OGH 4Ob167/14h

OGH4Ob167/14h21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. N***** W*****, vertreten durch Mag. Alexander Doerge, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei M***** S*****, vertreten durch Dr. Bernhard Schmidhammer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. Mai 2014, GZ 3 R 121/14m‑42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Februar 2014, GZ 20 C 22/12m‑38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00167.14H.1021.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Erstgericht hat das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, Eingriffe in das Eigentum des Klägers durch Ableiten von Oberflächenwasser, Schnee und Eis von seiner Liegenschaft zu unterlassen, abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Der Beklagte habe zwar im unrichtigen Glauben, Eigentümer zu sein, aber redlich gehandelt. Er habe deshalb eine ‑ dem Eigentumsrecht im strittigen Umfang inhaltsgleiche ‑ Dienstbarkeit des Ableitens von Oberflächenwasser, Schnee oder herabfallenden Eises erworben, weswegen die ihm angelasteten Eingriffe nicht unrechtmäßig seien. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision im Hinblick auf abweichende (ältere) Entscheidungen zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1.1. Im Zusammenhang mit der Ersitzung von Dienstbarkeiten vertritt die neuere Rechtsprechung unter Zustimmung der Lehre die Auffassung, dass ein Irrtum im Besitzwillen dann unbeachtlich ist, wenn der Irrende in Kenntnis der wahren Sachlage einen entsprechenden Besitzwillen gebildet hätte. Will daher jemand vermeintlich eigenen Grund benützen, so kann er grundsätzlich Eigentum ersitzen. Ist das aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so ist aber auch die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit möglich, wenn sich die Art der Benützung voll mit der Ausübung des Eigentumsrechts deckt und der Wille des Benützers zumindest auf die Ausübung eines dinglich wirkenden Rechts gerichtet ist. Dass der Besitzwille nicht auf Rechtsbesitz, sondern auf Sachbesitz gerichtet war, steht dem Erwerb des Rechtsbesitzes daher nicht entgegen. Besitzer einer Dienstbarkeit kann also auch der sein, der die entsprechende Handlung aufgrund vermeintlichen oder angemaßten Eigentums unternimmt (7 Ob 269/00k mwN; vgl RIS‑Justiz RS0010142; Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1460 Rz 22f mwN in FN 23).

1.2. Die ältere gegenteilige Rechtsprechung, wonach derjenige, der ein Grundstück in der Meinung benützt, es sei sein eigenes, nicht die Absicht haben kann, auf einem fremden Grundstück eine Dienstbarkeit zu erwerben (vgl RIS‑Justiz RS0011516), ist damit überholt.

2.1. Die Revision stellt die Richtigkeit dieser jüngeren Rechtsprechung ‑ von der das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht abgewichen ist ‑ nicht in Frage.

2.2. Zwar kann der Rechtsmittelwerber in einer ordentlichen Revision nicht nur die vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfragen anschneiden, sondern unabhängig davon auch alle anderen Revisionsgründe ausführen, die seiner Ansicht nach gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sprechen (RIS‑Justiz RS0080388).

Die Anfechtung der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist aber jedenfalls nur möglich, wenn das Rechtsmittel die unrichtige Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage geltend macht (RIS‑Justiz RS0048272 [T3]).

Wird hingegen ‑ wie hier ‑ die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage von einer Partei im Rechtsmittel nicht releviert und werden auch im Übrigen keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen, so ist das Rechtsmittel unzulässig (RIS‑Justiz RS0080388 [T1]).

2.3. Soweit der Revisionswerber die Redlichkeit des Beklagten und eine ausreichende Besitzausübung durch ihn bestreitet und den Standpunkt vertritt, die festgestellte (Mit‑)Nutzung des strittigen Grundstückstreifens durch den Kläger (der Schnee und Eis von seinem Zufahrtsweg zur Garage an die Grenzmauer geschaufelt hat) hätte dem Beklagten Anlass zu Zweifeln am Eigentum geben müssen, ist er darauf zu verweisen, dass die Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Fall die konkret zu berücksichtigenden Umstände die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich fordern, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist (RIS‑Justiz RS0010184 [T13]). Dies trifft insbesondere auf die Frage zu, inwieweit Umstände geeignet sind, beim Erwerber dahingehende Zweifel hervorzurufen (6 Ob 63/13b).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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