OGH 6Ob82/14y

OGH6Ob82/14y26.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI W***** H*****, vertreten durch Mag. Gregor Rojer, Rechtsanwalt in Wels als Verfahrenshelfer, gegen die beklagten Parteien 1. A***** H*****, 2. Mag. C***** H*****, 3. P***** H*****, alle vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen 173.355,45 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. April 2014, GZ 2 R 41/14h‑75, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00082.14Y.0626.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Der am ***** 2010 verstorbene Ing. W***** H***** und seine am ***** 2010 verstorbene Ehegattin H***** H***** hatten zwei Kinder, nämlich den Kläger und einen vorverstorbenen Sohn, welcher seinerseits drei Söhne, die nunmehrigen Beklagten, hinterließ. Der Erblasser hatte ein Testament errichtet, in dem er (unter anderem) den Kläger ausdrücklich enterbte und seine Enkel, die nunmehrigen Beklagten, zu Erben einsetzte.

Aufgrund dieses Testaments wurde der Nachlass des Ing. W***** H***** mit Einantwortungsbeschluss des Bezirksgerichts Wels vom 13. Juli 2012 den Beklagten zu je einem Drittel eingeantwortet.

Mit der vorliegenden Pflichtteilsklage begehrt der Kläger, die Beklagten jeweils zur Zahlung von 57.758,15 EUR sA zu verpflichten. Die Enterbung sei unberechtigt; die testamentarischen Vorwürfe entbehrten der Grundlage und stellten im Übrigen keinen Enterbungsgrund her.

Die Beklagten beantragten die Klagsabweisung. Dem Kläger stehe infolge rechtmäßiger Enterbung kein Pflichtteil zu. Er habe die sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ergebenden Pflichten gegenüber dem Erblasser gröblich vernachlässigt und über viele Jahre ein teilweise öffentlich an den Tag gelegtes bzw öffentlich bekannt gewordenes Verhalten gesetzt, das ihn eines Erbrechts unwürdig mache und als eine gegen die öffentliche Sittlichkeit verstoßende, beharrlich geführte Lebensart zu qualifizieren sei. So habe er übermäßig dem Alkohol zugesprochen, wodurch es wiederholt ‑ auch in der Öffentlichkeit ‑ zu massiven Alkoholexzessen gekommen sei. Er habe seinen Eltern die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands notwendige Hilfe und Unterstützung verweigert, sich ihnen gegenüber äußerst lieblos bzw unerträglich verhalten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Streit mit ihnen gesucht, sie regelmäßig auf das gröbste beschimpft und beleidigt und ihnen damit unter Inkaufnahme einer Lebensgefahr gesundheitlich stark zugesetzt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dabei traf es im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger fühlte sich immer benachteiligt und tat seinen Ärger darüber gegenüber den Eltern lautstark kund. Er hatte seit jeher ein Alkoholproblem, das in F***** bekannt und auch Gesprächsthema war. Ebenso war Gesprächsthema, dass die Eltern des Klägers sich die schlechte Behandlung durch ihn nicht verdient hätten. Der Kläger hatte ständig finanzielle Schwierigkeiten. Die Eltern unterstützten ihn regelmäßig.

Trotzdem platzte der Kläger wiederholt unaufgefordert und unangemeldet in das Ess‑ oder Wohnzimmer der Eltern, wobei es ihm egal war, ob diese Besuch hatten oder bereits in den dort aufgestellten Betten lagen oder fern sahen. Er äußerte wüste Beschimpfungen. Seine Haltung gegenüber den Eltern war lieblos, aggressiv und brutal. Sein Verhalten war von ihm gewollt und bewusst gesetzt. Er äußerte einmal auch, die Eltern sollten „krepieren“.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass der Kläger rechtmäßig enterbt worden sei. Er habe ein vollkommen achtloses, beleidigendes, demütigendes und respektloses Verhalten gegenüber seinen alten und gebrechlichen Eltern gesetzt. Sein Verhalten sei nach außen hin bekannt gewesen, die Nachbarn, Freunde und die Familie hätten es mitbekommen. Die Familie H***** sei deswegen im Ort Gesprächsthema gewesen und ihr Ansehen dadurch herabgesetzt worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig; eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liege nicht vor.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist nicht zulässig.

1.  Die Frage, wann ein Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit nach § 768 Z 4 ABGB vorliegt, stellt eine Frage des Einzelfalls dar (RIS‑Justiz RS0106221).

2. Der Enterbungsgrund nach dieser Gesetzesstelle erfordert, dass der Noterbe nach objektiver Beurteilung gegen den Willen des Erblassers beharrlich eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart führt. Bei der Beurteilung sind die Zeitanschauung zu berücksichtigen, somit die (veränderlichen) allgemeinen Wertvorstellungen der Gesellschaft, ferner die Anschauungen und der gesellschaftliche Lebenskreis des Erblassers (Apathy in Koziol/Bydlinski/Bollenberger ABGB4 § 768 Rz 4; RIS‑Justiz RS0108736, RS0012850). Schließlich muss auch darauf Rücksicht genommen werden, was im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Sprachgebrauch der österreichischen Gesetze unter Verstößen gegen öffentliche Sittlichkeit verstanden wird (Apathy aaO; RIS‑Justiz RS0108736, RS0012850). Der Enterbungsgrund nach dieser Gesetzesstelle liegt etwa vor, wenn der Erbe einen nach den herrschenden sittlichen Begriffen die öffentliche Sittlichkeit gröblich verletzenden, nicht notwendig strafrechtlich verpönten Lebenswandel führt (RIS‑Justiz RS0012849; Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 768 Rz 12).

3. In der Auffassung der Vorinstanzen, die Art und Weise, wie der Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt seine altersbedingt weitgehend wehrlosen und bettlägrigen Eltern aus materiellen Beweggründen (es ging letztlich immer um Geldforderungen und vermeintliche Anrechte auf das elterliche Vermögen) jahrelang massiv drangsaliert sowie auf das Unflätigste beschimpft, beleidigt und verächtlich gemacht hat, übersteige bei weitem die Grenze dessen, was nach allgemeiner Anschauung noch für tolerierbar erachtet wird, ist ebensowenig wie in der weiteren Auffassung des Berufungsgerichts, der Umstand, dass das indiskutable Verhalten des Klägers auch nach außen drang und im Wohnort des Erblassers zum Gesprächsthema wurde, den nötigen Öffentlichkeitsbezug herstellte und für den als ehemaligen Unternehmer allgemein bekannten, auf das Ansehen der Familie besonders bedachten Erblasser eine zusätzliche Belastung darstellte, eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

4. Auf die Frage, ob Alkoholmissbrauch per se den Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB herstellen kann, kommt es ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte ‑ im vorliegenden Fall nicht an. Im Übrigen hat sich der Kläger in erster Instanz niemals darauf berufen, in einem Ausmaß alkoholkrank gewesen zu sein, dass ihm dies die Fähigkeit geraubt hätte, sein Verhalten gegenüber den Eltern zu steuern und eigenverantwortlich zu bestimmen.

5. Die in der Revision vertretene Auffassung, aus den Feststellungen des Erstgerichts sei lediglich ein „Alkoholproblem“ des Klägers ableitbar, negiert die umfangreichen, inhaltlich gleichfalls dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Ausführungen der Vorinstanzen im Rahmen der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung und ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt. Im Übrigen hat der Kläger selbst die diesbezüglichen Begründungspassagen des Ersturteils noch im Berufungsverfahren zutreffend als Feststellungen gedeutet, machte er doch gerade auch die Frage seines Verhaltens gegenüber dem Erblasser einschließlich der Beschimpfungen ‑ wenn auch letztlich erfolglos ‑ zum Gegenstand seiner Beweisrüge.

6.  Die Revision bringt damit keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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