OGH 9ObA141/14x

OGH9ObA141/14x29.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Wirleitner Oberlindober Niedermayr Gursch, Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagte Partei D***** R*****, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Zustimmung zur Entlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 2014, GZ 11 Ra 65/14d‑27, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00141.14X.0129.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Seit der Neufassung des § 480 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009 ist ein Antrag auf Abhaltung einer Berufungsverhandlung nicht mehr vorgesehen. Das Berufungsgericht entscheidet vielmehr im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens, ob eine mündliche Verhandlung ‑ etwa aufgrund der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache ‑ notwendig ist (RIS‑Justiz RS0126298, RS0127242). Ist eine abschließende Sacherledigung ‑ wie hier ‑ ohne eine Berufungsverhandlung möglich, ist es nach § 480 Abs 1 ZPO kein Verfahrensmangel, die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigen (RIS‑Justiz RS0125957; zuletzt 4 Ob 114/14i). Wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung auf widersprüchliche Feststellungen des Erstgerichts stützt oder bei seiner rechtlichen Beurteilung vom festgestellten Sachverhalt abweicht ‑ so der Vorwurf in der Revision ‑, kann dies vom Rechtsmittelwerber mit einer Rechtsrüge an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Die Regelung des § 480 Abs 1 ZPO verstößt nicht gegen Art 6 EMRK (RIS‑Justiz RS0126298). Auch ein Verstoß gegen die vom Revisionswerber erwähnten unionsrechtlichen Vorschriften, die sich auf Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen beziehen, ist nicht erkennbar (vgl auch 6 Ob 193/12v).

2. Ob der Entlassungstatbestand der Untreue im Dienst gemäß § 122 Abs 1 Z 3 erster Fall ArbVG verwirklicht ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0029420 ua), denen in der Regel keine darüber hinausgehende erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt, sofern keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt. Von einer solchen kann hier keine Rede sein; die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist vertretbar. Danach liegt hier ein erheblicher Verstoß des beklagten Betriebsratsmitglieds gegen die dienstlichen Interessen der auf Zustimmung zur Entlassung klagenden Arbeitgeberin vor, der den Entlassungstatbestand der Untreue im Dienst nach § 122 Abs 1 Z 3 erster Fall ArbVG erfüllt (vgl RIS‑Justiz RS0051356; vgl RS0106954). Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Beklagte in zahlreichen Fällen bewusst unrichtig Zeiten als Betriebsratsstunden verzeichnet, die keine waren. Insbesondere die festgestellten, im Anschluss an die Betriebsratssitzungen in einem naheliegenden Gasthaus stattgefundenen „Nachbesprechungen“ waren privater Natur. Der Beklagte handelte vorsätzlich pflicht- und treuwidrig, indem er seine Arbeitszeit auf Grundlage der unrichtigen Verzeichnung von Betriebsratsstunden abrechnete und die Dienstgeberin dadurch zu einer für sie schädigenden Vermögensverfügung (nämlich der Bezahlung von Arbeitsentgelt) verleitete. Er wollte die Dienstgeberin damit über die abzurechnenden und entgeltsbegründenen Betriebsratsstunden täuschen.

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers stellt die Qualifizierung bestimmter Zusammenkünfte als private Treffen keine Rechtsfrage dar, die von den Vorinstanzen unrichtig gelöst wurde. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, welche konkreten Angelegenheiten bei den „Nachbesprechungen“ besprochen wurden, um eine Tatfrage. Die Bekämpfung der Beweiswürdigung ist im Revisionsverfahren nicht möglich (RIS‑Justiz RS0043371).

Richtig ist, dass allein das Mitglied des Betriebsrats darüber entscheidet, wieviel Freizeit es für seine (gesetzmäßige) Betriebsratstätigkeit aufwendet (9 ObA 155/92). Im Fall einer von einem Betriebsratsmitglied zu Unrecht in Anspruch genommenen Freizeit ist nicht schon automatisch eine zur Entlassung berechtigende Untreue des Betriebsratsmitglied zu sehen (9 ObA 80/95). Der Beklagte lässt aber bei seinen Überlegungen außer Betracht, dass er die Klägerin durch die bewusst unrichtige Verzeichnung von Betriebsratsstunden täuschen wollte (vgl Mosler in ZellKomm² § 116 ArbVG Rz 9 unter Hinweis auf 9 ObA 80/95). Ob die Vor- und „Nachbesprechungen“ der Betriebsratssitzungen außerhalb des Betriebs der Klägerin stattfinden durften, ist hier daher nicht relevant. Nur weil bei den zu privaten Zwecken stattgefundenen „Nachbesprechungen“ fallweise nebenbei auch über betriebliche Belange gesprochen wurde, können die privaten „Nachbesprechungen“ nicht als zur Erfüllung der Obliegenheiten des Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 116 ArbVG angesehen werden. Die Frage, ob auch fraktionelle Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen einen Freistellungsanspruch im Sinne des § 116 ArbVG begründen, ist wegen der festgestellten vorsätzlichen Täuschungshandlungen des Beklagten nicht von Relevanz.

Die Ansicht des Beklagten, die Klägerin müsse sich die dem Betriebsratsvorsitzenden übertragene Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen „zurechnen“ lassen, kann an seinem eigenen Pflichtverstoß nichts ändern. Genauso wenig ist es relevant, dass die von der Klägerin zugestandene Maximalanzahl der vom Beklagten verzeichenbaren Überstunden nicht ausgeschöpft wurde, weil dies den Beklagten nicht berechtigen kann, Zeiträume als Betriebsratstätigkeit zu verzeichnen, die keine sind. Auf eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Betriebsrats-mitgliedern kann sich der Beklagte schon deshalb nicht erfolgreich berufen, weil nicht fest steht und der Beklagte auch gar nicht behauptet hat, dass auch andere Betriebsratsmitglieder bewusst unrichtig Betriebsratsstunden verzeichnet haben.

Das Berufungsgericht hat auch die ‑ ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängige (RIS‑Justiz RS0103201) ‑ Frage, ob das Fehlverhalten des Beklagten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet ist, das Vertrauen der Dienstgeberin soweit zu erschüttern, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, vertretbar gelöst. Es ging davon aus, dass die massive Treuepflichtverletzung des Beklagten durch die wiederholt vorsätzlich begangenen Täuschungshandlungen das Vertrauen des Dienstgebers nachhaltig zu zerstören vermochte. Bei dieser Beurteilung kann es nicht darauf ankommen, ob ‑ nach Meinung des Beklagten ‑ „das persönliche Verhältnis zu einem als Großunternehmen agierenden Arbeitgeber weiter entfernt ist, als das persönliche Interesse des nicht freigestellten Betriebsratsmitglieds am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses“.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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