OGH 15Os3/15b

OGH15Os3/15b25.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Romig als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter M***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 10. Oktober 2014, GZ 37 Hv 53/14x‑60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter M***** eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 (A./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er von Anfang 1996 bis Mitte 2000 in B*****

A./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an seiner am 10. Februar 1991 geborenen Stieftochter Ulrike S***** vorgenommen, indem er

1./ in mindestens zehn Angriffen mit seinem Daumen ihre nackte Scheide massierte,

2./ in jeweils einem Fall

a./ mit einer Perlenkette über ihre entblößte Vagina streichelte,

b./ seinen erigierten Penis zwischen ihre Oberschenkel führte,

wobei die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine chronische Persönlichkeitsstörung mit vermindertem Selbstwertgefühl, vermindertem Selbstwirksamkeitserleben und Beziehungsproblemen - verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung - sowie eine Anpassungsstörung zur Folge hatten;

B./ durch die zu A./ genannten Taten wiederholt mit seinem minderjährigen Stiefkind geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts (einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen) mit dem im Urteil festgestellten Sachverhalt und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS-Justiz RS0099810,

RS0117247).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, der Schuldspruch zu A./ und B./ sei „rechtsirrig“ erfolgt, weil das Schöffengericht im Rahmen der Beweiswürdigung das Gutachten der Sachverständigen DDr. W***** über die psychischen Erkrankungen der Ulrike S***** und deren Ursachen in einigen von der Beschwerde zitierten Passagen unvollständig wiedergegeben habe und „die Dinge rechtlich anders liegen“ würden, verfehlt sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

Die Beschwerde zeigt mit dieser Kritik an der Urteilsbegründung auch kein Begründungsdefizit (Z 5) auf, weil das Erstgericht ohne Verstoß gegen Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen dargelegt hat, warum aus seiner Sicht die Missbrauchshandlungen des Angeklagten die Hauptursache der psychischen Erkrankung des Opfers waren (US 17 ff), es - dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht zu einer wörtlichen Zitierung des Inhalts des Sachverständigengutachtens verhalten war, und dessen zusammengefasste - in ihrer Kernaussage entgegen der Rüge jedoch richtige - Wiedergabe keine Aktenwidrigkeit bewirkte (RIS-Justiz RS0106642 [T9], RS0098377 [T1]); Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 467).

Insgesamt bekämpft der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen daher bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen

Schuldberufung.

Soweit die Rüge behauptet, die Schwere der Persönlichkeitsstörung des Opfers sei nur durch das „innerfamiliäre Verhalten, allgemein alles totzuschweigen“, erklärbar, sodass das Erstgericht dem Angeklagten das Fehlverhalten der Kindesmutter zugerechnet habe, orientiert sie sich nicht an den Urteilskonstatierungen, wonach die psychische Störung des Opfers eine „multifaktorielle Genese“ hat, deren Hauptursache die vom Angeklagten gesetzten Missbrauchshandlungen sind, ohne die es nicht zur vorliegenden Persönlichkeitsstörung gekommen wäre (US 9).

Die Verjährung (§ 57 StGB) der Taten reklamierende Rechtsrüge (Z 9 lit b) legt nicht dar, weshalb jener nicht die Hemmung der

(

sowohl nach geltendem Recht als auch nach der zur Tatzeit bestehenden Rechtslage zehnjährigen) Verjährungsfrist nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB entgegensteht (vgl in diesem Zusammenhang die Übergangsbestimmung des Art XIV Abs 2 BGBl I 2009/40, wonach § 58 Abs 3 Z 3 StGB auch auf vor dessen Inkrafttreten [am 16. Juni 2009] begangene Taten anzuwenden ist, sofern die Strafbarkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht erloschen war).

Bleibt anzumerken, dass Anknüpfungspunkt des nach § 61 zweiter Satz StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt ist (RIS-Justiz RS0112939). Dabei ist der Günstigkeitsvergleich im Fall der Realkonkurrenz (vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28-31 Rz 14, 16) für jede Tat gesondert vorzunehmen; im Fall der Idealkonkurrenz (vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28-31 Rz 11, 16) ist der zu beurteilende Lebenssachverhalt entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen

(RIS-Justiz RS0089011 [T3, T4], RS0119085 [T5]).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht zwar richtig eine der von A./ umfassten Taten der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (BGBl I 1998/153) unterstellt, die übrigen Taten wären jedoch - weil das Tatzeitrecht für den Angeklagten aufgrund der gleichbleibenden Strafdrohung in seiner Gesamtauswirkung nicht günstiger war (§ 61 zweiter Satz StGB) - nach § 207 Abs 1 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung zu subsumieren gewesen.

Auf Grund der Idealkonkurrenz zwischen den zu A./ und B./ genannten jeweils korrespondierenden strafbaren Handlungen wäre - im Hinblick auf die Subsumtion einer Tat als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §

207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 - das dieselbe Tat betreffende Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu unterstellen gewesen.

Eine amtswegige Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) dieser Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), die keinen Einfluss auf den Strafrahmen haben und aus denen keine unrichtigen (nachteiligen) Strafzumessungstatsachen (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) resultieren (vgl US 34), war mangels konkreten Nachteils nicht erforderlich (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f). Bei der Entscheidung über die Berufung besteht für das Oberlandesgericht im erwähnten Umfang auch keine Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz (RIS-Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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