European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100NC00023.14K.0922.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 23. Jänner 2014, GZ 233 Pu 450/10t‑181, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache der mj L***** an das Bezirksgericht Favoriten wird nicht genehmigt.
Text
Begründung
Der mj K***** wohnt mit seiner Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Graz‑Ost, die mj L***** wird seit 1. 8. 2013 im Haushalt ihres Vaters in W*****, betreut und versorgt.
Der Vater beantragte im Hinblick auf den nunmehrigen Aufenthaltsort seiner Tochter die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der sie betreffenden Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Favoriten.
Mit Beschluss vom 23. 1. 2014 übertrug das Bezirksgericht Graz‑Ost die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Favoriten. Es verwies darauf, dass bei ihm zwar ein Unterhaltserhöhungsverfahren der beiden Minderjährigen gegenüber ihrem Vater für den Zeitraum seit 1. 1. 2008 sowie betreffend die mj L***** ein Antrag des Vaters auf Unterhaltsbefreiung und ein Antrag der Minderjährigen auf Unterhaltsfestsetzung gegenüber ihrer Mutter ab 1. 8. 2013 anhängig seien, es erscheine jedoch zweckmäßiger, wenn im Hinblick auf den nunmehrigen Aufenthaltsort der mj L***** das Bezirksgericht Favoriten das Pflegschaftsverfahren weiterführe.
Das Bezirksgericht Favoriten lehnte die Übernahme im Hinblick auf die offenen Unterhaltsverfahren ab, weil es zweckmäßiger sei, dass das mit dem Akteninhalt vertraute Bezirksgericht Graz‑Ost diese bereits seit längerem anhängigen Verfahren durchführe. Im Übrigen halte sich nur die mj L***** im Sprengel des Bezirksgerichts Favoriten auf, während der mj K***** weiterhin mit seiner Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Graz‑Ost wohne.
Nachdem der Übertragungsbeschluss in Rechtskraft erwachsen ist, legte das übertragende Gericht aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.
Wenn es im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Besorgung zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung ist stets das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074 [T1]).
In der Regel ist das räumliche Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenen und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen jenes Gericht zur Führung einer Pflegschaftssache am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (RIS‑Justiz RS0047074 [T7]). Offene Anträge im Pflegschaftsverfahren sprechen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0047032) aber dann gegen eine Übertragung, wenn das bisher zuständige Gericht wegen seiner bisherigen Ermittlungen und Tatsachenkenntnisse und seiner Vertrautheit mit den Problemen zur Entscheidung besser geeignet ist.
Im vorliegenden Fall ist seit September 2007 ein Antrag auf Erhöhung des vom Vater für die beiden Minderjährigen zu leistenden Unterhalts anhängig. Über diesen Antrag hat das Bezirksgericht Graz‑Ost bereits ein umfangreiches Beweisverfahren durchgeführt. So wurden teilweise umfangreiche Schriftsätze erstattet und zahlreiche Unterlagen zur Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage vorgelegt sowie mehrere Sachverständigengutachten zu dieser Frage eingeholt. Das Bezirksgericht Graz‑Ost verfügt daher für die anstehende Entscheidung über den Unterhaltserhöhungsantrag der Minderjährigen, dem Unterhaltsbefreiungsantrag des Vaters und den Unterhaltsfestsetzungsantrag der mj L***** gegenüber ihrer Mutter über umfangreiche Tatsachenkenntnisse, sodass es mit den Problemen der zu beurteilenden Anträge vertraut geworden ist. Für die Entscheidung über die offenen Anträge ist daher die Beziehung zum bisher mit der Sache befassten Gericht weit stärker als zum nunmehrigen Wohnsitzgericht der mj L*****. Derzeit sind auch keine Anordnungen erforderlich, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort der mj L***** haben, sodass ihre Übersiedlung allein noch kein aktuelles Interesse an einer Übertragung der Zuständigkeit begründet (5 Nc 11/09a). Im Übrigen lebt der mj K***** weiterhin bei seiner Mutter im Sprengel des bisher zuständigen Bezirksgerichts Graz‑Ost. Eine „Aufspaltung“ des Pflegschaftsverfahrens vor endgültiger Klärung der strittigen Unterhaltsfragen erscheint jedenfalls derzeit nicht zweckmäßig. Der Übertragung des die mj L***** betreffenden Pflegschaftsverfahrens an das Bezirksgericht Favoriten war daher die Genehmigung zu versagen.
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