OGH 10Ob68/14v

OGH10Ob68/14v25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen A*****, geboren am *****, wohnhaft bei der Mutter E*****, wegen Obsorge, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter, vertreten durch Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 11. September 2014, GZ 16 R 272/14k‑183, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 23. Juni 2014, GZ 2 Ps 22/14w‑170 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00068.14V.1125.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren werden als nichtig aufgehoben. Der Antrag des Vaters der Minderjährigen, ihm vorläufig die Obsorge für die Minderjährige zu überantworten wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die derzeit 13‑jährige A***** ist das uneheliche Kind der Revisionsrekurswerberin und des Mag. A***** K*****. Mit der Obsorge für A***** ist allein die Mutter betraut. Sowohl die Minderjährige als auch ihre beiden Eltern sind laut der Aktenlage österreichische Staatsbürger.

Beim Erstgericht war ein Verfahren zur Regelung des Kontaktrechts des Vaters zu A***** anhängig. Laut einem Aktenvermerk vom 5. Mai 2014 teilte dieser mit, er habe erfahren, dass die Mutter gemeinsam mit ihrem Ehemann und A***** nach Uruguay ausgewandert sei. Das Haus in Österreich, in dem sie in den letzten Monaten gewohnt haben, sei verkauft worden (ON 149, ON 151).

Einen Tag später (am 6. 5. 2014) beantragte der Vater die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahin, ihm die Obsorge für A***** vorläufig zu überantworten und ihm in weiterer Folge auch die endgültige Obsorge zuzusprechen. Er habe größte Bedenken dagegen, dass die Minderjährige in Südamerika aufwachsen solle, zumal der Ehemann der Mutter wegen eines Suchtgiftdelikts in Österreich eine Haftstrafe verbüßt habe. Die Mutter habe sich durch ihre Vorgangsweise, die Minderjährige aus dem laufenden Schuljahr herauszureißen und ihr eine völlig ungewisse und unsichere Zukunft in einem für sie fremden Land zuzumuten, dessen Sprache sie nicht beherrsche, über alle Bedürfnisse der Minderjährigen hinweggesetzt und das Kindeswohl gefährdet.

Eine im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Stellungnahme der Mutter zum Antrag auf Entziehung der Obsorge und zur einstweiligen Übertragung an den Vater liegt nicht vor, weil die Mutter vom Erstgericht über den Antrag auf vorläufige Übertragung der Obsorge an den Kindesvater nicht in Kenntnis gesetzt worden war.

Das Erstgericht gab dem Antrag insoweit statt, als es mit Beschluss vom 23. Juni 2013, GZ 2 PS 22/14w‑170, die Obsorge für die Minderjährige der Kindesmutter mit sofortiger Wirkung entzog und aussprach, dass diese einstweilig dem Kindesvater zukomme.

Das Erstgericht traf zusammengefasst noch folgende Feststellungen:

„Schon in der Vergangenheit kam es immer wieder zu Schwierigkeiten mit dem Kontaktrecht des Vaters; es gab Spannungen zwischen dem Vater und der Minderjährigen sowie auch Spannungen zwischen den Eltern. Zuletzt bestand kein Kontakt zwischen der Minderjährigen und dem Vater. Es kam zur Bestellung eines Kinderbeistands. Am 6. 5. 2014 antwortete die Mutter auf eine Nachricht des Kinderbeistands „Bitte keinen neuen Termin, sind nach S‑Amerika ausgewandert ...“. Die Mutter ist bereits mehrfach umgezogen, die Minderjährige war bereits an acht Adressen wohnhaft und wechselte in fünf verschiedene Schulen. Zuletzt besuchte die Minderjährige eine Neue Mittelschule, in welcher sie sozialen Anschluss schaffen und schulische Erfolge feiern konnte. Sie war in die Klassengemeinschaft integriert, hatte viele Freundinnen und war sehr beliebt. Kurz vor Ostern gab sie den KlassenkollegInnen bekannt, mit ihrer Mutter nach Uruguay auszuwandern. Durch den Aufbruch ins Ausland gefährdet die Mutter die seelische und körperliche Integrität der Minderjährigen und deren Entwicklungsmöglichkeiten. Durch die Auswanderung wird die Minderjährige in einen noch tieferen Loyalitätskonflikt gestürzt. Verlässliche Kontakte zum anderen Elternteil werden boykottiert. Die Auswanderung reißt die Minderjährige aus ihrem sozialen Umfeld und setzt sie einer ungewissen sozialen und schulischen Zukunft in einem fremden Land aus. Die Minderjährige beherrscht die spanische Sprache nicht. Es kann nicht gewährleistet werden, dass der Minderjährigen ein Schulbesuch möglich sein wird, weil Voraussetzung dafür die Anmeldung ist, ein Touristenvisum aber nur für 90 Tage gilt. Eine weitere Gefährdung des Kindeswohls wird in der Einstellung des Stiefvaters und der Mutter zu Drogen gesehen. In Uruguay ist der Konsum und Anbau von Marihuana legalisiert.“

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, das Gesamtverhalten der Mutter sei als gefährdend zu werten, weshalb ihr die Obsorge vorläufig zu entziehen und auf den Vater zu übertragen sei.

Gegen diese Entscheidung richtete sich der Rekurs der Mutter, dem neben Lichtbildern über die nunmehrigen Wohnverhältnisse in Uruguay und einer vom Polizeipräsidium M***** (in Uruguay) ausgestellten Wohnsitzbestätigung auch eine Schulbesuchsbestätigung angeschlossen ist. Gemäß dieser Bestätigung besucht die Minderjährige seit 14. 6. 2014 die Schule Nr ***** von B***** S***** in Uruguay. Die Rekurswerberin brachte weiters vor, das Einwanderungsverfahren sei anhängig, sämtliche Familienmitglieder verfügten über bis 2016 gültige Personalausweise.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Die Mutter habe trotz des anhängigen Verfahrens auf Durchsetzung des Kontaktrechts des Vaters weder diesem noch dem Pflegschaftsgericht vorab Informationen über die Auswanderung nach Uruguay zukommen lassen. Zudem sei die Übersiedlung während des laufenden Schuljahres erfolgt, ohne der Minderjährigen die Möglichkeit zu geben, das Schuljahr abzuschließen. Insgesamt könne eine akute Gefährdung nicht ausgeschlossen werden. Die Vorgangsweise des Erstgerichts, keine Äußerung der Mutter zu den Obsorgeanträgen des Vaters einzuholen, begründe daher keinen Verfahrensmangel. Zudem habe die Mutter ihre Stellungnahme im Rekurs nachgetragen. Die Kontinuität der Erziehung betreffe auch die räumliche Umgebung und das soziale Umfeld. Ungewöhnlich häufige, nicht näher begründete Übersiedlungen seien daher im Rahmen einer Obsorgeentscheidung maßgeblich. Im vorliegenden Fall sei eine Kontinuität im Hinblick auf die vielfachen Umzüge nicht gegeben. Dies manifestiere sich insbesondere in der nunmehrigen Übersiedlung nach Uruguay, die die Minderjährige aus ihrem sozialen Umfeld gänzlich herausgerissen habe. In den vom österreichischen Außenministerium zur Verfügung gestellten Reiseinformationen zu Uruguay werde auf ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und erhöhte Straßenkriminalität hingewiesen sowie eine Warnung vor Taschenraub, Taschendiebstahl und Raubüberfällen abgegeben. Die Lage in den Krankenhäusern entspreche nicht dem westeuropäischen Standard. Ferner habe Uruguay im Vorjahr den Verkauf von Cannabis für registrierte Konsumenten legalisiert. Zwar führe die Mutter aus, dass sie und ihr Ehemann Drogen ablehnen, ohne jedoch darzulegen, wie sich dies mit der Verurteilung des Ehemannes wegen eines Suchtgiftdelikts vereinbaren lasse. Aus all diesen Gründen sei die Übersiedlung nach Uruguay dem Wohl der Minderjährigen abträglich. Die sich aus dem mit dem Rekurs übermittelten Fotos ergebende adäquate Wohnsituation sowie die unter einem übermittelte Schulbesuchsbestätigung vermögen diese Gefährdung nicht zu beseitigen. Weitere Erhebungen und Feststellungen zu den konkreten Lebensverhältnissen seien für die Provisorialentscheidung nicht angezeigt. Dass Feststellungen zum Wunsch der Minderjährigen betreffend die Obsorgezuteilung fehlten, sei nicht von Relevanz. Der Wunsch der Minderjährigen könne insbesondere dann nicht allein den Ausschlag geben, wenn dessen Erfüllung ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ deren weiterer Entwicklung abträglich wäre. Es sei jedenfalls von einer den vorläufigen Entzug der Obsorge rechtfertigenden Gefährdung des Kindeswohls auszugehen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen waren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt, weil der Wegzug der Minderjährigen nach Uruguay zum Anlass zu nehmen waren, die

internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte zur Erlassung der beantragten Schutzmaßnahme zu prüfen.

Die Mutter erstattet in ihrem Revisionsrekurs zu dieser Frage kein Vorbringen, sondern macht im wesentlichen weiterhin geltend, es liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da ihr vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, sich zum Antrag des Vaters zu äußern. Die vom Rekursgericht ohne Beweisergänzung aufgrund von Reisewarnungen des Außenministeriums ergänzten Feststellungen begründeten einen Feststellungsmangel. Es fehlten für ein Obsorgeverfahren unbedingt erforderliche Erhebungen und Feststellungen zu den konkreten Lebensverhältnissen der Minderjährigen. Zudem sei der wesentliche Grundsatz der Betreuungskontinuität unberücksichtigt gelassen worden. Da die Minderjährige seit Juni 2014 die Schule in Uruguay besuche, sei sie keineswegs einer ungewissen sozialen und schulischen Zukunft ausgesetzt. Wie sich aus dem dem Revisionsrekurs angeschlossenen, von der Minderjährigen verfassten E‑Mail ergebe, hatte diese es „noch nie so schön“ und möchte nie wieder aus Uruguay weggehen.

Der Vater hat von sich aus noch vor der in § 71 Abs 2 AußStrG vorgesehenen Mitteilung eine Revisionsrekursbeantwortung eingebracht. Es bedarf daher keiner gesonderten Beschlussfassung der Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung nach dieser Gesetzesstelle mehr (RIS‑Justiz RS0104882 [T1]).

In der Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Vater, den Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen. Inhaltlich seien die Entscheidungen der Vorinstanzen richtig, indem in diesen seine große Sorge um das Wohlergehen der Minderjährigen aufgegriffen worden sei. Die Rückführung der Minderjährigen nach Österreich werde behutsam und mit kinderpsychologischer Betreuung durchzuführen sein. Die Minderjährige könnte sofort wieder ihre alte Schule besuchen und das fehlende Schuljahr abschließen. Die Kontakte der Minderjährigen zur Mutter würden davon abhängen, ob die Mutter nach Österreich zurückkehren werde.

Dazu ist auszuführen:

Gelangt das Rechtsmittelgericht aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zur Überzeugung, dass der Mangel der inländischen (internationalen) Zuständigkeit gegeben ist, hat es den mit diesem Mangel behafteten Beschluss von Amts wegen aufzuheben, das vorangegangene Verfahren für

nichtig zu erklären und den vorangegangenen Antrag zurückzuweisen (§ 55 Abs 3 iVm § 56 Abs 1 AußStrG; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 56 Rz 6). Im vorliegenden Fall ist das Fehlen der internationalen Zuständigkeit bisher unbeachtet geblieben, sodass mit einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und einer Nichtigerklärung des vorangegangenen Verfahrens vorzugehen war.

1.1 Sowohl Uruguay als auch Österreich sind Vertragsstaaten des „Haager Übereinkommens vom 19. 10. 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern“ (Haager Kinderschutzübereinkommen‑KSÜ). Uruguay hat das Übereinkommen ratifiziert bzw angenommen. Für Österreich ist es am 1. 4. 2011 in Kraft getreten (BGBl III 2011/49).

1.2 Zufolge Art 53 Abs 1 KSÜ sind dessen Regelungen über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden, was auch für die Zuständigkeitsregelung des Art 5 KSÜ gilt. Da der Vater der Minderjährigen den Antrag auf vorläufige Übertragung der Obsorge nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens anhängig gemacht hat, fällt die beantragte Maßnahme in den zeitlichen Anwendungsbereich des Abkommens.

1.3 Regelungen über die Obsorge sind vom Begriff der „elterlichen Verantwortung“ nach Art 1 Abs 2 KSÜ erfasst, sodass auch der sachliche Anwendungsbereich dieses Übereinkommens gegeben ist (ErlRV 867 BlgNR 24. GP  4).

2. Ziel des KSÜ ist unter anderem die Bestimmung des Staates, dessen Behörden zur Setzung von Maßnahmen zum Schutz des Kindes zuständig sind. Das Übereinkommen trachtet, konkurrierende Zuständigkeiten zwischen den Behörden verschiedener Vertragsstaaten weitgehend zu vermeiden und stellt dazu auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ab (Art 5 Abs 1 KSÜ). Danach sind vorbehaltlich des Artikels 7 bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig, Schutzmaßnahmen iS des Übereinkommens zu treffen (Art 5 Abs 2 KSÜ). Nach Art 7 Abs 2 KSÜ gilt das Verbringen eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das eine Person, Behörde oder sonstige Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dieses Obsorgerecht im Zeitpunkt des Verbringens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen nicht stattgefunden hätte. Ein widerrechtliches Verbringen iSd Art 7 KSÜ ‑ und damit eine Fortdauer der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte ‑ ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben, weil die Mutter zum Zeitpunkt der Auswanderung allein obsorgeberechtigt war.

3.1 Damit bestimmt der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes die internationale Zuständigkeit. Diese Zuständigkeit muss jedenfalls im Zeitpunkt der Erlassung der Schutzmaßnahme in erster Instanz gegeben sein. Mit einem Wechsel des Aufenthalts geht sie nach Art 5 Abs 2 KSÜ auf die Behörden des neuen Aufenthaltsstaates über, der ebenfalls Vertragsstaat (und wie Uruguay ‑ nicht zugleich auch Mitgliedstaat der Brüssel IIa‑VO) ist. Der Wechsel der Zuständigkeit durch die Verlegung des Aufenthaltsorts ist insbesondere aus der Überlegung heraus gerechtfertigt, dass die Behörden des neuen Aufenthaltsorts die aktuelle Situation des Kindes, die für die Beurteilung von Schutzmaßnahmen primär ausschlaggebend ist, in aller Regel am besten beurteilen können.

3.2 Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ wird im KSÜ nicht definiert, sodass er autonom auszulegen ist. Das bedeutet, dass er als zentraler Anknüpfungspunkt für die Begründung der internationalen Zuständigkeit nach dem Wortlaut und dem Kontext des Übereinkommens sowie dessen Zielen zu bestimmen ist.

Für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es nicht auf die Absicht an, dauernd an einem Ort verbleiben zu wollen, sondern darauf, ob jemand tatsächlich einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen macht. Maßgeblich sind dauerhafte Beziehungen einer Person zu einem Aufenthaltsort, sodass sich der Aufenthalt ausschließlich nach tatsächlichen Umständen bestimmt. Die Dauer des Aufenthalts ist für sich allein kein ausschlaggebender Moment (vgl RIS‑Justiz RS0046742). Zwar kann als Faustregel angenommen werden, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten vorliegen wird, doch ist die genaue Prüfung der jeweiligen Umstände erforderlich. Das Übereinkommen knüpft an den Aufenthalt des Kindes als einen eigenständigen und grundsätzlich nicht von den Eltern oder sonstigen Obsorgeberechtigten abgeleiteten Tatbestand an. Je jünger ein Kind ist, desto mehr Gewicht wird aber dem gewöhnlichen Aufenthalt der Person, der ihm gegenüber das Aufenthaltsbestimmungsrecht zukommt, beizumessen sein., (5 Ob 104/12y, 5 Ob 201/12p mwN, JBl 2013, 381 [383]).

3.3 Daraus ist für den vorliegenden Fall abzuleiten, dass ‑ wenngleich die Minderjährige bereits 13 Jahre alt ist ‑ dennoch der Aufenthalt der Mutter von ausschlaggebender Bedeutung ist, die mit ihr gemeinsam nach Uruguay verzogen ist. Dem eingangs wiedergegebenen Vorbringen des Vaters, die Mutter sei zu einem vor dem 5. 5. 2014 gelegenen Zeitpunkt gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem Kind nach Uruguay „ausgewandert“ und er habe Bedenken dagegen, dass die Minderjährige in Südamerika aufwachsen solle, ist immanent, dass die Mutter und die Minderjährige ab diesem Zeitpunkt Uruguay zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht haben und dauerhafte Beziehungen zu diesem Staat hergestellt wurden. Von der Beauftragung weiterer Erhebungen zur Verbreiterung der Tatsachengrundlagen zum gewöhnlichen Aufenthaltsort war abzusehen, weil das Vorbringen zur Auswanderung zur Gänze unbestritten blieb und im Hinblick auf die Aktenlage auch völlig unbedenklich erscheint, sodass es für wahr gehalten werden kann (§ 33 Abs 1 AußStrG). Auch die Mutter hatte nämlich bereits vor Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung bekannt gegeben, gemeinsam mit dem Kind nach Südamerika ausgewandert zu sein. In Übereinstimmung damit bringt sie in weiterer Folge in ihren Rechtsmitteln vor, dass sie, ihr Ehemann und die Minderjährige in Uruguay ein Haus bewohnen, die Minderjährige in Uruguay seit Juni 2014 die Schule besucht und das Einwanderungsverfahren im Laufen ist. Gegenteilige Anhaltspunkte, die darauf schließen ließen, die Mutter und das Kind hätten nicht schon vor Entscheidung der ersten Instanz ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Uruguay verlegt, ergeben sich demnach weder aus dem wechselseitigen Vorbringen noch sind solche Anhaltspunkte aus der Aktenlage ersichtlich. Im Rahmen der amtswegigen Zuständigkeitsprüfung (siehe oben) waren diese, wenn auch erst im Rechtsmittelverfahren hervorgekommenen Umstände entsprechend zu berücksichtigen.

4. Hat die Minderjährige zum Zeitpunkt der Erlassung der Schutzmaßnahme (der Beschlussfassung erster Instanz) bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt in Uruguay begründet, ist aber die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Obsorgeantrag gemäß Art 5 Abs 2 KSÜ bereits auf die zuständigen Behörden von Uruguay übergegangen.

Die internationale Unzuständigkeit der österreichischen Gerichte zur Entscheidung in der Sache war daher auch noch im Revisionsrekursverfahren von Amts wegen aufzugreifen (§ 56 Abs 1 AußStrG), das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und der Antrag auf vorläufige Übertragung der Obsorge zurückzuweisen.

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