OGH 11Os1/15d

OGH11Os1/15d10.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Cetin S***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 8. September 2014, GZ 41 Hv 11/13b‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00001.15D.0310.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen (prozessual verfehlten, jedoch bedeutungslosen) Freispruch vom Vorwurf einer ideell konkurrierenden strafbaren Handlung (RIS‑Justiz RS0115553, RS0120128) enthält (zum entbehrlichen Anführen der rechtlichen Kategorie ‑ hier § 202 Abs 1 StGB ‑ vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1), wurde Cetin S***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./1./ und I./2./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in H***** und in der Türkei (vgl dazu 11 Os 76/11b) in den Jahren 2000 bis 2003 in mehreren Angriffen

I./ an der am 29. November 1990 geborenen Michelle A*****, somit an einer im Tatzeitraum unmündigen Person, geschlechtliche Handlungen vorgenommen bzw von dieser an sich vornehmen lassen, indem er

1./ sie an ihren teils bekleideten, teils unbekleideten Brüsten sowie an ihrer teils bekleideten, teils unbekleideten Scheide betastete, und

2./ sich von ihr an seinem nackten Penis betasten ließ;

II./ durch diese Handlungen an der am 29. November 1990 geborenen Michelle A*****, somit an seiner im Tatzeitraum minderjährigen, seiner Aufsicht unterstehenden „Stieftochter“ unter Ausnützung seiner Stellung geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) erachtet die der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Michelle A***** zugrunde liegende Beweiswürdigung als unvollständig, weil das Gericht deren Aussage in der Hauptverhandlung am 25. April 2013, wonach sie „dem Angeklagten gegenüber Hass entwickelt“ hätte (ON 15 S 5: „Haben Sie Cetin S***** mögen?“ „Am Anfang schon, später Hass und Angst“), nicht berücksichtigt hätte. Entgegen diesem Vorbringen bezogen die Tatrichter mögliche Motive für falsche Anschuldigungen der Belastungszeugin ausdrücklich in ihre Erwägungen mit ein (US 9). Inhaltlich richtet sich dieser Teil der Mängelrüge nach Art einer ‑ im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen ‑ Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bloß gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0106268) betrifft das Vorbringen zu einem behaupteten sexuellen Übergriff des Angeklagten auf die Halbschwester des Opfers, weil dieser nicht urteilsgegenständlich ist.

In seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a; nominell auch Z 5) zum Schuldspruch I./2./ und II./ vermisst der Beschwerdeführer „besondere Umstände“, die „hinzutreten müssen, die aber nicht festgestellt wurden, um den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und/oder des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB zu verwirklichen“; damit leitet er jedoch prozessordnungswidrig nicht aus dem Gesetz ab, aus welchem Grund das ein (sexualbezogenes ‑ vgl 12 Os 5/09s) Berühren einschließende Waschen des Penis des (miterziehenden; US 4 f) Lebensgefährten der Mutter durch ein unmündiges Kind (US 6) nicht die in Rede stehenden Tatbestände erfüllen sollte (RIS-Justiz RS0116565; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Weiters bestreitet der Beschwerdeführer (Z 9 lit a; teilweise nominell auch Z 5) im Bezug auf den Schuldspruch I./1./ die Strafbarkeit des Betastens der Brust der im Jahr 2000 erst neun Jahre alten „Stieftochter“, weil ein Mädchen „in der Regel erst ab zehn Jahren pubertiere“ und das Betasten einer nicht entwickelten weiblichen Brust keine geschlechtliche Handlung darstelle. Dabei übergeht er aber die Konstatierungen, wonach er „sexuell tendierte Handlungen der zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörenden Körperpartien ... im Genitalbereich und Brustbereich des Mädchens“ (US 5 f) durchführte, wodurch das Gericht zum Ausdruck brachte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19), dass in Folge Erreichung einer solchen körperlichen Reife der Brustbereich des Mädchens (ohne Rücksicht auf die Ausbildung der Brustdrüsen) der Geschlechtsregion zuzurechnen war, eine zum Sexualleben gehörige Handlung von grob sozial störender Erheblichkeit gesetzt wurde (RIS‑Justiz RS0095113, va 12 Os 46/05i; Phillip in WK2 StGB § 207 Rz 21).

Nicht schuldspruchgegenständlich (vgl zur Verdeutlichung das Referat der entscheidenden Tatsachen; RIS-Justiz RS0116587; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 580; Lendl, WK‑StPO § 281 Rz 8) ist die vom Beschwerdeführer als versuchte Tatbegehung bezeichnete (erstmalige) Aufforderung, den Penis zu waschen, woraufhin die Zeugin Michelle A***** weglief (US 4); auf das diesbezügliche Vorbringen in der Mängelrüge (Z 5) und in der Sanktionsrüge (Z 11) ist daher nicht einzugehen.

Die Sanktionsrüge (Z 11, der Sache nach Z 10), die Strafdrohung des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB habe sich seit dem Zeitraum der Tatbegehung geändert, argumentiert auf Basis einer Passage der Begründung der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, orientiert sich dergestalt nicht wie gesetzlich vorgesehen (RIS‑Justiz RS0099810) am Urteilssachverhalt und entzieht sich insoweit einer inhaltlichen Erwiderung; im Übrigen betreffen diese Teile der Anklageschrift das mangels Annahme von Gewalt nicht schuldspruchgegenständliche Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und sieht § 207 Abs 1 StGB unverändert eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren vor (vgl BGBl I 1974/60 idF 1998/153, 2009/40 und 2013/116).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO anzumerken, dass das Oberlandesgericht den dem Erstgericht unterlaufenen Subsumtionsfehler (§ 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB ‑ mangels Vorliegens der Voraussetzungen der Z 1 richtig nur Z 2) im Rahmen der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten zu berücksichtigen haben wird (RIS-Justiz RS0090885, RS0118870). Im Übrigen ist Z 2 des § 212 Abs 1 StGB materiell subsidiär zu Z 1 leg cit (in diesem Sinn die EBRV zum StRÄG 2004 [BGBl I 2004/15] 294 BlgNR XXII. GP , 24; 11 Os 96/14y; s auch RIS‑Justiz RS0095270).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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