European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00212.14V.1218.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Anlässlich ihrer Scheidung trafen die Eltern die mit Beschluss vom 28. Februar 2008 pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung, dass die Obsorge für den mittlerweile 11‑jährigen Minderjährigen beiden zukommt und der Minderjährige hauptsächlich im Haushalt des Vaters betreut wird.
Über Antrag der Mutter vom 25. Februar 2014 entschieden die Vorinstanzen übereinstimmend, dass der Minderjährige ab nun überwiegend im Haushalt der Mutter zu betreuen ist.
In seinem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Vater geltend, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob ‑ anders als nach früherer Rechtslage ‑ ein Wechsel des überwiegenden Aufenthalts auch ohne ‑ hier nicht feststehende ‑ Gefährdung des Kindeswohls möglich sei.
Rechtliche Beurteilung
Damit zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 180 Abs 3 ABGB idF desKindschafts- und Namensrechts‑Änderungsgesetzes 2013 (KindNamRÄG 2013 BGBl I 2013/15) auch anzuwenden ist, wenn die Eltern ‑ wie hier ‑ nach ihrer Trennung vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013 die Obsorge beider und die hauptsächliche Betreuung bei einem Elternteil vereinbarten (6 Ob 41/13t EvBl 2013/37 [Rohrer, Gottschamel] = EF‑Z 2013/106 [Beck]; vgl auch RIS‑Justiz RS0128809).
2. Wenngleich nicht ausdrücklich angeführt, gilt § 180 Abs 3 ABGB ‑ dem Zweck der Regelung entsprechend ‑ auch für den Fall, wonach zwar die vereinbarte Obsorge beider Elternteile aufrecht erhalten werden soll, aber über den Antrag der Mutter zu entscheiden ist, die eine hauptsächliche Betreuung des Minderjährigen in ihrem Haushalt anstrebt.
3. Eine derartige, grundsätzlich am Kindeswohl zu orientierende Bestimmung des Aufenthaltsorts (6 Ob 41/13t) setzt daher (bloß) eine „wesentliche Änderung der Verhältnisse“ voraus, nicht aber eine Gefährdung des Kindeswohls iSd § 181 ABGB.
4. Der im Revisionsrekurs zitierten Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 ist durch die Neuregelung der Boden entzogen: Unter welchen Voraussetzungen ‑ ohne Gefährdung des Kindeswohls ‑ die Obsorge und damit einhergehend auch der hauptsächliche Aufenthaltsort neu geregelt werden kann, ist im KindNamRÄG ausdrücklich normiert worden: Gemäß § 180 Abs 3 ABGB kann jeder Elternteil bei einer maßgeblichen Änderung der Verhältnisse eine Neuregelung beantragen (Hopf in KBB4 §§ 181 bis 182 Rz 2).
5. Dem Revisionsrekurswerber ist darin beizupflichten, dass eine Neuregelung iSd § 180 Abs 3 ABGB nach dem klaren Wortlaut nur bei einer wesentlichen („maßgeblichen“) Änderung der Verhältnisse angeordnet werden kann. Nach wie vor ist dem Grundsatz der Erziehungskontinuität Bedeutung beizumessen. Eine Änderung des hauptsächlichen Aufenthaltsorts des Kindes muss daher, um eine Neuregelung zu begründen, bei Beurteilung des Kindeswohls in einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung einer Zukunftsprognose so gewichtig sein, dass das Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (Hopf in KBB4 § 180 Rz 15 mwN).
6. Ob bei einer derartigen Gesamtschau die Änderung der Verhältnisse so wesentlich ist, dass ein Aufenthaltswechsel des Minderjährigen zu befürworten ist, ist eine typischerweise nach den Umständen des Einzelfalls zu lösende Frage. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers ist die Beurteilung des Rekursgerichts jedenfalls vertretbar:
6.1 Der Wechsel des Haushalts der hauptsächlichen Betreuung entspricht nicht bloß einem kurzfristig geäußerten Wunsch des Minderjährigen. Vielmehr ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen, dass der Minderjährige diesen Aufenthaltswechsel ganz eindeutig befürwortet.
6.2 Die Erziehungs‑ und Betreuungsfähigkeit der Mutter kann durch einzelne, im Revisionsrekurs hervorgehobene Umstände nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden: Das Erstgericht gelangte aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Mutter und aufgrund der Ergebnisse der Erhebungen der Familiengerichtshilfe zum Ergebnis, dass der Minderjährige bei der Mutter gut betreut wird und dass die Mutter im Gegensatz zum Vater Kontakten des Minderjährigen zum anderen Elternteil positiv gegenübersteht.
6.3 Letztlich spricht nach den konkreten Umständen des Einzelfalls der Umstand der Erziehungskontinuität nicht gegen einen Wechsel des hauptsächlichen Betreuungsorts: Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für die Kontinuität der Erziehung nicht nur die (hauptsächliche) Pflegeperson zu beachten, sondern auch die räumliche Umgebung und das soziale Umfeld (3 Ob 115/14d mwN). Nach den Feststellungen lebten die Eltern nach ihrer Trennung zunächst in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander. Dadurch wurden dem Minderjährigen nicht nur die Kontakte zu seiner Mutter, sondern auch zu seinem älteren Bruder, der seit der Trennung der Eltern bei der Mutter seinen hauptsächlichen Aufenthaltsort hat, erleichtert. Nach Umzug des Vaters in einen anderen Ort könnte der Minderjährige im Haushalt der Mutter seine gewöhnliche räumliche Umgebung und sein soziales Umfeld beibehalten.
7. Der Revisionsrekurs des Vaters ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
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