European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00148.14A.1218.000
Spruch:
Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für die Angestellten der österreichischen Landes‑Hypothekenbanken erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten das Recht haben, die Kinderzulage im Fall des Vorliegens der in § 10 („Familien- und Kinderzulage“) lit b („Kinderzulage“) des Kollektivvertrags angeführten Voraussetzungen nicht lediglich nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt in der in § 46 („Gehaltsschema“) Abs 5 lit c („Kinderzulage“) des Kollektivvertrags vorgesehenen Höhe, wird abgewiesen.
Text
Begründung
Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS‑Justiz RS0051126). Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 ArbVG.
Nach dem hier zugrunde liegenden Kollektivvertrag für die Angestellten der österreichischen Landes‑Hypothekenbanken werden Familien- und Kinderzulagen als Sozialzulagen gewährt. Die Sozialzulagen gelangen vierzehnmal im Jahr zur Auszahlung. Die Höhe der Sozialzulagen wird im Gehaltsschema Neu geregelt. Kinderzulagen erhalten Dienstnehmer für jedes Kind, für das sie die gesetzliche Familienbeihilfe erhalten.
Der Antragsteller begehrte die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage des materiellen Rechts sei für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf den Anspruch von teilzeitbeschäftigten Angestellten auf Auszahlung der ungekürzten, also nicht aliquotierten Kinderzulage nach § 10 lit b des Kollektivvertrags. Durch die Aliquotierung der Kinderzulage würden die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Dies verstoße gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitssatz, gegen das in § 19d Abs 6 AZG und in Art 4 der EU‑Richtlinie über Teilzeitarbeit (gemeint: § 4 der zwischen den europäischen Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit vom 6. 6. 1997, die mit der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 durchgeführt wird) verankerte Diskriminierungsverbot. Angesprochen sei ferner das Diskriminierungsverbot nach § 3 Z 2 und § 11 GlBG. Sachliche Gründe für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten bestünden nicht. Der Zweck der Kinderzulage bestehe in der Erleichterung der Lasten aus dem Familienstand bzw aus der Kindererziehung. Diese Lasten seien für Teilzeitbeschäftigte ebenso hoch wie für Vollzeitbeschäftigte. Die Kinderzulage hänge nicht mit dem zeitlichen Ausmaß der Tätigkeit zusammen. Die aliquotierte Auszahlung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung treffe gerade Frauen, weil diese die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen würden. Den Teilzeitbeschäftigten könne das Recht auf ungekürzte Auszahlung der Kinderzulage jedenfalls nicht schon nicht mit dem Hinweis auf den Kollektivvertrag verwehrt werden, weil der Kollektivvertrag eine gekürzte Auszahlung der Kinderzulage aliquotiert nach Maßgabe der Teilzeitbeschäftigung gar nicht vorsehe.
Der Antragsgegner bestritt die Rechtsansicht des Antragstellers und beantragte die Abweisung des Antrags. Der Kollektivvertrag für die Angestellten der österreichischen Landes‑Hypothekenbanken enthalte zwar keine ausdrückliche Aliquotierungsregel. Sowohl eine systematische als auch teleologische und historische Auslegung des Kollektivvertrags lasse aber keinen Zweifel darüber offen, dass der Kollektivvertrag die Kinderzulage den Teilzeitbeschäftigten nur aliquot entsprechend ihrem Beschäftigungsausmaß gewähre. Bei der Kinderzulage handle es sich um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs. Aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung liege bereits in der geringeren Arbeitsleistung des Teilzeitbeschäftigten die sachliche Rechtfertigung für die geringere Entgeltleistung. Zudem sei der Organisations- und Finanzierungsaufwand für die Kinderbetreuung beim Teilzeitbeschäftigten gerade wegen der Teilzeitbeschäftigung geringer als beim Vollzeitbeschäftigten, weil sie ihm die eigene Kinderbetreuung ermögliche. Auch der EuGH judiziere zur Teilzeit das Pro-rata-temporis-Prinzip. Ein Aliquotierungsverbot würde auch zu sozial‑ und beschäftigungspolitisch unerwünschten Effekten (uU Überschreiten der für den Kinderbetreuungsgeldbezug maßgeblichen Zuverdienstgrenze oder Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze) führen.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden. Diese allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag sind im Anlassfall gegeben.
2. Unstrittig werden den teilzeitbeschäftigten Dienstnehmern im Geltungsbereich des Kollektivvertrags für die Angestellten der österreichischen Landes‑Hypothekenbanken Kinderzulagen nur aliquotiert ausbezahlt. Unstrittig ist auch, dass sich zur Aliquotierung selbst keine konkrete Regelung im gegenständlichen Kollektivvertrag befindet. Sichtlich geht aber auch der Antragsteller davon aus, dass auf die hier betroffenen teilzeitbeschäftigten Dienstnehmer auch noch andere einschlägige Regelungen über die Arbeitszeitverkürzung und eine entsprechende Anpassung des Entgelts Anwendung finden, würden sich doch sonst seine umfangreichen Ausführungen zur unionsrechtlichen Diskriminierung und zur verfassungswidrigen Ungleichbehandlung und sich wohl letztlich jeder Streit zwischen den Parteien erübrigen, wenn sich jeder teilzeitbeschäftigte Dienstnehmer ohnehin auf eine positive Norm stützen könnte, wonach er die Kinderzulage ungekürzt zu bekommen hat.
3. Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof in einem die gleiche Frage betreffenden Parallelverfahren (8 ObA 20/12t) dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG , ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?“
4. Aufgrund dieses Vorabentscheidungsersuchens hat der erkennende Senat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 24. 9. 2012, 9 ObA 40/12s, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unterbrochen.
5. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 5. November 2014, C‑476/12, ÖGB/Verband Österreichischer Banken und Bankiers, geantwortet:
„Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt.“
Die Kinderzulage sei nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004 /EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprächen. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt. Sie richte sich deshalb nach den zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Auch sei bereits entschieden worden, dass das Unionsrecht im Fall einer Teilzeitbeschäftigung einer Berechnung nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz weder für das Ruhegehalt noch für den bezahlten Jahresurlaub entgegenstehe. In diesen Rechtssachen habe die Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit ein objektives Kriterium dargestellt, das eine proportionale Kürzung der Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt habe.
6. Aufgrund dieser Entscheidung wies der Oberste Gerichtshof den im Parallelverfahren gestellten Antrag mit Beschluss vom 25. 11. 2014 ab (8 ObA 76/14f). Er hielt fest, dass sich der Antragsteller nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen kann. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro‑rata-temporis‑Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierung aufgrund des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.
7. Der Feststellungsantrag ist daher auch im vorliegenden Fall abzuweisen.
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