OGH 4Ob141/14k

OGH4Ob141/14k16.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S***** Gesellschaft m.b.H. & Co. KG., *****, vertreten durch Dr. Erwin Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Antragsgegner Tourismusverband *****, vertreten durch Dr. Inge Margreiter, Rechtsanwältin in Brixlegg, wegen Neufestsetzung der Vergütung gemäß § 42 des TirTourismG iVm § 74 TirStraßenG (Streitinteresse 200.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 18. Juni 2014, GZ 2 R 83/14v‑16, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 15. April 2014, GZ 60 Nc 95/12p‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Bescheid des Amts der Tiroler Landesregierung vom 7. 8. 2012 wurde festgestellt, dass die Notwendigkeit der Enteignung von im Eigentum der Gemeinde R***** stehenden Grundstücken gegeben sei, erklärt, dass diese Grundflächen zu Gunsten der *****‑Sportanlagen ***** Gesellschaft m.b.H. (in der Folge: Sportanlagen GmbH) dauerhaft lastenfrei enteignet seien und ausgesprochen, dass alle im Privatrecht begründeten dinglichen und obligatorischen Rechte an diesen Grundstücken erlöschen würden. Hinsichtlich der Entschädigung wurde festgestellt, dass auf die Festsetzung bzw Leistung einer solchen zwischen der Gemeinde R***** und der Sportanlagen GmbH einvernehmlich verzichtet worden und ein Vermögensnachteil für die Nebenberechtigte (Antragstellerin dieses Verfahrens) nicht erkennbar sei, zumal die gegenständlichen Grundparzellen zur Erfüllung des Pachtzwecks nicht genutzt werden könnten. Die Kosten der grundbücherlichen Durchführung wurden der Sportanlagen GmbH auferlegt, welcher die eingelösten Grundparzellen ab Rechtskraft des Enteignungsbescheids zu überlassen waren.

Die Antragstellerin begehrt unter Berufung auf § 42 TirTourismG iVm § 74 TirStraßenG, die ihr vom Tourismusverband ***** (Antragsgegner) zu leistende angemessene Vergütung gerichtlich mit 200.000 EUR festzusetzen. Sie sei Inhaberin von Liftanlagen und Pächterin von Grundflächen der Gemeinde R*****, wobei sich die Pisten teilweise auf nunmehr enteigneten Grundflächen der Gemeinde befänden. Der Sportanlagen GmbH sei die baurechtliche Genehmigung für die Errichtung von zwei Sprungschanzen samt Nebenanlagen auf einer Teilfläche des gepachteten Grundstücks erteilt worden. Diese Bauten seien auch errichtet worden. Die Antragstellerin habe sich gerichtlich gegen die rechtswidrige Errichtung der Schanzenanlage zur Wehr gesetzt; in der Folge sei ein Feststellungsbescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung ergangen, wonach die Errichtung der Sprungschanzeninfrastruktur auf dem Grundstück im öffentlichen Interesse gelegen sei und die Voraussetzungen für die Einleitung eines Enteignungsverfahrens vorlägen. In weiterer Folge sei der einleitend genannte Bescheid ergangen. Diese Enteignung bringe erhebliche Vermögensnachteile für die Antragstellerin mit sich, sie habe die Schipiste ‑ darunter auch die in Anspruch genommene Pachtfläche ‑ regelmäßig zur Durchführung von Trainingsläufen oder Schirennen genutzt. Eine solche Nutzung sei nur mehr sehr eingeschränkt möglich. Außerdem bestünden Pläne für die Errichtung einer neuen Liftanlage, welche durch die nunmehrige Enteignung vereitelt seien. Enteigner im Sinne des § 42 Abs 1 TirTourismG sei der Tourismusverband; dass die Enteignung vom Tourismusverband zu Gunsten der Sportanlagen GmbH beantragt worden sei, sei nicht relevant. Als Nebenberechtigte im Sinne des § 64 Abs 3 TirStraßenG sei sie antragslegitimiert.

Der Antragsgegner wendete seine mangelnde Passivlegitimation ein. Aufgrund der sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen des TirStraßenG sei als Enteigner die Sportanlagen GmbH anzusehen, sodass der entsprechende Vergütungsanspruch gegen diese Gesellschaft zu richten gewesen wäre. Dem Antragsgegner komme verfahrensrechtlich lediglich die Antragslegitimation auf Durchführung einer Enteignung zu. Die von der Antragstellerin geltend gemachte Vergütung sei im Übrigen weit überhöht.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Antragstellerin als Nebenberechtigte im Sinne des § 64 Abs 3 TirStraßenG (iVm § 42 Abs 1 TirTourismG) auf Grund der mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 7. 8. 2012 ausgesprochenen Enteignung keine Vergütung zustehe. Die Antragstellerin sei aufgrund des bestehenden Pachtverhältnisses mit der Gemeinde R***** Nebenberechtigte im Sinne des § 64 Abs 3 TirStraßenG. Nach § 74 Abs 1 TirStraßenG (iVm § 42 Abs 1 TirTourismG) könnten die Nebenberechtigten, sofern nicht ein Übereinkommen nach § 69 bzw nach § 73 Abs 3 TirStraßenG abgeschlossen worden sei (was hier nicht der Fall sei), innerhalb von 3 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheids, mit dem die Vergütung festgesetzt worden sei, die Neufestsetzung beim Landesgericht Innsbruck beantragen. Mit der Anrufung des Erstgerichts sei der Bescheid hinsichtlich des Ausspruchs über die Vergütung außer Kraft getreten (§ 72 Abs 2 TirStraßenG). Gemäß § 65 Abs 1 TirStraßenG hätten Nebenberechtigte gegen den Enteigner Anspruch auf Vergütung für den durch die Enteignung bewirkten Rechtsverlust oder für die durch die Enteignung bewirkte Rechtseinschränkung und für alle anderen unmittelbar durch die Enteignung verursachten Vermögensnachteile. Entscheidend für die Passivlegitimation im vorliegenden Verfahren sei die Klärung der aus § 42 TirTourismG iVm § 65 Abs 1 TirStraßenG resultierenden Frage, wer „Enteigner“ sei, weil der Vergütungsanspruch nur diesem gegenüber bestehe. Die betroffenen Grundflächen seien im Wege der Enteignung in das Eigentum des Betreibers der konkreten Tourismusanlage, der Sportanlagen GmbH, übertragen worden, diese Gesellschaft sei sohin jener Rechtsträger, zu dessen Gunsten enteignet worden sei. Aus dem sinngemäßen Verweis auf § 64 Abs 1 TirStraßenG sei abzuleiten, dass das Pendant zum Straßenverwalter im Anwendungsbereich des § 42 TirTourismG der Eigentümer der genannten infrastrukturellen Anlagen sei. Der Vergütungsantrag hätte sohin gegenüber der Sportanlagen GmbH geltend gemacht werden müssen. Damit sei auszusprechen, dass dem Nebenberechtigten keine Vergütung zustehe.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass festgestellt wurde, der Antragstellerin stehe gegenüber dem Antragsgegner keine Vergütung zu. Der Sportanlagen GmbH komme die Stellung eines Enteigners nach § 67 TirStraßenG idF LGBl Nr 101/2006 zu. Bei sinngemäßer Anwendung dieses Gesetzes auf die Enteignung bei Errichtung infrastruktureller Anlagen sei der Enteigner der „Verwalter“ der infrastrukturellen Anlage, zu deren Gunsten enteignet werde. Das sei hier die Sportanlagen GmbH und nicht der Antragsgegner. Dies entspreche auch dem Zweck der Enteignungsentschädigung, einen Ausgleich zwischen der Position des Enteigneten und jener des Begünstigten herzustellen. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ob nach dem TirTourismusG 2006 dem Tourismusverband lediglich die Antragslegitimation oder darüber hinaus auch die Position des Enteigners zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Abweisungsgrund der mangelnden Passivlegitimation aufzutragen. Dem Gesetz lasse sich nicht klar und eindeutig entnehmen, dass derjenige Enteigner sei, zu dessen Gunsten die Enteignung vorgenommen werde, sohin die Sportanlagen GmbH. Vielmehr sei der Tourismusverband als alleiniger Antragsteller Enteigner. Dieser sei auch das Pendant zum Straßenverwalter gemäß § 64 Abs 1 des TirStraßenG, zumal er wie dieser Partei des Enteignungsverfahrens sei. Zu wessen Gunsten enteignet worden sei, sei ohne Relevanz. Im Übrigen lasse sich bereits aus § 42 Abs 1 TirTourismG ableiten, dass im vorliegenden Fall der Antragsgegner Enteigner im Sinn dieser Gesetzesbestimmung und demnach hier passivlegitimiert sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Anträge auf Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung ergibt sich aus der in § 74 Tiroler Straßengesetz (TirStraßenG) angeordneten Kompetenz. Gemäß § 74 Abs 4 leg cit ist auf das gerichtliche Verfahren zur Festsetzung der Vergütung bzw des Rückerstattungsbetrags das Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG) sinngemäß anzuwenden. Nach § 83 Abs 3 TirStraßenG idF LGBl Nr. 22/2013 ist § 74 des TirStraßenG idF LGBl Nr 101/2006 auf Anträge auf Neufestsetzung der Vergütung bzw des Rückerstattungsbetrags weiter anzuwenden, die vor dem 1. Jänner 2014 gestellt werden oder sich auf Bescheide beziehen, deren Rechtskraft vor dem 1. Jänner 2014 eingetreten ist.

2. Nach § 42 Abs 1 Tiroler Tourismusgesetz 2006 (TirTourismG) können zur Errichtung und Benützung von infrastrukturellen Anlagen, die für den Tourismus von besonderer Bedeutung sind, wie Schiabfahrten, Loipen, Übungsgelände für Schischulen, Sportplätze, Badeanlagen und Wege (Spazier‑, Rad‑, Mountainbike‑, Wanderwege), und zur Schaffung von geeigneten Zugängen zu solchen Anlagen auf Antrag eines Tourismusverbands Benützungsrechte durch Enteignung eingeräumt werden. § 42 Abs 4 sieht vor, dass „im Übrigen für die Entscheidung und Rückübereignung die Bestimmungen des 12. Abschnittes des Tiroler Straßengesetzes, LGBl Nr 13/1989, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind“. Dies ist der Abschnitt über die Enteignung (§§ 61 ‑ 74 TirStraßenG).

3. Es ist somit ‑ entgegen den Ausführungen der Revisionsrekurswerberin ‑ nicht zutreffend, dass sich bereits aus § 42 Abs 1 TirTourismG ableiten lässt, dass der Tourismusverband (Antragsgegner) Enteigner im Sinn dieser Gesetzesbestimmung sei.

Auch die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum TirTourismG 1991 (Zu Z 35 und 36 ([§§ 40 bis 44]) sowie jene zum TirTourismG 2006 (Zum II. Teil [Einräumung und Aufhebung von Benützungsrechten]) geben diesbezüglich keinen Aufschluss. Die erstgenannten besagen bloß:

Die Vorschriften über die Einräumung von Benützungsrechten durch Enteignung beschränken sich im Wesentlichen auf die Normierung der zulässigen und präziser gefassten Enteignungszwecke. Die übrigen Bestimmungen werden im Interesse der Einheitlichkeit der Landesrechtsordnung aufgehoben und es werden die Vorschriften des neuen TirStraßenG … singemäß für anwendbar erklärt;

und die zweitgenannten sagen zur Frage der Enteignungen nur aus, dass die Regelungen über die Einräumung und Aufhebung von Benützungsrechten im Wesentlichen aus dem TirTourismG 1991 übernommen werden.

4. Das Rekursgericht hat daher zur Lösung der Rechtsfrage der Passivlegitimation des Antragsgegners zutreffend auf den „im Übrigen anwendbaren 12. Abschnitt des TirStraßenG“ zurückgegriffen.

5. Nach § 64 TirStraßenG ist Enteigner der Straßenverwalter der Straße, zu deren Gunsten enteignet wird; Enteigneter ist der Eigentümer des von der Enteignung betroffenen Grundstücks und Nebenberechtigter ist derjenige, dem an einem Grundstück, das durch die Einräumung des Eigentums enteignet wird, eine Dienstbarkeit, eine Reallast oder ein anderes im Privatrecht begründetes dingliches oder obligatorisches Recht, das zum Gebrauch oder zur Nutzung des Grundstücks berechtigt, zusteht, sofern dieses Recht nach § 71 Abs 4 TirStraßenG erlischt.

6. § 2 Abs 7 TirStraßenG definiert den Straßenverwalter als jenen, dem als Träger von Privatrechten der Bau, die Erhaltung und die Verwaltung einer Straße obliegen. Nach den EB (siehe Gstöttner , Tiroler Straßengesetz Anm zu § 2) ist er auch jener, der für allfällige Ausgleichsansprüche aus den bei Bauarbeiten an der Straße erfolgenden Immissionen haftet.

Nach Gstöttner (aaO, Anm zu § 64) lehnen sich die Legaldefinitionen des TirStraßenG an jene des Vorarlberger Straßengesetzes an, wonach Enteigner derjenige sei, zu dessen Gunsten enteignet wird.

7. Auch nach dem EisbEG (§§ 4 ff) ist die Enteignungsentschädigung von jenem Rechtsträger zu leisten, zu dessen Gunsten enteignet wird (vom Eisenbahnunternehmen). Gemäß § 2 Abs 1 EisbEG wird die Enteignung insoweit vorgenommen, als es die Herstellung und der Betrieb der Eisenbahn notwendig machen.

8. Im vorliegenden Fall wurde die Enteignung ‑ wie dem entsprechenden Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung zu entnehmen ist ‑ zugunsten der Sportanlagen GmbH vorgenommen. Die enteignete Gemeinde hat dieser gegenüber auf die Leistung einer Entschädigung verzichtet.

9. Maßgeblicher Zweck der Enteignungsent-schädigung ist der Ausgleich der Vermögensdifferenz, die der Enteignete durch das ihm abverlangte Sonderopfer erleidet (8 Ob 84/13f). Ein derartiger Ausgleich kann ‑ wie das Rekursgericht zutreffend erkannte ‑ nur im Verhältnis zwischen demjenigen, dessen Rechtsposition durch die Enteignung verschlechtert wurde (hier die Antragstellerin als Nebenberechtigte im Enteignungsverfahren) und demjenigen, zu dessen Gunsten die Enteignung vorgenommen wurde (hier die Sportanlagen GmbH), stattfinden.

10. In diesem Sinn hat auch der VwGH zu 92/04/0069 ausgeführt, dass durch die zwangsweise Einräumung von Benützungsrechten gemäß § 43 TirTourismusG 1991 durch behördliche Anordnung zwischen dem Enteigneten und dem durch die Enteignung Begünstigten ein Rechtsverhältnis geschaffen werde, das durch die nach der Art der eingeräumten Benützungsrechte in Betracht kommenden bürgerlich-rechtlichen Vorschriften bestimmt werde.

11. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich zusammenfassend, dass die Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs 1 TirTourismusG dem Tourismusverband nicht die Position des Enteigners vermittelt, zu dessen Gunsten enteignet wird und der für die Zahlung der Enteignungsentschädigung haftet. Wenn auch dem TirTourismG selbst die (Rechts‑)Person des Passivlegitimierten hinsichtlich der Enteignungsentschädigung nicht eindeutig zu entnehmen ist, so ergibt sich doch aus dem ‑ oben und auch bereits von den Vorinstanzen ‑ aufgezeigten Zusammenspiel der zitierten landes‑ und bundesgesetzlichen Normen jedenfalls die fehlende Passivlegitimation des belangten Tourismusverbands.

Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.

12. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 74 Abs 4 TirStraßenG idF LGBl Nr 101/2006 iVm § 44 Abs 1 EisbEG.

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