European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00121.14M.1022.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung bildet den Gegenstand des Rechtsstreits die Frage, ob die Klägerin (und ihre Rechtsvorgängerin) durch Ersitzung Eigentum an einer 22,606 ha großen, bücherlich im Eigentum des Beklagten stehenden Grundfläche aus dem fast 81 ha großen Grundstück 330/1 Grundbuch *****, Bezirksgericht St. Johann im Pongau, erworben haben. Die Grundfläche hat in etwa die Form eines Dreiecks, dessen nördliche Spitze (und höchstgelegene Stelle) vom 2.190 m hohen *****stein gebildet wird. Von dort fällt die strittige Grundfläche ‑ zwischen zwei auseinanderlaufenden Felskämmen bzw Geländerücken ständig breiter werdend ‑ um bis zu gut 500 Höhenmeter steil in südlicher bzw südwestlicher Richtung ab. Der obere Teil besteht aus Fels und Geröll; im unteren Bereich gibt es vereinzelte Bäume, etwas Wald, der mit abnehmender Seehöhe dichter wird, und Weideflächen sowie dichte Latschen. Südlich der strittigen Grundfläche, allerdings großteils durch das im bücherlichen Eigentum eines Dritten stehende Grundstück 331 getrennt, ist das im bücherlichen Eigentum der Klägerin stehende Grundstück 395 gelegen. Hinsichtlich des Grundstücks 331 ist ebenfalls ein Ersitzungsstreit anhängig, der in erster und zweiter Instanz zugunsten der Ersitzung geltend machenden Klägerin entschieden wurde.
Die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger nutzten jedenfalls seit 1963 Flächen des Grundstücks 330/1, indem das von ihnen im Sommer auf ihre Alm (Grundstück 395) aufgetriebene Vieh ‑ vorrangig Rinder, früher auch Ziegen ‑ regelmäßig auch dort weidete und dabei bis zum felsigen Bereich des *****stein gelangte. Die Rechtsvorgänger des Beklagten trieben bis in die 1990er-Jahre Schafe auf, die rund um den *****stein und damit auch auf der strittigen Grundfläche weideten.
Hauptsächlich dient der strittige Bereich der Jagdausübung. Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte verfügen über eine Eigenjagd. Nach sämtlichen Jagdgebietsfeststellungsbescheiden gehört das Grundstück 330/1 (ohne Differenzierung) zur Eigenjagd des Beklagten. Die Eigenjagd der Klägerin war bis 1997 verpachtet. Sämtlichen Pächtern dieser Jagd wurde bei der Darstellung des zu bejagenden Gebiets erklärt, dass die gesamte Fläche unterhalb des *****steingipfels zum Eigenjagdgebiet der Klägerin (bzw ihrer Rechtsvorgänger) gehöre; sie bejagten dementsprechend auch die strittige Grundfläche. Da die strittige Grundfläche vom Eigenjagdgebiet des Beklagten aus aufgrund der Steilheit des Geländes und der dichten Latschenfelder nur schwer erreichbar war, gelangten die in der Eigenjagd des Beklagten die Jagd Ausübenden nur selten in das strittige Gebiet.
Im strittigen Bereich gab es keinerlei Zäune oder Grenzmarkierungen. Die Klägerin oder ihre Rechtsvorgänger haben im strittigen Bereich nur selten Schwendarbeiten durchgeführt, der Beklagte und seine Rechtsvorgänger nie.
Sowohl die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger als auch der Beklagte und seine Rechtsvorgänger waren stets der Meinung, dass die strittige Grundfläche zu ihrer Liegenschaft gehört.
Das Erstgericht wies das auf Feststellung einer bestimmten Grenzlinie gerichtete Hauptbegehren als auch das Eventualbegehren, gerichtet auf Feststellung der Ersitzung der 22,606 ha großen Grundfläche aus dem Grundstück 330/1, ab. Die Klägerin und ihre Rechtsnachfolger hätten keine tauglichen Besitzergreifungshandlungen über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren gesetzt. Aus der Ausübung des Jagdrechts könne die Klägerin keine weitergehenden Rechte ableiten. Eine über das Weidenlassen von Tieren im nicht eingezäunten alpinen Gelände hinausgehende bäuerliche Nutzung des strittigen Bereichs habe die Klägerin nicht bewiesen. Hingegen sei dem Beklagten der Beweis gelungen, dass auch seine Tiere ‑ wenn auch nicht mehr in den letzten Jahren ‑ auf der strittigen Grundfläche geweidet hätten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin dahin Folge, dass es dem Hauptbegehren stattgab und die Grenze so feststellte, dass die strittige Grundfläche von der Klägerin ersessen worden sei und zu ihrem Grundstück 395 gehöre.
Dem Weidenlassen von Vieh komme aufgrund der örtlichen Gegebenheiten keine entscheidungserhebliche Signifikanz als Besitzausübungshandlung zu. Da sich im Bereich der strittigen Grundfläche und auch in ihrem Umkreis keine Weidezäune oder sonstige Abgrenzungen befänden, die ein liegenschaftsübergreifendes Herumziehen von Tieren unterbinden würden, könne ein ‑ von den Eigentümern jeweils geduldetes ‑ Überwechseln der Tiere auf Nachbargrundstücke nicht als eine von Besitzwillen getragene Innehabung interpretiert werden.
Entscheidende Besitzausübungshandlung sei aber die Jagdausübung durch die Klägerin bzw ihre Rechtsvorgänger; diese habe der Klägerin und ihren Rechtsvorgängern mehr als 30 Jahre lang (bis zum Ende der Verpachtung 2007) mangels anderer möglicher bzw als Besitzausübung erkennbarer Nutzungen Alleinbesitz an der gesamten strittigen Grundfläche vermittelt.
Die Besitzausübung durch Bejagen in Form von Pirschgängen und Schussabgaben sei objektiv erkennbar gewesen; auf die Kenntnis des Beklagten und seiner Rechtsvorgänger von der jagdlichen Nutzung des strittigen Bereichs durch andere Jäger komme es nicht an. Dagegen sei ein Bejagen von der Eigenjagd des Beklagten aus nur höchst vereinzelt vorgekommen und deshalb nicht derart ins Gewicht gefallen, dass sie den Alleinbesitz der Klägerin verhindert oder deren Ersitzung unterbrochen hätte.
Aufgrund dieses Ergebnisses sei es nicht notwendig, sich mit dem in der Berufung behaupteten Verfahrensmangel und den beiderseitigen Tatsachenrügen auseinanderzusetzen (soweit sie vom Berufungsgericht nicht bereits behandelt worden seien).
Die Revision sei im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der zu entscheidenden Fragen nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des die Klage abweisenden Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag gestellt.
Die klagende Partei stellt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung berechtigt.
In ihrer Rechtsmittelschrift stellt die beklagte Partei in den Vordergrund, dass nach der Entscheidung 2 Ob 1524/94 (= RIS‑Justiz RS0010117 [T2]) die Ausübung des Jagdrechts allein nicht zum Erwerb von Sachbesitz ausreiche. Außerdem seien Jagdausübungshandlungen des Beklagten auf der strittigen Grundfläche sowie das Beweidenlassen der Fläche durch Schafe zu Unrecht außer Acht gelassen worden. Nur der Besitz, der jeden anderen Besitz ausschließe, könne zur Ersitzung führen. Letztlich seien auch sowohl die Erkennbarkeit der Besitzausübungshandlungen der Klägerin und ihrer Rechtsvorgänger sowie deren Redlichkeit zu verneinen.
Dazu wurde erwogen:
1. Voraussetzung jeder Ersitzung ist eine Besitzausübung, die die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden so sichtbar zum Ausdruck bringt, dass sie eine Besitzausübung dritter Personen nicht zulässt (RIS‑Justiz RS0010101). Besitzausübungshandlungen müssen nicht zwingend in Nutzungshandlungen bestehen. Dass auch im alpinen Bereich Besitzausübungshandlungen möglich sind, liegt auf der Hand (3 Ob 24/14x; vgl auch 1 Ob 177/11b mit dem Hinweis auf das Einzäunen und das Bezeichnen eines Grundstücks). In diesem Sinn kann das für das Berufungsgericht entscheidende Argument, im vorliegenden Fall komme nur die jagdliche Nutzung als Nutzungshandlung in Betracht (S 9 des Berufungsurteils), weshalb auch nur dieser Handlung ersitzungsrechtliche Relevanz zukomme, nicht geteilt werden.
2. Zutreffend verweist der Beklagte auf die zu 2 Ob 1524/94 (= RIS‑Justiz RS0010117 [T2]) ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, wonach die Ausübung des Jagdrechts allein nicht zum Erwerb von Sachbesitz ausreiche. In der Begründung dieser Entscheidung, mit der eine außerordentliche Revision zurückgewiesen wurde, führte der Oberste Gerichtshof aus:
„Auch aus der Ausübung des Jagdrechtes kann sie keine weitergehenden Rechte ableiten. Die Ersitzung setzt nämlich den Besitz eines Rechtes voraus, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprechen muß (SZ 45/45; JBl 1976, 642; SZ 55/30). Wenn auch das Jagdrecht selbst nicht ersessen werden kann (SZ 56/20), reicht jedoch dessen Ausübung zum Erwerb des Sachbesitzes nicht aus (vgl SZ 18/116).“
Diese Aussage wurde in der Entscheidung 1 Ob 177/11b bestätigt und wird weiter aufrechterhalten. Die der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegende Rechtsansicht wird demnach vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt.
3. Ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die in der Berufung und der Berufungsbeantwortung enthaltenen Tatsachenrügen zu entscheidungserheblichen Fragen, nämlich zu den von den Parteien und ihren Rechtsvorgängern gesetzten bzw nicht gesetzten Nutzungshandlungen sowie zur Redlichkeit der Klägerin und ihrer Rechtsvorgänger, nicht erledigt, weshalb dem Berufungsgericht zur Erledigung der Tatsachenrüge (sowie der Mängelrüge in der Berufung) eine neuerliche Entscheidung aufzutragen ist.
4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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