OGH 9ObA145/14k

OGH9ObA145/14k18.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und ADir Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Johann‑Böhm‑Platz 1, 1020 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner Österreichischer Genossenschaftsverband als Fachverband der Kreditgenossenschaften nach dem System Schulze‑Delitzsch, 1013 Wien, Löwelstraße 14, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 2 ASGG, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00145.14K.1218.000

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für Angestellte der gewerblichen Kreditgenossenschaften Österreichs erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten, die im Ausmaß von weniger als 80% der Normalarbeitszeit beschäftigt sind, das Recht haben, die Kinderzulage im Fall des Vorliegens der in § 8 „Sozialzulage“ Abs 2 „Kinderzulage“ 1. und 2. Satz des Kollektivvertrags angeführten Voraussetzungen nicht lediglich laut dem 3. Satz des § 8 „Sozialzulage“ Abs 2 „Kinderzulage“ des Kollektivvertrags nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt in der in § 8 „Sozialzulage“ Abs 2 „Kinderzulage“ 1. Satz des Kollektivvertrags vorgesehenen Höhe, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaften erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten, die weniger als 80 % der Normalarbeitszeit beschäftigt sind, das Recht haben, die Kinderzulage im Fall des Vorliegens der im Kollektivvertrag angeführten Voraussetzungen nicht lediglich nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt. Er bringt dazu zusammengefasst vor, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten im Zusammenhang mit der Berechnung und Auszahlung der Kinderzulage insbesondere auch vor dem Hintergrund des Art 4 der EU‑Richtlinie über Teilzeitarbeit (gemeint: § 4 der zwischen den europäischen Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit vom 6. 6. 1997, die mit der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 durchgeführt wird) diskriminiert würden.

Der Antragsgegner bestritt in seiner Stellungnahme die Rechtsansicht des Antragstellers und führte aus, dass es sich bei der fraglichen Kinderzulage um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs handle. Bei Teilzeitbeschäftigung sei der Entgeltanspruch aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung geringer als bei Vollzeitbeschäftigung. Außerdem sei die Aliquotierung von Zulagen bei Teilzeitbeschäftigten aufgrund der geringeren Arbeitsleistung sachlich gerechtfertigt. Auch sei der finanzielle Aufwand für die Organisation der Kinderbetreuung bei Vollzeitbeschäftigten höher als bei Teilzeitbeschäftigten.

Das ebenfalls gemäß § 54 Abs 2 ASGG geführte Verfahren zu 8 ObA 20/12t betraf eine vergleichbare Fragestellung zu § 22 (iVm § 21 Abs 2) des Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 13. 9. 2012 zu 8 ObA 20/12t dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Da die Beantwortung dieser Fragen auch für den hier zu entscheidenden Feststellungsantrag maßgeblich war, hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 24. 9. 2012 (noch unter 9 ObA 37/12z) auch dieses Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union

unterbrochen (RIS‑Justiz RS0110583 ua).

Nunmehr liegt die Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union vom 5. 11. 2014 zu C-476/12 vor und war das Verfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Sache erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Es handelt sich hier um Rechtsfragen des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung sind. Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS‑Justiz RS0051126). Die allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG sind daher gegeben.

2. Zur inhaltlichen Beurteilung des Antrags kann auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 25. 11. 2014 zu 8 ObA 76/14f verwiesen werden, in der ausgeführt wurde wie folgt:

2. Die vom Geltungsbereich des zugrunde liegenden Kollektivvertrags erfassten Angestellten erhalten gestützt auf § 22 leg cit bei Vorliegen der Voraussetzungen eine „Kinderzulage“ ausbezahlt. Teilzeitbeschäftigte Angestellte erhalten die Kinderzulage nicht im vollen Ausmaß, sondern lediglich aliquotiert im Verhältnis des Ausmaßes ihrer Arbeitszeit. Die Aliquotierungsregelung des § 22 Abs 4 iVm § 21 Abs 2 leg cit knüpft die Minderung des Anspruchs von Teilzeitbeschäftigten auf die Kinderzulage somit an das Ausmaß der Arbeitszeit. Damit normiert der Kollektivvertrag die Maßgeblichkeit des Pro‑rata-temporis‑Grundsatzes im Sinn des § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG in der durch die Richtlinie 98/23/EG geänderten Fassung.

3.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG , ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?

3.2 Mit seinem Urteil vom 5. November 2014 zu C‑476/12, ÖGB, antwortete der Europäische Gerichtshof auf diese Frage wie folgt:

Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt.

In der Begründung führte der Europäische Gerichtshof aus, dass die Kinderzulage nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004 /EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sei, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprechen würden. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt, weshalb sie sich nach den zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses richte. Sei der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, so sei die Berechnung der Kinderzulage ‑ so wie beim Ruhegehalt und beim Jahresurlaub ‑ nach den Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz sachlich gerechtfertigt und angemessen.

3.3 Nach der im Anlassfall eingeholten Vorabentscheidung erachtet der Europäische Gerichtshof die Anwendung des Pro‑rata‑temporis‑Grundsatzes somit auf sämtliche vom Arbeitgeber bezahlten Entgeltbestandteile (im weiteren Sinn) als gerechtfertigt. Auf die (allenfalls sozialpolitische) Zweckbestimmung und die Rechtsnatur der Entgeltleistung kommt es nicht an. Der Begriff des „Entgelts“ umfasst alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beschäftigung dem Arbeitnehmer gewährt. In der Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit erblickt der Europäische Gerichtshof ein objektives Kriterium, das eine proportionale Kürzung aller Entgeltansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt.

3.4 Nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Antragsteller hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen.

4. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierungsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.“

3. Dies ist auch hier maßgeblich. Es war daher auch im vorliegenden Verfahren der Feststellungsantrag abzuweisen.

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