OGH 6Ob107/14z

OGH6Ob107/14z8.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Raphael G*****, geboren am 27. Dezember 2009, und Elias G*****, geboren am 3. Dezember 2012, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kindesvaters A***** H*****, Kanada, vertreten durch Mag. Alexander Wall, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kindesentführung (HKÜ), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kindesvaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Mai 2014, GZ 42 R 173/14y, 42 R 198/14z‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00107.14Z.0708.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Entgegen der Rechtsansicht des Revisionsrekurses ist das Rekursgericht von der Rechtsprechung zu Art 3 HKÜ (RIS‑Justiz RS0074536; RS0106625; 2 Ob 291/00h; 6 Ob 36/13g) nicht abgewichen. Soweit der Vater im Revisionsrekurs vorbringt, er habe vor der Verbringung der Kinder tatsächlich die Obsorge ausgeübt, geht er nicht von den Feststellungen des Erstgerichts aus. Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde vielmehr der Vater im September 2012 aus der von der Mutter gemieteten Wohnung gerichtlich weggewiesen. Anschließend fanden für einen Zeitraum von zwei Wochen unbegleitete Kontakte zum Minderjährigen Raphael Samstag von 9:00 Uhr bis 15:00 Uhr statt. Nach der Rückkehr der Mutter aus Kanada reagierte der Vater drei Monate lang überhaupt nicht auf Kontaktversuche der Mutter; im Übrigen fanden Skype‑Kontakte zwischen dem Minderjährigen Raphael und seinem Vater zwar statt, aber nicht in der vom kanadischen Gericht festgesetzten Häufigkeit. Ein Besuch des Vaters in Österreich für drei Tage fand auf Initiative der Mutter statt. Damit gingen die Vorinstanzen aber zutreffenderweise davon aus, dass eine tatsächliche Ausübung der Obsorge durch den Vater im für Art 3 HKÜ nötigen Ausmaß nicht gegeben war.

1.2. Soweit sich der Revisionsrekurswerber gegen die Feststellung der Vorinstanzen wendet, er sei aus der Wohnung weggewiesen worden, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0007236). Im Übrigen ist es für die rechtliche Beurteilung im vorliegenden Fall unerheblich, würde doch auch bei der vom Revisionsrekurswerber behaupteten Trennung aufgrund „einer vorübergehenden beruflichen und finanziellen Notlage“ nichts anderes gelten.

2.1. Nicht zu beanstanden ist auch die Rechtsansicht des Rekursgerichts zum gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder und der Mutter. Nach ständiger Rechtsprechung darf das Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht mehr verneint werden, wenn der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum gewährt hat und das Kind sozial integriert ist (RIS‑Justiz RS0046577 [T18, T19]; RS0109515 [T3]).

2.2 Im vorliegenden Fall reiste die Mutter mit dem Minderjährigen Raphael mit gerichtlicher Genehmigung aus Kanada aus, um Elias in Österreich auf die Welt zu bringen. Schon damals gab sie bekannt, dass sie mit den Kindern in Österreich bleiben wolle, erklärte sich aber bereit, bis 20. 1. 2013 nach Kanada zurückzukehren, um vor den kanadischen Gerichten die Sorgerechtsfrage zu klären. Die spätere Rückkehr beruhte auf medizinischen Gründen. Der sodann in Kanada durchgeführte Mediationsversuch scheiterte, weil der Vater nicht zum vereinbarten Termin erschien. Der Mutter wurde daraufhin wiederum die Ausreise mit der Auflage genehmigt, bis Sommer 2013 zur Regelung der Sorgerechtsfrage zurückzukehren. Damit hat aber der in Wien geborene minderjährige Elias ‑ abgesehen von einem Besuch in Kanada in der Dauer von 45 Tagen ‑ sein ganzes Leben in Österreich verbracht; beim in Kanada geborenen und bis September 2012 dort lebenden minderjährigen Raphael ist mittlerweile im Sinne der zitierten Judikatur gleichfalls von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Wien und einer entsprechenden sozialen Integration auszugehen.

3. Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurs daher keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

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