OGH 10ObS122/14k

OGH10ObS122/14k30.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über den „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2014, GZ 10 Rs 39/14z‑24, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 25. November 2013, GZ 3 Cgs 184/13i‑18, und das diesen vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00122.14K.0930.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurswerberin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Die Klägerin bezog vom 1. 7. 2008 bis 30. 6. 2010 eine befristete Invaliditätspension.

Mit Bescheid vom 13. 7. 2010 lehnte die beklagte Partei den Weitergewährungsantrag ab.

Die dagegen beim Arbeits‑ und Sozialgericht Wien zu 37 Cgs 53/10w erhobene Klage zog die Klägerin in der Verhandlung vom 28. 1. 2011 zurück.

Mit Bescheid vom 25. 1. 2012 lehnte die beklagte Partei einen weiteren Antrag auf Zuerkennung der Invaliditätspension vom 20. 10. 2011 ab. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 9. 1. 2013 stellte die Klägerin neuerlich einen Antrag auf Invaliditätspension und legte zur Bescheinigung einer „Befundverschlechterung“ ärztliche Befunde des SMZ‑Ost, Lungeninterne Abteilung vor.

Mit Bescheid vom 29. 3. 2013 wies die beklagte Partei diesen Antrag mangels Bescheinigung einer wesentlichen Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands gemäß § 362 Abs 2 ASVG zurück.

In der dagegen erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, sie leide seit den in den Jahren 2006 und 2007 an ihr durchgeführten Fersenbein‑ und Achillessehnenoperationen an einer Gehbehinderung, chronischen Schmerzen, einer generalisierten Angststörung sowie einer endogenen Depression. Das Verlassen der Wohnung ohne eine Begleitperson sei ihr unmöglich. Sie verweise auf den unter einem vorgelegten Befundbericht einer Fachärztin für Neurologie.

Die beklagte Partei wendete ein, im Vergleich zur Abweisung mit dem rechtskräftigen Bescheid vom 25. 1. 2012 sei eine wesentliche Änderung der Arbeitsfähigkeit nicht bescheinigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Einholung von Gutachten aus den Fachgebieten der Pulmologie, der Inneren Medizin, der Neurologie‑Psychiatrie und der Orthopädie ab. Rechtlich ging es davon aus, die als ungelernte Arbeiterin tätig gewesene Klägerin sei trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage, die festgestellten Verweisungsberufe (Verpackungs‑ und Einschlichttätigkeiten in der Werbemittelbranche und/oder Elektronikbranche) zu verrichten.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der Klägerin das Urteil des Erstgerichts als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die Ablehnung des Pensionsantrags mit Bescheid vom 25. 1. 2012 habe die 18‑monatige Sperrfrist nach § 362 Abs 2 ASVG ausgelöst. Der neuerliche Pensionsantrag vom 31. 1. 2013 sei noch vor Ablauf der Sperrfrist gestellt worden. Habe ein Versicherungsträger im Falle des § 362 ASVG den Antrag zurückgewiesen und vermöge der Versicherte dem Gericht eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands glaubhaft zu machen, sei das gerichtliche Verfahren durchzuführen und in der Sache zu entscheiden. Die Glaubhaftmachung sei Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs. Gelinge dem Versicherten die Glaubhaftmachung jedoch nicht, sei seine Klage in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 73 ASGG zurückzuweisen. Es fehle dann an der Voraussetzung eines über den Leistungsantrag des Versicherten materiell absprechenden Bescheids und der weiteren Voraussetzung der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Änderung der Anspruchsvoraussetzungen. Im vorliegenden Fall ergebe sich weder aus dem Klagsvorbringen noch aus den vorgelegten Befunden eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands im Vergleich zu der zuletzt erfolgten Ablehnung des Pensionsantrags. In ihrer Klage weise die Klägerin nur auf Leiden hin, die schon seit den Jahren 2006 und 2007 bestehen. Der der Klage beigelegte Befundbericht der Fachärztin für Neurologie enthalte ausschließlich aus dem Vorverfahren 37 Cgs 53/10w des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien bekannte Diagnosen (COPD I, Depression, generalisierte Angststörung, chronische Schmerzkrankheit, Nikotinabhängigkeit) sowie einen Therapievorschlag ohne Angaben zum Krankheitsverlauf. Eine Verschlechterung sei aus diesen Befunden nicht erkennbar. Die dem Antrag beigelegten Befunde des SMZ‑Ost belegen eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit Atemwegsleiden, die bereits mit denselben Auswirkungen in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit im Vorverfahren 37 Cgs 53/10w des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien sowie im anstaltsärztlichen Gutachten diagnostiziert und festgestellt worden seien. Da der Klägerin demnach die von § 68 ASGG geforderte Glaubhaftmachung nicht gelungen sei, sei aus Anlass ihrer Berufung das Urteil des Erstgerichts und das ihm vorangegangene Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs der Klägerin ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO), er ist aber nicht berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrem Rekurs im Wesentlichen geltend, es liege keine Nichtigkeit des Verfahrens vor, weil es (allein) Sache des Erstgerichts sei zu beurteilen, ob eine Verschlechterung des Gesundheitszustands vorliege oder nicht und ob der Klage stattzugeben sei oder sie abgewiesen werden müsse. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung, die Verschlechterung nachzuweisen dadurch nachgekommen, dass sie die Einholung entsprechender Gutachten beantragt habe. Eine Zurückweisung der Klage unter Berufung darauf, dass die Klägerin ihrer Beweispflicht nicht nachgekommen wäre, sei unzulässig.

Diesen Ausführungen kommt keine Berechtigung zu:

1. Die Bestimmung des § 68 ASGG enthält eine Lockerung der strengen Bindung an den im Bescheid erledigten Anspruch. Hat der Versicherungsträger in den in § 362 ASVG (in der hier anzuwendenden Fassung des BudgetbegleitG 2011 BGBl I Nr 111/2010) angeführten Fällen den Antrag zurückgewiesen und vermag der Versicherte dem Gericht eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands glaubhaft zu machen, so hat das Gericht das Verfahren ohne Rücksicht auf § 67 Abs 1 ASGG durchzuführen und in der Sache selbst zu entscheiden. § 362 ASVG bezieht sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut auf Versehrtenrenten (Abs 1) sowie auf Anträge auf Zuerkennung der Maßnahmen medizinischer Rehabilitation oder einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (Abs 2), ua somit auf die von der Klägerin begehrte Invaliditätspension. Werden diese Anträge mangels entsprechender Einbuße an Erwerbsfähigkeit bzw entsprechender Minderung der Arbeitsfähigkeit abgewiesen, ist ein neuerlicher Antrag auf Zuerkennung (Erhöhung) zurückzuweisen, wenn er vor Ablauf eines Jahres (bei Versehrtenrenten) bzw vor Ablauf von 18 Monaten (bei Pensionen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit) nach Rechtskraft der Entscheidung eingebracht wurde, ohne dass eine wesentliche Änderung der zuletzt festgestellten Umstände glaubhaft bescheinigt wurde oder innerhalb angemessener Frist bescheinigt wird. Das Gericht kann somit in diesem Fall bei Glaubhaftmachung einer wesentlichen Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands durch den Versicherten ausnahmsweise in der Sache entscheiden, obwohl der Versicherungsträger zuvor keine Sachentscheidung getroffen, sondern den Leistungsantrag im Hinblick auf die Sperrfrist (und das Fehlen einer wesentlichen Änderung) zurückgewiesen hat. Gelingt dem Kläger aber die Glaubhaftmachung nicht, ist die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (10 ObS 14/10x, SSV‑NF 24/13); Neumayr in ZellKomm2 § 68 ASGG Rz 2 ff mwN).

2.1 Die dem Versicherten zur Pflicht gemachte Glaubhaftmachung einer Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands bezieht sich auf den Tatsachenbereich (RIS‑Justiz RS0043519). Bescheinigungsmittel für eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands oder für das Hinzutreten eines neuen Leidens müssen geeignet sein, dem Richter die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit dieser Tatsachen zu verschaffen (RIS‑Justiz RS0085657).

2.2 Ob die Glaubhaftmachung in diesem Sinn gelungen ist oder nicht, stellt immer das Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung dar (10 ObS 62/12h mwN). Auch im vorliegenden Fall hat der Oberste Gerichtshof daher davon auszugehen, dass der Klägerin die Bescheinigung einer Verschlechterung des seinerzeit festgestellten Gesundheitszustands nicht gelungen ist. Die Aufhebung des Urteils des Erstgerichts und des vorangegangenen Verfahrens als nichtig und die Zurückweisung der Klage durch das Berufungsgericht ist somit zutreffend (§ 73 iVm § 68 ASGG).

Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung war in einem Dreiersenat zu fällen (§ 11a Abs 3 Z 2 ASGG; Neumayr in ZellKomm2 § 11a ASGG Rz 2).

Der Kostenausspruch beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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