OGH 9Ob55/14z

OGH9Ob55/14z29.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S***** R*****, geboren am ***** 2001, vertreten durch die Mutter S***** P*****, die Mutter vertreten durch Putz‑Haas & Riehs‑Hilbert Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN, über den Revisionsrekurs des Vaters S***** R*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 8. Mai 2014, GZ 23 R 186/14x-14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 24. März 2014, GZ 1 P 129/02k‑1, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00055.14Z.1029.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts (Bezirksgericht Purkersdorf) vom 20. 8. 2002 wurde die Ehe der Eltern des mj S***** im Einvernehmen geschieden. Der Mutter wurde im Vergleich die alleinige Obsorge ihres Sohnes S***** übertragen, der vom Vater zu leistende Kindesunterhalt wurde mit monatlich 320 EUR vereinbart. Der Wohnsitz der Eltern lag seinerzeit im Sprengel des Erstgerichts. Der Vergleich wurde hinsichtlich der Obsorge vom Erstgericht am 8. 1. 2003 genehmigt.

Am 21. 3. 2014 stellte die Mutter beim Bezirksgericht Mödling einen Antrag auf Unterhaltsfestsetzung, weil der Vater seit 2005 kaum Unterhalt für den Sohn leiste. Die im Antrag angegebene Wohnadresse der Mutter und ihres Sohnes (*****) liegt im Sprengel des Bezirksgerichts Mödling.

Das Erstgericht (Bezirksgericht Purkersdorf) übertrug ‑ offenbar in Kenntnis des beim Bezirksgericht Mödling eingebrachten Antrags gelangt ‑ von Amts wegen mit Beschluss vom 24. 3. 2014 die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorgesache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Mödling. Da sich das Kind jetzt ständig in ***** aufhalte, sei es zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Mödling diese Pflegschaftssache führe.

Das Bezirksgericht Mödling übernahm mit Beschluss vom 25. 3. 2014 die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache (§ 111 Abs 1 und 2 JN).

Dem gegen den Übertragungsbeschluss des Erstgerichts erhobenen Rekurs des Vaters, in dem er ua ausführt, dass sich die Mutter und sein Sohn schon seit 2011 ständig in Deutschland aufhielten, gab das Rekursgericht nicht Folge. Art 3 der EuUVO regle nur die nationale, nicht aber die örtliche Zuständigkeit. Da die nationalen Zuständigkeitsvorschriften keinen „Passivgerichtsstand“ am Wohnort des Unterhaltsschuldners vorsähen, bleibe es grundsätzlich, wenn schon ein Pflegschaftsverfahren anhängig sei, bei der bereits bestehenden Zuständigkeit. Die Übertragung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das hier aus mehreren Gründen zur Führung des Pflegschaftsverfahrens besser geeignete Bezirksgericht Mödling sei nicht zu beanstanden.

Dagegen richtet sich der ‑ über Zulassungsvorstellung des Vaters (§ 63 AußStrG) vom Rekursgericht nachträglich zugelassene ‑ ordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Abänderungsantrag, den Antrag (gemeint ‑ siehe ON 21 Seite 7 -: den von der Mutter an das Bezirksgericht Mödling gerichteten Unterhaltsfestsetzungsantrag) wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit zurück‑ bzw abzuweisen, in eventu die Zuständigkeit dem Bezirksgericht Schwechat zu übertragen; hilfsweise wird ein Aufhebungs‑ und Rückverweisungsantrag gestellt.

Die Mutter hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Der Revisionsrekurswerber begründet seinen primären Rechtsmittelantrag damit, dass das Bezirksgericht Mödling nach der anzuwendenden EuUVO nicht zuständig sei. Darauf kommt es hier aber nicht an. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nicht eine ‑ im Übrigen noch gar nicht getroffene ‑ Entscheidung über den Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter, sondern der vom Bezirksgericht Purkersdorf gefasste Übertragungsbeschluss an das Bezirksgericht Mödling. Der primäre Revisionsrekursabänderungsantrag des Vaters, den Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit zurück‑ bzw abzuweisen, kann daher schon deshalb nicht erfolgreich sein.

2. Den Eventualantrag, die Zuständigkeit dem Bezirksgericht Schwechat zu übertragen, stützt der Revisionsrekurswerber darauf, dass der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, sein Wohnsitz (jener des Antragsgegners) sich jedoch im Sprengel des Bezirksgerichts Schwechat befände.

Übertragungsbeschlüsse nach § 111 JN sind von den Parteien des Verfahrens anfechtbar (3 Ob 137/14i; RIS‑Justiz RS0046981). Rechtsmittellegitimiert ist auch der nicht obsorgeberechtigte Elternteil (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth,AußStrG § 111 JN Rz 28).

Eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN hat nur zu erfolgen, wenn dies im Interesse des Kindes und zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes erforderlich erscheint (RIS‑Justiz RS0046984, RS0046929; Fucik in Fasching/Konecny³ § 111 JN Rz 2). Nur unter dieser Voraussetzung kann der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 29 JN) durchbrochen werden (5 Nc 6/09s; 1 Ob 182/09k; 4 Nc 6/11m; 4 Nc 21/13w; RIS‑Justiz RS0046929 [T11, T18]). Ausschlaggebendes Kriterium der Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist stets das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074). In der Regel wird es den Interessen des Kindes am besten entsprechen, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (RIS‑Justiz RS0047300; RS0047032 [T17]; zuletzt 3 Ob 137/14i). Insofern zutreffend bestreitet der Revisionsrekurswerber die Rechtmäßigkeit der Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Mödling auch nur deshalb, weil das minderjährige Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Sprengel des übertragenen Gerichts habe.

Ob sich der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes in ***** ‑ so das Erstgericht ‑ und damit im Sprengel des Bezirksgerichts Mödling oder aber in Deutschland ‑ so die Behauptungen des Vaters ‑ befindet, steht derzeit aber in Ermangelung bislang vom Erstgericht durchgeführter Erhebungen nicht fest. Nur im ersten Fall käme eine (amtswegige) Zuständigkeitsübertragung an das Bezirksgericht Mödling in Betracht. Dem vom Vater in seinem Revisionsrekurs erhobenen Eventualantrag, die Zuständigkeit an das Bezirksgericht Schwechat zu übertragen, kann daher jedenfalls derzeit kein Erfolg beschieden sein.

Dem Revisionsrekurs war daher im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.

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