OGH 15Os129/14f

OGH15Os129/14f3.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafvollzugssache des Herbert G*****, AZ 42 BE 183/09k des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2012, GZ 42 BE 183/09k‑166, und des Oberlandesgerichts Linz vom 31. August 2012, AZ 10 Bs 224/12f (ON 185 des BE‑Akts) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, und des Verteidigers Dr. Graupner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00129.14F.1203.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. September 1997, AZ 40 Vr 1477/97, Hv 11/97, wurde Herbert G***** zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nachdem eine dem Genannten gewährte bedingte Entlassung aus der mit Freiheitsentziehung verbundenen vobeugenden Maßnahme (infolge einer neuerlichen Verurteilung) widerrufen und die Unterbringung weiter vollzogen worden war, wurde Herbert G***** mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 30. Juli 2009, GZ 19 BE 35/07t‑72, am 6. August 2009 unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit, Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen für die Dauer der Probezeit abermals (gemäß § 47 Abs 2 StGB) aus der Maßnahme bedingt entlassen.

Während der Probezeit wurden die bestehenden Weisungen durch das Landesgericht Salzburg als Vollzugsgericht (§ 179 Abs 1 StVG) wiederholt geändert (ON 17 in ON 81, ON 100, ON 148 und ON 157), wobei die mit Beschluss vom 25. August 2010 (ON 100) erteilten Weisungen („1./ Verbot des Alkoholkonsums, 2./ Regelmäßige Psychotherapie in der forensischen Ambulanz [FORAM] ‑ Ausweitung auf vier Stunden pro Monat, 3./ Wöchentliche ETG-Kontrolle [Alkoholharnkontrolle] in der Drogenambulanz der CDK, 4./ Vierteljährlicher schriftlicher Nachweis der Einhaltung der Weisungen“) in weiterer Folge (lediglich) in Bezug auf das Intervall zur Überprüfung der Alkoholkarenz am 10. Oktober 2011 (ON 148) auf monatliche und am 30. Jänner 2012 (ON 157) auf zweiwöchige Laborkontrollen angepasst wurden.

Der bedingt Entlassene, der seinen Wohnsitz im September 2010 von Salzburg nach Deutschland verlegt hatte (ON 104, 107, 110 und 114), befolgte die Weisungen nur teilweise und unregelmäßig, zumindest am 8. Juni 2011 wurden ihm vor Gericht sämtliche Weisungen in Erinnerung gerufen und deren Einhaltung mündlich eingemahnt (ON 133). Aus Anlass einer Meldung der Forensischen Ambulanz Salzburg vom 6. Februar 2012 (ON 158), wonach Herbert G***** bereits drei Termine zur Psychotherapie unentschuldigt nicht wahrgenommen habe, wurde ihm mit Note des Landesgerichts Salzburg vom 9. Februar 2012 die Möglichkeit eingeräumt, sich binnen 14 Tagen zur geplanten Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung zu äußern (ON 159). Dieses mit internationalem Rückschein abgefertigte Schriftstück langte am 7. März 2012 mit dem Vermerk der Deutschen Post „Nicht abgeholt“ wieder beim Landesgericht Salzburg ein (ON 162). Zwischenzeitig hatte die Staatsanwaltschaft am 14. Februar 2012 (offensichtlich im Hinblick auf den Therapieabbruchbericht ON 158) den Widerruf der bedingten Entlassung beantragt (ON 159).

Mit Beschluss vom 18. April 2012 (ON 166) widerrief das Landesgericht Salzburg die bedingte Entlassung des Herbert G***** aus der vorbeugenden Maßnahme. Das Gericht stützte die Annahme der Voraussetzungen für den Widerruf auf die mutwillige Missachtung der Weisungen „trotz mehrmaliger förmlicher Mahnungen“ (am 21. September 2010 „in Bezug auf Alkoholtherapie und Laborbefunde [ON 106] und am 1. Oktober 2010 in Bezug auf die Psychotherapie [ON 108]“), eine „erneute förmliche Mahnung (in Bezug auf sämtliche Weisungen) am 8. Juni 2011 (ON 133)“, die zur Folge gehabt habe, dass Herbert G***** die Psychotherapie zunächst wieder aufgenommen habe, der Weisung zur Durchführung von Alkoholharnkontrollen und zur Vorlage von Nachweisen darüber jedoch nur einmal nachgekommen sei, und auf den Bericht der Forensischen Ambulanz Salzburg vom 6. Februar 2012 (ON 158), wonach der Verurteilte (zwischen 9. Dezember 2011 und 3. Februar 2012) drei Termine zur Psychotherapie unentschuldigt nicht wahrgenommen habe (ON 166 S 4 f).

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Herbert G***** (ON 176 f) gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 31. August 2012, AZ 10 Bs 224/12f (ON 185), nicht Folge. Das Beschwerdegericht führte darin (soweit hier von Relevanz) aus, dass der Widerruf „nach förmlicher Mahnung des Herbert A***** G***** (ON 159, internationaler Rückschein bei ON 159 […])“ erfolgt sei.

In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur aus:

Die Beschlüsse des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2012, GZ 42 BE 183/09k‑166, und des Oberlandesgerichts Linz vom 31. August 2012, AZ 10 Bs 224/12f (ON 185), stehen aus nachstehenden Erwägungen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Nach § 54 Abs 1 StGB ist die bedingte Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter den im § 53 StGB genannten Voraussetzungen zu widerrufen, wenn sich aus den dort genannten Umständen ergibt, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch besteht.

Ein solcher Widerruf der bedingten Entlassung wegen ‑ wie im Anlassfall ‑ mutwilliger Nichtbefolgung erteilter Weisungen setzt nach § 53 Abs 2 StGB eine an den Verurteilten gerichtete förmliche Mahnung voraus (RIS‑Justiz RS0092779), die ‑ soweit sie schriftlich erfolgt ‑ dem Verurteilten (ohne besonderen Zustellnachweis; vgl § 83 Abs 1 StPO) auch zuzustellen ist (RIS‑Justiz RS0092819 [T3]). Ist die förmliche Mahnung ‑ etwa wegen unbekannten Aufenthalts des Verurteilten ‑ nicht möglich, kommt ein Widerruf nicht in Betracht (vgl Jerabek in WK2 StGB § 53 Rz 10).

Im Übrigen hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung gemäß § 180 Abs 2 erster Satz StVG stets in die Akten über das Strafverfahren Einsicht zu nehmen und „womöglich“ den Entlassenen sowie (soweit ein solcher bestellt worden ist) den Bewährungshelfer zu hören.

Die im gegenständlichen Widerrufsbeschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2012 festgestellten „mehrmaligen förmlichen Mahnungen“, zuletzt „am 8. Juni 2011 (ON 133)“ (BS 4), betrafen Weisungen, die in weiterer Folge mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 inhaltlich abgeändert (ON 148) und am 30. Jänner 2012 nochmals ‑ unwesentlich ‑ angepasst wurden (ON 157). Konstatierungen über eine förmliche Mahnung bezogen auf die „Therapieabbruchmeldung“ vom 6. Februar 2012 (ON 158) hat das Vollzugsgericht indes nicht getroffen. Da ein allfälliger Widerruf der bedingten Entlassung infolge eines weiteren Weisungsbruchs nach Änderung und zwischenzeitiger ‑ zumindest teilweiser ‑ Befolgung der (geänderten) Weisungen (vgl ON 151, 153, 154 und 156) stets einer neuen förmlichen Mahnung (bezogen auf die aktuellen Weisungen) bedarf, ist der in Rede stehende Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2012 (ON 166) in Ansehung der Widerrufsvoraussetzung einer förmlichen Mahnung mit einem Rechtsfehler mangels Feststellungen behaftet.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine Stellungnahme des Herbert G***** zum Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Entlassung vom 14. Februar 2012 (ON 159) nach der Aktenlage schon deshalb nicht möglich war, weil ihm die Therapieabbruchmeldung ON 158 mit der Aufforderung, sich binnen 14 Tagen über den drohenden Widerruf der bedingten Entlassung zu äußern, bereits mit Note vom 9. Februar 2012 zugestellt werden sollte (ON 159). Diese Note ist dem Verurteilten im Übrigen ‑ wie sich dem Akt unschwer entnehmen lässt ‑ auch nicht zugegangen, weil sich der bei ON 159 angeheftete internationale Rückschein betreffend die Zustellung durch eigenhändige Übernahme am 10. Februar 2012 auf die Sendung „Nr. RQ176984188AT“, somit offenkundig auf den am 31. Jänner 2012 (mit dem Aufgabeschein „RQ176984188AT“) abgefertigten Beschluss auf Abänderung der Weisung vom 30. Jänner 2012 (ON 157) bezieht. Die am 10. Februar 2012 (mit Aufgabeschein „RQ176997663AT“) abgefertigte Note vom 9. Februar 2012 (ON 159) ist hingegen am 7. März 2012 mit dem Vermerk „Nicht abgeholt“ wieder beim Landesgericht Salzburg eingelangt (ON 162).

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2012 auf Widerruf der bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme (ON 166) verletzt demnach ‑ aufgrund nicht festgestellter (und nach der Aktenlage auch nicht erfolgter bzw nicht zugestellter) förmlicher Mahnung in Ansehung des den Widerruf bewirkenden Therapieabbruchs ‑ das Gesetz in den §§ 54 Abs 1 iVm 53 Abs 2 erster Satz erster Fall StGB.

2./ Das Oberlandesgericht Linz stellt im Beschluss vom 31. August 2012 (ON 185) fest, der mit Beschwerde angefochtene Widerruf der bedingten Entlassung durch das Landesgericht Salzburg sei „nach förmlicher Mahnung des Herbert G*****“ erfolgt, und begründet dies mit dem Hinweis (in Klammer) auf „ON 159, internationaler Rückschein bei ON 159“ (ON 185 S 2).

Da sich die insoweit konkludente Annahme des Beschwerdegerichts, die Note ON 159 mit förmlicher Mahnung sei Herbert G***** rechtswirksam zugestellt worden, aus dem dort angehefteten internationalen Rückschein indes nicht schlüssig ergibt (siehe oben), ist sie ‑ und damit auch die als erwiesen angenommene förmliche Mahnung bezogen auf den erneuten Abbruch der Psychotherapie (ON 185 S 2 f) ‑ unzureichend begründet (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) und demnach ebenfalls rechtsfehlerhaft (RIS‑Justiz RS0118317; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 444).

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der auf die mutwillige Nichtbefolgung einer Weisung gestützte Widerruf (hier:) der bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme (§ 54 Abs 1 iVm § 53 Abs 2 StGB) setzt eine dem (abermaligen) Weisungsbruch vorangegangene förmliche Mahnung voraus (RIS-Justiz RS0092796). Dabei ist dem Rechtsbrecher in förmlicher Weise (schriftlich oder mündlich) die erteilte Weisung nachdrücklich in Erinnerung zu rufen und deren Befolgung einzumahnen, wobei es keines Hinweises auf die Folgen ihrer (weiteren) Nichtbefolgung bedarf (RIS-Justiz RS0092806; Jerabek in WK2 StGB § 53 Rz 10).

Wurden dem bedingt Entlassenen mehrere Weisungen erteilt, so kann bereits die mutwillige Nichtbefolgung einer einzigen Weisung zum Gegenstand einer Entscheidung über den Widerruf gemacht werden, sofern (gerade) ihre Einhaltung förmlich eingemahnt und ihr (dennoch) nicht im gerichtlich festgelegten Umfang entsprochen wurde.

Hat das Gericht eine bereits erteilte Weisung während ihres Geltungszeitraums (§ 50 Abs 3 erster Satz StGB) geändert (§ 51 Abs 4 StGB), ohne das ihr zu Grunde liegende Ge- oder Verbot wesentlich zu verändern (wie dies etwa bei der Anpassung von Behandlungs- oder Kontrollintervallen der Fall ist), und kommt der Rechtsbrecher der Weisung weder unter den bis dahin geltenden noch unter den geänderten Bedingungen nach, so erfüllt - dem dargestellten Zweck des § 53 Abs 2 erster Fall StGB entsprechend - bereits eine zur ursprünglichen Weisung erteilte förmliche Mahnung die normierte Widerrufsvoraussetzung.

Im vorliegenden Fall stützt die Generalprokuratur die Behauptung, der Beschluss des Landesgerichts Salzburg sei mit einem Rechtsfehler behaftet, ausschließlich auf das Fehlen von „Konstatierungen über eine förmliche Mahnung bezogen auf die 'Therapieabbruchmeldung' vom 6. Februar 2012 (ON 158)“. Da das Vollzugsgericht das Vorliegen der Widerrufsvoraussetzung des § 53 Abs 2 erster Fall (iVm § 54 Abs 1) StGB jedoch aus dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhaltssubstrat, nämlich der zumindest seit September 2010 („mit Ausnahme eines einzigen ETG-Tests vom 16. Jänner 2012 [ON 156]“) währenden Nichteinhaltung der Kontrollen zur Überprüfung der Alkoholkarenz trotz (zweier) förmlicher Mahnungen (vgl ON 166 S 4 f), die ihre Bedeutung nicht dadurch verloren, dass die zunächst wöchentlichen Kontrollintervalle auf monatliche und danach auf zweiwöchige geändert wurden, formal mängelfrei abgeleitet hat, liegt die relevierte Gesetzesverletzung (im Sinn einer gesetzwidrigen Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat [vgl dazu RIS-Justiz RS0126648]) nicht vor.

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz richtet, releviert sie ausschließlich einen formalen Begründungsmangel in Bezug auf die Annahme des Vorliegens einer förmlichen Mahnung mit Note vom 9. Februar 2012 (ON 159). Weil dem Beschluss des Oberlandesgerichts jedoch die Konstatierung zugrunde liegt, dass der bedingt Entlassene schon vor dem (erneuten) Therapieabbruch förmlich gemahnt wurde (vgl ON 185 S 3), bezieht sich der geltend gemachte Begründungsmangel auf keine entscheidende Tatsache.

Die relevierten Rechtsfehler (vgl RIS-Justiz RS0122467, RS0120219; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 40) lagen somit nicht vor, sodass die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen war.

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