OGH 13Os129/14s

OGH13Os129/14s25.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz Z***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB, AZ 34 Hv 21/14g des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 23. April 2014, AZ 9 Ns 9/14t (ON 77 und ON 79), und andere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer und des Verteidigers des Franz Z*****, Dr. Martin Benning zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00129.14S.0225.000

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 34 Hv 21/14g des Landesgerichts Leoben (vormals AZ 13 Hv 34/14x des Landesgerichts für Strafsachen Graz) verletzen § 36 Abs 3 zweiter Satz StPO:

1./ der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 23. April 2014, AZ 9 Ns 9/14t (ON 77 und ON 79), in der in seiner Begründung vertretenen Rechtsansicht, wonach bei einer Auslandstat mit Erfolgseintritt im Ausland nur eine Auslegung des § 36 Abs 3 zweiter Satz StPO in Betracht kommt, nach welcher „der vor der Betretung (bzw Inhaftierung)“ maßgebliche letzte Wohnsitz oder Aufenthalt des Angeklagten zuständigkeitsbegründend zu tragen kommt;

2./ die Abtretung und Überweisung der Strafsache an das Landesgericht Leoben mit Verfügung des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. April 2014 (ON 1 S 21);

3./ die Anberaumung der Hauptverhandlung mit Verfügung des Einzelrichters des Landesgerichts Leoben vom 30. April 2014 (ON 1 S 23 f) sowie

4./ die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung vom 22. Mai 2014 durch das Landesgericht Leoben (ON 101 und ON 102).

Text

Gründe:

Mit an die Generalprokuratur gerichteter Sachverhaltsdarstellung vom 24. April 2013 erhob die in Ungarn etablierte G***** gegen die österreichischen Staatsbürger Franz und Silvia Z***** den Vorwurf des von Juni 2012 bis Jänner 2013 begangenen Einmietbetrugs in dem von der Anzeigerin in Ungarn betriebenen Hotel „A*****“ mit einem Schaden von 10.258,27 Euro.

Mit Verfügung vom 11. Dezember 2013 trat die Staatsanwaltschaft Eisenstadt, an welche die oben genannte Eingabe aufgrund des (nach dem Anzeigeinhalt) letzten Aufenthalts der beiden Beschuldigten in ***** übermittelt worden war (ON 2), das Verfahren der Staatsanwaltschaft Graz ab. Dies mit der Begründung, dass der Beschuldigte Franz Z***** seinen letzten tatsächlichen Aufenthalt in Österreich in der Justizanstalt Graz‑Jakomini hatte und die Beschuldigte Silvia Z***** ihren letzten Wohnsitz im Sprengel der Staatsanwaltschaft Graz hatte bzw hat (ON 1 S 3).

Nach dem Vollzug der gerichtlich bewilligten Anordnung der Festnahme des Franz Z***** (ON 14) an der zwischenzeitig bekanntgewordenen Adresse seiner Gattin in Zeltweg (ON 12; somit im Sprengel des Landesgerichts Leoben) am 30. Jänner 2014 (ON 15 S 5) verhängte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz am 31. Jänner 2014 die Untersuchungshaft über den Genannten (ON 16 S 7; ON 17).

Hinsichtlich der Mitbeschuldigten Silvia Z***** stellte die Staatsanwaltschaft Graz das Verfahren am 7. Februar 2014 gemäß § 190 Z 2 StPO ein (ON 1 S 7) und erhob unter einem beim Landesgericht für Strafsachen Graz (AZ 7 Hv 13/14i) Anklage gegen Franz Z***** wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (ON 26). Dagegen erhob der Angeklagte Einspruch (ON 37) und auch das Landesgericht für Strafsachen Graz äußerte ‑ unter Hinweis auf den offenkundig letzten Aufenthalt des Angeklagten vor seiner Festnahme im Sprengel des Landesgerichts Leoben ‑ gemäß § 213 Abs 6 StPO Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit (ON 1 S 13 f). Diesbezüglich führte die Oberstaatsanwaltschaft Graz in ihrer Stellungnahme an das Oberlandesgericht Graz aus, dass der Aufenthalt in der „Justizanstalt Graz‑Karlau“ im Zeitpunkt der Anklageeinbringung einen gleichrangigen Anknüpfungstatbestand zum Wohnsitz darstelle (ON 44a).

Nachdem das Oberlandesgericht Graz die Anklageschrift mit Beschluss vom 13. März 2014, AZ 10 Bs 68/14x, 10 Ns 6/14h (ON 48), gemäß § 215 Abs 3 StPO iVm § 212 Z 4 StPO zurückgewiesen und solcherart auch eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nicht mehr vorgenommen hatte (BS 6), brachte die Staatsanwaltschaft Graz am 8. April 2014 beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 13 Hv 34/14x Strafantrag gegen den Genannten wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB ein (ON 54).

Den vom Angeklagten anlässlich einer Beschwerde gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft gestellten, auf die örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz gestützten Antrag auf Überweisung der Strafsache an das Landesgericht Leoben (ON 62 S 5) wies das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 16. April 2014, AZ 10 Bs 126/14a, 10 Ns 10/14x (ON 73), mit der Begründung ab, dass der Einwand der ‑ im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO von Amts wegen zu prüfenden -örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts keinen Delegierungsgrund iSd § 39 Abs 1 StPO darstelle (BS 5 f).

Am 23. April 2014 beraumte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz die Hauptverhandlung für den 7. Mai 2014 an (ON 1 S 19 f).

Mit Beschluss vom 23. April 2014, AZ 9 Ns 9/14t (ON 77 und ON 79), gab das Oberlandesgericht Graz abermaligen ‑ Befangenheit der Richter des Landesgerichts für Strafsachen Graz behauptenden ‑ Begehren des Angeklagten auf Delegierung des Verfahrens an das Landesgericht Leoben nicht Folge. In der Beschlussbegründung wies das Oberlandesgericht zudem darauf hin, dass eine Delegierung die Zuständigkeit jenes Gerichts, dem die Strafsache abgenommen werden solle, voraussetzt. Der die örtliche Zuständigkeit normierende § 36 Abs 3 StPO sei hingegen ‑ entgegen der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Graz (ON 44a) ‑ in der Weise auszulegen, dass „der vor der Betretung (bzw Inhaftierung) des Angeklagten maßgebliche letzte Wohnsitz oder Aufenthalt zuständigkeitsbegründend zu tragen kommt“ (BS 3), weil andernfalls ‑ unabhängig von jenem letzten Wohnsitz oder Aufenthalt ‑ „jede inländische Staatsanwaltschaft“ durch eine Festnahmeanordnung das ihr jeweils zugeordnete sachlich zuständige Gericht für das anschließende Hauptverfahren zuständig machen könnte. Im Hinblick auf die bereits erfolgte Anberaumung einer Hauptverhandlung komme fallbezogen ein Vorgehen nach § 485 Abs 1 Z 1 StPO nicht mehr in Betracht, doch sei bei örtlicher Unzuständigkeit in jeder Phase des einzelrichterlichen Verfahrens mit Abtretung und Überweisung der Sache an das zuständige Landesgericht vorzugehen.

In Entsprechung dieser vom Oberlandesgericht geäußerten Rechtsansicht trat der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz die Strafsache am 28. April 2014 dem Landesgericht Leoben ab und veranlasste die sofortige Überstellung des Angeklagten in die Justizanstalt Leoben (ON 1 S 21; ON 78).

In der vom Einzelrichter des Landesgerichts Leoben am 30. April 2014 zu AZ 34 Hv 21/14g anberaumten (ON 1 S 23 f) Hauptverhandlung vom 22. Mai 2014 begehrte der öffentliche Ankläger die Überweisung der Strafsache an das (aus seiner Sicht örtlich zuständige) Landesgericht für Strafsachen Graz, wogegen sich die Verteidigung aussprach (ON 101 S 4). Diesen Antrag wies der Einzelrichter des Landesgerichts Leoben unter Hinweis auf die Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 23. April 2014, AZ 9 Ns 9/14t, mit der Begründung ab, das Landesgericht Leoben sei örtlich zuständig (ON 101 S 4).

Nach erfolgter Modifikation des Strafantrags (ON 101 S 4) wurde Franz Z***** mit dem ‑ unbekämpft gebliebenen und gekürzt ausgefertigten ‑ Urteil vom selben Tag, GZ 34 Hv 21/14g‑102, antragskonform des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf das zu AZ 13 Hv 175/11b am 17. April 2013 ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 23. April 2014, AZ 9 Ns 9/14t (ON 77 und ON 79), in der in seiner Begründung vertretenen Rechtsansicht, wonach im hier vorliegenden Fall einer Auslandstat mit Erfolgseintritt im Ausland „nur eine Auslegung [des § 36 Abs 3 zweiter Satz StPO] in Betracht kommt, nach der der vor der Betretung (bzw Inhaftierung) maßgebliche letzte Wohnsitz oder Aufenthalt“ des Angeklagten „zuständigkeitsbegründend zu tragen kommt“ (S 3), mit dem Gesetz ebenso wenig in Einklang wie die Abtretung und Überweisung der Strafsache an das (vermeintlich) zuständige Landesgericht Leoben, die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung durch das Landesgericht Leoben, die jeweils in Effektuierung dieser Rechtsmeinung erfolgten.

Die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts im Hauptverfahren bestimmt sich nach der Rangfolge des § 36 Abs 3 StPO, der auf den Zeitpunkt der Einbringung der Anklage (§ 210 Abs 2 StPO) abstellt (Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 6; vgl auch Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 25 Rz 11).

Gemäß § 36 Abs 3 zweiter Satz StPO ist für den Fall, dass der Tatort im Ausland liegt oder nicht festgestellt werden kann, der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen, fehlt es an einem solchen, der Ort, an dem der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, in Ermangelung eines solchen der Ort, an dem er betreten wurde.

Dabei sind die Anknüpfungstatbestände des Wohnsitzes und des Aufenthalts des Angeklagten gleichrangig (Nordmeyer, WK‑StPO § 25 Rz 6; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 25 Rz 11; RIS‑Justiz RS0117219), sodass eine Abtretung vom aufenthaltsbedingt zuständigen Gericht (hier: des Haftorts [vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 25 Rz 6]) an das Gericht, in dessen Sprengel der Angeklagte vor Beginn des Hauptverfahrens seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte, nicht in Betracht kommt.

Da sich der Angeklagte Franz Z***** im Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags am 8. April 2014 in der Justizanstalt Graz‑Jakomini aufhielt (ON 79 S 1), war somit das Landesgericht für Strafsachen Graz für die Verhandlung und Urteilsfällung örtlich zuständig.

Die gegenteilige, vom Oberlandesgericht Graz vertretene und von den ihm unterstellten Landesgerichten für Strafsachen Graz und Leoben weiter umgesetzte Rechtsmeinung führte zwar zu einer Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B‑VG), bewirkte aber fallbezogen ‑ mit Blick auf den Standpunkt des durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten, der (mehrfach) die Delegierung an das Landesgericht Leoben beantragte, sich gegen die (Rück‑)Überweisung der Strafsache an das Landesgericht für Strafsachen Graz aussprach (ON 101 S 4) und in der Hauptverhandlung einen Rechtsmittelverzicht abgab (ON 101 S 20) ‑ keinen konkreten Nachteil (RIS‑Justiz RS0053573). Demnach hat es mit der Feststellung der Gesetzesverletzungen sein Bewenden.

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