass „der Teil verschließen wird“, ist ihr die unbestrittene Prozessbehauptung der Klägerin entgegenzuhalten, dass sie auf die Möglichkeit eines derart raschen Verschleißes nicht hingewiesen worden ist. Mangels eines ausdrücklichen Hinweises muss ein Übernehmer aber keineswegs mit einem Unbrauchbarwerden des Motors innerhalb von 23 Monaten rechnen, sondern kann vielmehr als gewöhnlich voraussetzen, dass der erworbene Motor keine derartigen Verschleißteile aufweist oder dass zu den üblichen Serviceintervallen ein allfälliger Verschleiß rechtzeitig festgestellt werden kann.

Ist ein Kfz‑Motor ‑ entgegen der Verkehrserwartung ‑ aufgrund des Einbaus eines nicht ausreichend haltbaren Dichtrings so konstruiert, dass er in dem hier festgestellten Zeitraum und bei der festgestellten Kilometerleistung unbrauchbar wird, fehlt es somit an einer gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft einer solchen Sache, womit der Übernehmer die gesetzlichen Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Da sich die Beklagte geweigert hat, den von der Klägerin begehrten unentgeltlichen Austausch bzw die Verbesserung der seinerzeit geschuldeten Reparaturmaßnahme vorzunehmen, kann die Klägerin das zur Behebung erforderliche Deckungskapital verlangen, was die Beklagte rechtlich auch gar nicht in Zweifel zieht.

Damit erweist sich das Klagebegehren als berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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