OGH 13Os77/14v

OGH13Os77/14v31.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. März 2014, GZ 21 Hv 7/14x-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Mayer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00077.14V.1031.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Nichtvornahme der Subsumtion des Tatgeschehens nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB und demgemäß im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan M***** ‑ abweichend von der auch auf die Qualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB gerichteten Anklage ‑ des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. Jänner 2014 in Wien Sarah‑Katharina T***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs sowie zur Duldung und Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie an den Händen festhielt und einen vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, sie sodann „im Stehen packte“, umdrehte und am Oberkörper nach unten drückte und einen Analverkehr an ihr durchführte und sie in der Folge zu Boden drückte, ihren Kopf festhielt und sie zwang, einen Oralverkehr an ihm vorzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Ihre dagegen ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen der Angeklagte auf Z 5, Z 9 lit b und 10 und die Staatsanwaltschaft auf Z 5, jeweils des § 281 Abs 1 StPO. Nur jener der Staatsanwaltschaft kommt ‑ wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt ‑ Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider hat das Erstgericht ‑ entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ‑ den Umstand, dass sich Sarah-Katharina T***** aufgrund ihrer Alkoholisierung nicht an sämtliche Begleitumstände der Tat erinnern konnte, erörtert (Z 5 zweiter Fall) und logisch und empirisch einwandfrei begründet, weshalb es dennoch von der Glaubwürdigkeit der Angaben dieser Zeugin ausging (US 5). Soweit der Beschwerdeführer diese Urteilsannahme nach Maßgabe eigener Beweiswerterwägungen bestreitet, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Die Kritik an unterbliebener amtswegiger Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Aussage- und Wahrnehmungsfähigkeit des Tatopfers (der Sache nach Z 5a unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge) scheitert schon daran, dass der Beschwerdeführer nicht bekannt gibt, wodurch er an entsprechender Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823).

Die Rechtsrüge (nominell Z 9 lit b, der Sache nach Z 9 lit a) geht mit der Behauptung „nicht ausreichender“ Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite an den Feststellungen vorbei (siehe aber RIS‑Justiz RS0099810), wonach es der Angeklagte ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass Sarah-Katharina T***** mit den im Urteil beschriebenen sexuellen Handlungen nicht einverstanden war und er ihren Widerstand durch Gewalteinsatz (Zu-Boden-Drücken und wiederholtes Hinunterdrücken, Festhalten des Kopfes) überwand (US 4).

Weshalb § 201 Abs 1 StGB Feststellungen zu einer auf die Überwindung des Widerstands des Opfers gerichteten Absicht („um ihren Widerstand zu brechen“) erfordern soll, leitet die Beschwerde nicht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569).

Die eine Tatbeurteilung nach § 205 Abs 1 erster Fall StGB reklamierende Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit, weil das Erstgericht gerade nicht angenommen hat, dass das Tatopfer infolge seiner Alkoholisierung wehrlos war (vgl US 4).

Wie die Generalprokuratur im Übrigen zutreffend anmerkt, behauptet der Beschwerdeführer (zu Recht) nicht, dass die Alkoholisierung des Tatopfers zu fehlender sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit im Sinn des § 205 Abs 1 zweite Deliktsvariante StGB geführt hätte. Denn bei Ausnützung eines solchen Zustands träte die genannte Strafvorschrift bei zusätzlicher Gewaltanwendung in echte Konkurrenz zu § 201 Abs 1 StGB (RIS-Justiz RS0120167; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 50, § 205 Rz 27; Hinterhofer/Rosbaud BT II5 § 205 Rz 20), was zum Vorteil des Angeklagten nicht geltend gemacht werden kann.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Nach den maßgeblichen Urteilsannahmen schloss der Angeklagte den erzwungenen Oralverkehr mit einem Samenerguss im Mund des Tatopfers ab. In subjektiver Hinsicht verneinten die Tatrichter einen Vorsatz dahin, „dass das Ejakulieren in den Mund das über das mit einer Vergewaltigung notwendigerweise verbundene Maß der Demütigung des Opfers erheblich überschritt und damit eine besondere Erniedrigung darstellte“ (US 4, 6).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) macht zu Recht geltend, dass die genannte Negativfeststellung zu einem auf die Sachverhaltsgrundlage der Qualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB gerichteten Vorsatz des Angeklagten offenbar unzureichend begründet ist.

Denn die dazu getroffenen Erwägungen, wonach „die Begleitumstände der Tatbegehung nicht ausreichend rekonstruierbar waren“ (US 6), lassen schon die in der konstatierten Reihenfolge der dem Opfer abgenötigten dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen ‑ orale nach analer Penetration (US 4) ‑ zusätzlich zum festgestellten Ejakulieren in den Mund (US 4) gelegene qualifizierte Belastung des Tatopfers außer Acht.

Besonders erniedrigend im Sinn der in Rede stehenden Qualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB kann davon abgesehen auch die geschlechtliche Handlung selbst sein, nämlich dann, wenn sie unter Umständen verübt wird, die das mit ihr notwendigerweise verbundene Maß der Demütigung des Opfers erheblich überschreiten, wobei ein Ejakulieren in den Mund keinesfalls notwendige Begleiterscheinung des Oralverkehrs ist (RIS-Justiz RS0095315 [T5, T6]).

Das Erstgericht hätte solcherart für eine mängelfreie Begründung darlegen müssen, aus welchem Grund es trotz der konstatierten Umstände der Tat dennoch zur Verneinung eines darauf gerichteten Tätervorsatzes (vgl RIS-Justiz RS0088928) gelangte. Da diesem Begründungserfordernis nicht Genüge getan wurde, stellt sich die tatrichterliche Begründung als offenbar unzureichend dar (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 448; 11 Os 148/12t).

Urteilsaufhebung wie im Spruch ersichtlich ist die Folge, womit auf die weitere Beschwerdeargumentation der Staatsanwaltschaft nicht mehr einzugehen ist.

Da das Erstgericht der Privatbeteiligten (§ 67 StPO) Sarah-Katharina T***** den begehrten Schadenersatz auf der Basis des ‑ von der Aufhebung unberührt gebliebenen ‑ Schuldspruchs nach dem Grunddelikt (§ 201 Abs 1 StGB) zur Gänze zusprach (US 7), war das Adhäsionserkenntnis (US 3) nicht zu beseitigen (vgl Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7).

Der Bezugspunkt der Berufungen ist durch die Behebung des Strafausspruchs weggefallen.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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