OGH 8Ob123/14t

OGH8Ob123/14t19.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) DI Dr. P* B*, und 2) G* P*, beide vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1) E* L*, 2) H* L*, ebendort, beide vertreten durch Dr. Günter Folk, Rechtsanwalt in Graz, 3) Verlassenschaft nach M* L*, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, und 4) U* L*, vertreten durch Dr. Günter Folk, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der erst-, zweit- und viertbeklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2014, GZ 7 R 59/14v‑44, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:E109720

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beweiswürdigung der Vorinstanzen kann vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr angefochten werden (RIS‑Justiz RS0043371). Der Oberste Gerichtshof ist an die von den Tatsacheninstanzen ermittelte Sachverhaltsgrundlage gebunden.

Soweit die Beklagten in der außerordentlichen Revision ausführen, das unleidliche Verhalten des Erstbeklagten, das die Beklagten nicht mehr bestreiten, sei durch das Verhalten der Kläger provoziert worden, weichen sie unzulässigerweise von den getroffenen Tatsachenfeststellungen ab. Das Erstgericht hat festgestellt, dass sich der Erstbeklagte gegenüber den Klägern ohne erkennbaren Anlass aggressiv verhält und diese mit derben Worten grob beleidigt. Aufgrund von solchen Beleidigungen wurde er auch schon strafgerichtlich verurteilt. Obwohl die Kläger nach den Feststellungen mit dem Abhandenkommen von Gegenständen der Beklagten nichts zu tun hatten, bezichtigte sie der Erstbeklagte auch des Diebstahls. Nach der Zustellung der zugrunde liegenden Aufkündigung setzte der Erstbeklagte das inkriminierte Verhalten fort. Zudem verkeilte er die Eingangstüre zum Haus und tauschte das Türschloss aus, sodass die Kläger das Haus nicht mehr betreten konnten. Provokationen der Beklagten durch die Kläger in Bezug auf die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Kündigungsgründe konnte das Erstgericht ausdrücklich nicht feststellen. Aufgrund ihrer Sanierungspläne führen die Kläger lediglich kleinere Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten nicht oder nur zögerlich durch.

2. Die Ansicht der Beklagten, die Kläger hätten aufgrund des Abschlusses eines Vergleichs in einem bereits früher geführten Aufkündigungsverfahren, in dem ebenfalls der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens geltend gemacht wurde, für alle Zukunft auf diesen Kündigungsgrund verzichtet, ist unhaltbar.

Bei Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Dies gilt insbesondere für sogenannte Dauertatbestände, bei denen sich das inkriminierte Verhalten in zeitlichen Abständen wiederholt (vgl RIS‑Justiz RS0014420). Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch bei unleidlichem Verhalten ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung eines bereits verwirklichten Kündigungsgrundes nicht ausgeschlossen ist. Ein solcher Verzicht gilt aber nicht für zukünftiges vertragswidriges Verhalten (vgl 3 Ob 87/10f).

3.1 Schließlich zeigen die Beklagten auch mit ihrem Argument, den Klägern sei die Fortsetzung des Bestandverhältnisses zumutbar, keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des geordneten gegenseitigen Verhältnisses zwischen Mieter und Vermieter voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RIS‑Justiz RS0070303; RS0067678). Grundsätzlich ist auf das Gesamtverhalten des Mieters Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0067519). Der Frage, ob ein konkretes Verhalten als unleidlich zu qualifizieren ist, kommt nur bei einer groben Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0042984).

3.2 Mit der Beurteilung, das Fehlverhalten des Erstbeklagten gegenüber den Klägern sei derart inakzeptabel, dass es aufgrund der konkreten Umstände des Anlassfalls die Kündigung rechtfertige, haben die Vorinstanzen den ihnen eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Auch in Bezug auf die Zukunftsprognose des Verhaltens des Erstbeklagten liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor. Eine Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung könnte nur dann Einfluss auf deren Schicksal haben, wenn der Schluss zulässig wäre, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RIS‑Justiz RS0070340). Eine solche positive Verhaltensänderung liegt beim Erstbeklagten gerade nicht vor.

Insgesamt ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Erstbeklagte mit seinem Verhalten die Grenzen des Zumutbaren für ein ungestörtes Miteinander zwischen den Mietern und den Vermietern überschritten habe, ohne Weiteres vertretbar.

4. Weitere Gründe machen die Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision nicht geltend. Insbesondere bestreiten sie nicht, dass ein von einem Mieter verwirklichter Kündigungsgrund auch gegen die anderen Mitmieter wirkt (RIS‑Justiz RS0067607; RS0067033).

5. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage war die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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