OGH 3Ob236/14y

OGH3Ob236/14y18.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Alexander Todor‑Kostic LL.M. und Mag. Silke Todor‑Kostic, Rechtsanwälte in Velden am Wörthersee, gegen die beklagte Partei A***** GmbH in Liquidation, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 17.491.350 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2014, GZ 2 R 95/14a‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00236.14Y.0318.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der Kläger macht einen an ihn abgetretenen Anspruch auf Schadenersatz geltend, der im Vermögen einer in der Schweiz niedergelassenen GmbH eingetreten sein soll. Er begehrt primär den Ersatz des Nichterfüllungsschadens (entgangener Gewinn), der der GmbH entstanden sein soll, weil die beklagte Getränkeherstellerin ‑ trotz verbindlicher Zusage im Rahmen eines sogenannten „Memorandum of Understanding“ (im Weiteren: MoU) und Erfüllung der Bedingung durch die GmbH ‑ ihrer Verpflichtung, mit der GmbH Vertriebsverträge für diverse Absatzmärkte (Länder) abzuschließen, nicht nachgekommen sei, sodass die GmbH das Vertragsverhältnis berechtigt beendet habe. Sekundär verlangt der Kläger den Ersatz des Vertrauensschadens (frustrierte Aufwendungen), weil die GmbH berechtigt auf das Zustandekommen eines Vertriebsvertrags vertraut habe.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung durch das Erstgericht und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es verwarf die Mängel- und Beweisrügen des Klägers und gelangte zur Anwendung materiellen Schweizer Rechts. Danach sei der Verjährungseinwand der Beklagten berechtigt, soweit das Klagebegehren auf culpa in contrahendo gestützt werde. Dem MoU komme kein verpflichtender Inhalt zu, es habe nur dem Zweck gedient, den Rahmen der beabsichtigten Zusammenarbeit abzustecken, indem darin zu berücksichtigende Eckpunkte und Fakten als bloßer Verhandlungsstand festgehalten worden seien, und die Fähigkeit des in Aussicht genommenen Vertriebspartners unter Beweis zu stellen, Bestellungen zu akquirieren und finanzieren zu können. Daraus ergebe sich klar, dass eine vertragliche Bindung erst mit Abschluss der einzelnen Vertriebsverträge beabsichtigt gewesen sei. Daher sei darin auch kein zum Abschluss eines Hauptvertrags verpflichtender Vorvertrag zu erblicken.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung; hilfsweise auf Aufhebung und Zurückverweisung. Er macht zusammengefasst Mängel des Berufungsverfahrens (Überraschung und unvertretbare Verneinung von Mängeln des Ersturteils) und unrichtige rechtliche Beurteilung zum anwendbaren materiellen Recht und zur Verjährung nach Schweizer Recht geltend; nach dem relevanten österreichischen Recht bestehe der Anspruch auf den Nichterfüllungsschaden, zumindestens aber auf den Vertrauensschaden zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Da die Revision keine erheblichen Rechtsfragen aufwirft, ist sie als nicht zulässig zurückzuweisen.

1. Das Berufungsverfahren leidet an keinem Verfahrensmangel:

1.1. Der Kläger konnte von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es sei materielles Schweizer Recht anzuwenden, nicht überrascht sein, weil die Beklagte bereits in der Klagebeantwortung darauf hinwies und ihren Verjährungseinwand darauf stützte. Der Kläger übersah dieses Vorbringen auch nicht, sondern replizierte darauf in seinem folgenden vorbereitenden Schriftsatz. Da das Verbot von Überraschungsentscheidungen auch nicht bedeutet, dass das Gericht seine Rechtsansicht vor der Entscheidung kundtun muss und anderes nur dann gilt, wenn ‑ anders als hier ‑ rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden (RIS‑Justiz RS0122749; vgl RS0122365), bestand Erörterungsbedarf weder für das Erst- noch für das Berufungsgericht. Davon, dass dem Kläger das rechtliche Gehör genommen worden sei, kann keine Rede sein, weil er zu dieser Rechtsfrage bereits in erster Instanz Stellung nehmen konnte, auch tatsächlich Stellung nahm und nicht gehindert war, rechtliche Argumente gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts auch noch in der Revision vorzutragen, wobei er auch diese Möglichkeit ohnehin in Anspruch nahm. Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts könnte überdies nur dann einen Verfahrensmangel darstellen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen ‑ wie hier in der Revision ‑ nur rechtliche Erwägungen angestellt, ohne neue Tatsachen zu behaupten, kann eine relevante Verletzung des § 182a ZPO gar nicht verwirklicht werden (vgl RIS‑Justiz RS0120056 [T13]).

1.2. Die Relevanz der Aussage des vom Erstgericht nicht vernommenen Geschäftsführers der GmbH erblickt der Kläger darin, dass dessen Aussage bei der Ermittlung des Parteiwillens im Sinn der §§ 914 f ABGB wesentlich gewesen wäre. Jenes Vorbringen des Klägers, zu dem dieser Zeuge geführt wurde, enthält aber kein Tatsachensubstrat dazu, dass ein vom objektiven Urkundeninhalt der Beilagen ./M bis ./W abweichender Parteiwille vorgelegen sei. Das Berufungsgericht ist daher aktenkonform davon ausgegangen, dass dieses Vorbringen nur eine rechtliche Würdigung des Inhalts der genannten Urkunden darstellt, also eine rechtliche Beurteilung (RIS‑Justiz RS0017911 [T8]). Ein von einer Partei gestellter Beweisantrag hat die Tatsache, die bewiesen werden soll, also das Beweisthema, im Einzelnen genau zu bezeichnen (RIS‑Justiz RS0039882). Fehlt es einem Beweisantrag an der Bezeichnung eines erheblichen Beweisthemas, so vermag weder das Übergehen dieses Beweisantrags durch das Erstgericht noch die behauptete unzureichende oder rechtlich unhaltbare Behandlung der deshalb erhobenen Mängelrüge durch das Berufungsgericht einen wesentlichen Verfahrensmangel zu verwirklichen, weil dieser Beweis nicht aufzunehmen war (§ 275 Abs 1 ZPO; 3 Ob 230/11m).

1.3. Das für den weiteren Zeugen genannte Beweisthema, die zwischen der GmbH und der Beklagten getroffene Übereinkunft sei über dessen Initiative (gemeint: von der Beklagten) einseitig und grundlos zur Auflösung gebracht worden, wobei aufgrund der Weisung der Muttergesellschaft, das Projekt einzustellen, dem Kläger der Schaden entstanden sei, steht im Widerspruch zum weiteren Vorbringen des Klägers, die GmbH habe durch den Kläger mit Schreiben vom 20. September 2008 die Kündigung des Vertrags erklärt, das unbekämpft Eingang in die Feststellungen gefunden hat. Dass es bis dahin nicht zum Abschluss der in Aussicht genommenen und von der Beklagten zu entwerfenden Verträge kam, ist aber ohnehin unstrittig. Damit fehlt dem genannten Beweisthema die rechtliche Bedeutung, weshalb ein relevanter Mangel sowohl des erst- als auch des berufungsgerichtlichen Verfahrens zu verneinen ist.

2. Das Berufungsgericht gelangte unter Hinweis auf Art 4 Abs 2 EVÜ zur Anwendung materiellen Schweizer Rechts, weil beim von der GmbH und der Beklagten in Aussicht genommenen Vertriebshändlervertrag der Vertragshändler (= die GmbH) Schuldner der charakteristischen Leistung und die GmbH in der Schweiz niedergelassen sei.

2.1. Dem hält der Kläger im Wesentlichen entgegen, angesichts der von der Beklagten als Hersteller zu übernehmenden Pflicht, für die Einhaltung aller rechtlichen Rahmenbedingungen für den Vertrieb der Produkte in den avisierten Absatzländern zu sorgen, demnach auch Marketingmaßnahmen durchzuführen und unterstützend für den Kläger tätig zu sein, lasse sich eine eindeutige charakteristische Vertragsleistung nicht mehr feststellen; nach Art 4 Abs 5 EVÜ komme es daher auf das Recht des Staats an, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweise. Das treffe hier auf Österreich zu, weil von Lieferverträgen die Rede sei und der Vertrag weitgehend in Österreich abzuwickeln sei sowie wegen der Aufgabenteilung und der verwendeten Vertragssprache.

2.2. In der Lehre ist anerkannt, dass der Vertragshändler ‑ der sich typischerweise gegenüber dem Hersteller zum Verkauf dessen Waren und zur Förderung des Produktabsatzes verpflichtet, während der Hersteller die Lieferung der Ware allenfalls unter Einräumung von Gebietsschutz schuldet ‑ Schuldner der charakteristischen Leistung ist, sodass das Recht an seiner Niederlassung zur Anwendung kommt; nur wenn der Hersteller darüber hinaus zur Unterstützung des Vertragshändlers, zu seiner Beratung oder zu allfälligen Investitionen verpflichtet ist oder es zu einer wesentlichen Verschiebung der typischen Pflichten kommt, ist davon abzugehen ( Verschraegen in Rummel ³ Art 4 EVÜ Rz 73; Czernich in Czernich/Heiss Art 4 EVÜ Rz 172 und 176).

2.3. Die vom Kläger hervorgehobene Verpflichtung der Beklagten im in Aussicht genommenen Rahmenvertrag als Hersteller dafür sorgen zu müssen, dass ihre Ware den rechtlichen Rahmenbedingen am geplanten ausländischen Absatzmarkt entspricht, stellt sich nur als Teil der Pflicht zur Lieferung ordnungsgemäßer Ware dar, die den vom Vertragshändler vorgesehenen Vertrieb im Ausland ermöglicht. Darin ist weder eine „Marketingmaßnahme“ der Beklagten zu erblicken noch eine sonstige „unterstützende“ Tätigkeit für die GmbH, sondern nur die Erfüllung der Lieferpflicht des Herstellers. Wenn das Berufungsgericht darin keinen Umstand sah, der die Feststellung einer eindeutigen charakteristischen Leistung hindert und so zur Beurteilung des streitgegenständlichen Sachverhalts nach materiellem Schweizer Recht gelangte, ist darin keinesfalls eine unvertretbare Fehlbeurteilung zu erkennen.

Daran vermag auch der Hinweis des Klägers nichts zu ändern, es sei von Lieferverträgen die Rede, weil Hersteller und Vertragshändler in doppelter Vertragsbeziehung stehen, und zwar zum einen durch den Rahmenvertrag und zum anderen durch die laufend abgeschlossenen Kauf‑(= Liefer‑)verträge, die allerdings kollisionsrechtlich gesondert zu beurteilen sind ( Verschraegen aaO Rz 73; Czernich aaO Rz 171 und 173). Weshalb die hier gewählte schriftliche Vertragssprache Englisch eine Nahebeziehung zu Österreich belegen soll, ist nicht zu erkennen.

3. Daher ist zu den Ausführungen der Revision, die eine rechtliche Beurteilung auf Basis österreichischen materiellen Rechts vornehmen, inhaltlich nicht Stellung zu nehmen. Ebenso entbehrlich ist eine Klärung der Rechtsnatur des von der GmbH und der Beklagten gefassten MoU nach österreichischem Recht.

4. Das Ergebnis der Anwendung des Schweizer Recht wird vom Kläger nur in einem Punkt, nämlich zur Frage der Verjährung von auf culpa in contrahendo gestützten Schadenersatzansprüchen, kritisiert.

4.1. Zu einer Auseinandersetzung mit den übrigen Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zum Schweizer Rechts sieht sich der Oberste Gerichtshof daher nicht veranlasst.

4.2. Nach § 3 IPRG ist fremdes Recht wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden; es kommt in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an (RIS‑Justiz RS0113594; RS0080958). Ist die Praxis im Ursprungsland nicht einhellig oder nicht einmal von einer Meinung deutlich dominiert, so sind subsidiär die herrschende (überwiegende) Lehrmeinung des betreffenden Staats und erst in letzter Linie der Gesetzeswortlaut im Lichte der Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze der betroffenen Rechtsordnung heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0109415).

4.3. Das Schweizer Bundesgericht geht in ständiger, trotz in der Literatur geäußerter Kritik fortgeschriebener Rechtsprechung davon aus, dass sich die Verjährung von Ansprüchen aus culpa in contrahendo nach Art 60 OR richtet und deshalb einer einjährigen Verjährungsfrist ab Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen unterliegt (BGE 134 III 390 vom 13. Mai 2008 mwN).

Da sich das Berufungsgericht somit zutreffend auf diese einhellige Judikatur stützte, geht der Vorwurf des Klägers, es habe das fremde Recht unzureichend ermittelt, ins Leere. Auch damit wird daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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