OGH 4Ob137/14x

OGH4Ob137/14x21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Mai 2014, GZ 15 R 87/14w‑13, mit welchem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. März 2014, GZ 11 Cg 17/14h‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt ein Mobilfunknetz. Sie bot mehrere Tarife für „unlimitiertes Surfen im Internet“ an, denen gemeinsam war, dass die Downloadgeschwindigkeit nach Erreichen eines bestimmten Datenvolumens von 21 oder 42 Mbit/s auf (maximal) 64 kbit/s gedrosselt wurde. Sie warb für diese Tarife auf ihrer Website, in Printmedien und im Fernsehen. Dabei stellte sie das „unlimitierte Surfen“ blickfangartig heraus; den Kunden wurde „so viel mobiles Internet wie Sie wollen“ angeboten. Die Drosselung auf 64 kbit/s ergab sich nur aus kleingedruckten Hinweisen; deren Auswirkungen für die Internetnutzung legte die Beklagte in der Werbung nicht dar.

Der klagende Verein beantragt, der Beklagten zu untersagen,

im geschäftlichen Verkehr den unrichtigen Eindruck zu erwecken, sie biete einen Tarif für mobiles Internet an, der die unlimitierte Nutzung mobilen Internets ermögliche, insbesondere unter dem Namen „Smart Net Unlimited“ und/oder mit der Beschreibung „unlimitiert telefonieren, SMSen, surfen“ oder „so viel mobiles Internet, wie Sie wollen“ oder sinngleichen Ankündigungen, wenn tatsächlich die Übertragungsgeschwindigkeit ab einer bestimmten Datenmenge, etwa ab 3 oder 6 GB pro Monat, derart reduziert werde, dass das Surfen im Internet faktisch unmöglich gemacht werde, etwa weil eine Reduzierung auf maximal 64 kbit/s vorgenommen werde.

Hilfsweise beantragt der Kläger dasselbe Verbot, wenn die Beklagte auf diese Einschränkung nicht „optisch und inhaltlich verständlich ausreichend deutlich“ hinweise. Damit verbindet er ein Begehren auf Urteilsveröffentlichung auf der Website der Beklagten sowie in einer Samstagsausgabe der Kronen Zeitung und in Werbeblöcken mehrerer Fernsehsender. Die Beklagte verspreche zwar „unlimitiertes Surfen“, verschweige aber die Drosselung der Geschwindigkeit, nach der die Internetnutzung „nur mehr extrem eingeschränkt“ möglich sei. Die übliche Geschwindigkeit im mobilen Breitband liege bei rund 1 Mbit/s. Ein Mbit (Megabit) seien 1024 kbit (Kilobit); wenn also die Geschwindigkeit auf 64 kbit/s gedrosselt werde, werde sie auf ein Fünfzehntel der üblichen Geschwindigkeit zurückgeführt. Für das Herunterladen eines Fotos von 2 MB brauche man dann etwas über vier Minuten, das Betrachten von Videos sei faktisch nicht mehr möglich. Dann könne aber weder von „unlimitiertem Surfen“ noch von „so viel mobilem Internet, wie Sie wollen“ gesprochen werden. Der bloße Hinweis, dass die Geschwindigkeit auf „max. 64 kbit/s“ reduziert werde, kläre die Verbraucher darüber nicht auf.

Die Beklagte bestreitet die Eignung zur Irreführung. Jedem interessierten Kunden sei klar, dass es Unterschiede zwischen den Tarifen geben müsse, wenn diese verschiedene Datenvolumen enthielten. Ein Surfen im Internet sei auch nach der Geschwindigkeitsreduzierung möglich. So könnten E‑Mails und textlastige Internetseiten weiterhin einfach „abgesurft“ werden. Große Datendownloads, etwa von Videos, seien zwar nicht mehr „optimal nutzbar“. Dabei handle es sich aber auch nicht um „Surfen“ im klassischen Sinn. Die strittigen Tarife richteten sich an Kunden, die sich bewusst mit ihrem Internetverhalten und dem damit verbundenen Verbrauch auseinandersetzten. Diese Zielgruppe wisse aber sehr wohl, welche Konsequenz eine Drosselung der Geschwindigkeit auf maximal 64 kbit/s bedeute. Das Veröffentlichungsbegehren sei überschießend, eine Veröffentlichung auf der Homepage der Beklagten reiche aus.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und ermächtigte den Kläger zur beantragten Urteilsveröffentlichung. Es traf keine konkreten Feststellungen zu den Auswirkungen der Geschwindigkeitsreduktion, nahm aber im Rahmen der rechtlichen Beurteilung an, dass diese „zweifellos in einem Ausmaß gegeben [sei], die einen üblichen Gebrauch des Internets nach Erreichen des Downloadvolumens in einer so erheblichen Art einschränkt, dass von 'unlimitiert' im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr die Rede sein“ könne. Daher sei die beanstandete Werbung irreführend.

In der Berufung bekämpfte die Beklagte die von ihr so bezeichnete „Feststellung“ des Erstgerichts zur Einschränkung des „üblichen“ Internetgebrauchs. Der Kläger sei hier seiner Beweispflicht nicht nachgekommen, weswegen insofern nur eine Negativfeststellung zu treffen gewesen wäre. Weiters führte sie eine Rechtsrüge aus.

Das Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zu.

Die „Beweisrüge“ sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt, weil ihr nicht zu entnehmen sei, aufgrund welcher Beweisergebnisse die begehrte Ersatzfeststellung zu treffen wäre. Der Beklagten sei zwar zuzugestehen, dass das Angebot dreier Tarife mit unterschiedlichen Preisen darauf schließen lasse, dass der Leistungsumfang verschieden sein müsse. Die Werbung sei aber trotzdem irreführend, weil das monatlich nutzbare Datenvolumen nicht unlimitiert, sondern im Gegenteil sehr wohl begrenzt sei. Denn die übliche Nutzung des Internet sei nach Überschreiten der Paketgrenzen nicht nur langsamer, sondern „überhaupt nicht mehr möglich“. Die vom Erstgericht erteilte Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung sei aufgrund der Werbung in Printmedien und im Fernsehen gerechtfertigt.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die Beklagte geltend, dass die Formulierung „unlimitiert surfen“ nicht irreführend sei, wenn die Übertragungsgeschwindigkeit so gesenkt werde, dass E-Mails und Internetseiten mit Text oder geringen Datenmengen weiterhin einfach „abgesurft“ werden könnten und lediglich große Datendownloads nicht mehr „optimal nutzbar“ seien. Sie habe über die Drosselung ausreichend aufgeklärt. Jedenfalls sei aber die Nutzung des Internet trotz der Drosselung weiterhin möglich; für die abweichende Beurteilung des Berufungsgerichts fehlten konkrete Feststellungen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil das von den Vorinstanzen ausgesprochene Verbot nicht durch entsprechende Feststellungen gedeckt ist. Sie ist aus diesem Grund im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Interessenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (4 Ob 42/08t = MR 2008, 257 [ Korn ] = ÖBl 2008, 276 [ Gamerith ] - W.-Klaviere; RIS-Justiz RS0123292; zuletzt etwa 4 Ob 29/13p = MR 2013, 293 [ Heidinger ] = ÖBl 2013, 266 [ Melcher ] ‑ Vfg Versand- apotheke für Österreich, und 4 Ob 94/14y ‑ Schriftliche Abhandlungspflege).

2. Auf dieser Grundlage ist an der Irreführungseignung der beanstandeten Werbung an sich nicht zu zweifeln: Unter „unlimitiertem Surfen“ versteht der Durchschnittsverbraucher die Nutzung der üblichen Internetdienste in angemessener Geschwindigkeit. Das ist auch nach dem Vorbringen der Beklagten nach der Drosselung nicht mehr der Fall, wenn die konkrete Nutzung einen hohen Datentransfer erfordert. Die von der Beklagten behauptete Differenzierung zwischen einem nur auf Webseiten mit geringem Datenvolumen oder auf E-Mails bezogenen „Surfen“ und einer mit einem erhöhten Datentransfer verbundenen weitergehenden Internetnutzung kann dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers nicht unterstellt werden. Zwar wird er erwarten, dass sich die Geschwindigkeit nach dem Erreichen des jeweiligen Datenvolumens verringert. Beim Angebot „unlimitierten“ Surfens darf er aber annehmen, dass diese Drosselung nicht zu einer gravierenden Einschränkung der Internetnutzung führt, die über bloße Unannehmlichkeiten wegen eines etwas langsameren Seiten- oder Bildaufbaus hinausgeht. Dass die Drosselung nur derart geringfügige Wirkungen hätte, lässt sich auch dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen. Ihre aufklärenden Hinweise reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Denn dem Durchschnittsverbraucher kann nicht unterstellt werden, dass er aus den angegebenen Werten konkrete Schlussfolgerungen über die tatsächliche Auswirkung der Drosselung ziehen kann. Dass sich das Angebot nur an technisch versierte Kreise richtete, denen die Bedeutung von Downloadgeschwindigkeiten bewusst ist, lässt sich der beanstandeten Werbung nicht entnehmen.

3. Das konkrete Begehren wendet sich allerdings nicht gegen diese Irreführung, also gegen das Versprechen „unlimitierten“ Surfens, obwohl eine Drosselung der Geschwindigkeit droht, die mehr als geringfügige Auswirkungen auf die Internetnutzung hat. Denn der klagende Verein sieht die Täuschung des Publikums allein darin, dass entgegen der Werbung das „Surfen im Internet faktisch unmöglich“ sei. Er greift daher nicht die (oben dargestellte) Irreführung durch den Begriff des unlimitierten Surfens an, sondern wirft der Beklagten vielmehr vor, ihre Leistung nach Überschreiten des Datenvolumens faktisch überhaupt nicht mehr zu erbringen. Dass dies zuträfe, ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht. Dessen Formulierung, dass der übliche Gebrauch des Internet so „erheblich eingeschränkt“ werde, dass man nicht mehr von unlimitiertem Surfen „sprechen“ könne, ist keine Feststellung, sondern die rechtliche Beurteilung des (in Wahrheit unstrittigen) Sachverhalts, dass die Drosselung eine mehr als geringfügige Auswirkung auf die Nutzung des Internet hat. Daraus lässt sich aber nicht entnehmen, welche konkreten Folgen mit der Drosslung verbunden sind. Damit liegen sekundäre Feststellungsmängel vor. Das konkrete Begehren wäre jedenfalls nicht berechtigt, wenn die Nutzung des Internet trotz der Drosselung faktisch noch immer ‑ wenngleich bei einzelnen Diensten nur sehr langsam und mit Schwierigkeiten ‑ möglich wäre.

4. Diese Erwägungen führen zur Zurückverweisung in die erste Instanz. Dort werden Feststellungen zu den konkreten Auswirkungen der Drosselung zu treffen sein. Die Klage könnte nur Erfolg haben, wenn diese Auswirkungen so gravierend sind, dass die Nutzung bestimmter Dienste ‑ etwa das Streaming von Videos oder das Herunterladen von Bild- oder Tondateien ‑ „faktisch unmöglich“ ist. Das wäre etwa der Fall, wenn es beim Betrachten von Videos andauernd zu Unterbrechungen käme oder das Herunterladen von Bild- oder Tondateien mittlerer Größe mehr als eine Stunde dauere. Sonst wäre das Begehren abzuweisen, weil das (an sich mögliche) Verbot einer schlicht irreführenden Werbung (oben Punkt 2.) über das vom Kläger erhobene Begehren hinausginge. Denn mit einem solchen Verbot würde ein Verhalten untersagt, das vom konkreten Urteilsantrag nicht erfasst ist. Ob für die weiteren Feststellungen eine Ergänzung des Beweisverfahrens erforderlich ist, obliegt der Beurteilung durch die Vorinstanzen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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