OGH 2Ob44/14f

OGH2Ob44/14f29.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Mag. T***** J*****, vertreten durch die Dr. Janko Tischler jun. Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt, gegen die Beklagten 1. K***** B*****, und 2. K*****versicherung AG, *****, beide vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 10.315,55 EUR sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2013, GZ 2 R 210/13i‑64, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. September 2013, GZ 70 Cg 15/11t‑56, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00044.14F.0429.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat in einem Vorprozess bereits rund 8.000 EUR an Schmerzengeld aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall ersiegt. Dabei wurden auch bereits die vom Kläger vorgebrachten Beeinträchtigungen bei der Blasenentleerung und beim Orgasmus berücksichtigt. In diesem Verfahren begehrt der Kläger ‑ gestützt auf die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens im Vorverfahren ‑ einen zusätzlichen Schadenersatz wegen der genannten Beeinträchtigungen. Eine Ausdehnung der Klage im Vorprozess sei wegen des Überschreitens der bezirksgerichtlichen Streitwertgrenze und der fehlenden Zustimmung der Beklagten nicht möglich gewesen.

Die Beklagten wendeten ‑ soweit im Revisionsverfahren noch relevant ‑ ein, der Kläger habe im Vorprozess niemals eine Ausdehnung der Klage über die bezirksgerichtliche Wertgrenze hinaus beantragt, daher hätten die Beklagten auch gar keine Zustimmung dazu erteilen können.

Das Erstgericht wies die Klage ab, weil der Kläger (entgegen den Ergebnissen des rechtskräftigen Urteils im Vorprozess) nicht bewiesen habe, dass seine Beschwerden (bei der Blasenentleerung und beim Orgasmus) vom Unfall verursacht worden seien. Es behielt die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vor.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung, allerdings ohne sich mit den Tatsachenrügen des Klägers auseinanderzusetzen. Die Klage sei nämlich schon auf Basis der Behauptungen des Klägers und der Ergebnisse des Vorprozesses abzuweisen. Die gegenständliche „Nachklage“ wäre nur dann zulässig gewesen, wenn der Kläger im Prozessrecht begründete besondere Umstände, die die Ausdehnung im Vorprozess verwehrten, dartun hätte können. Dies sei nicht der Fall gewesen, weil der Kläger im Vorverfahren nicht einmal den Versuch unternommen habe, die Klage auf die ihm berechtigt erscheinende Schmerzengeldhöhe auszudehnen. Er habe im Vorprozess Schmerzengeld für sämtliche geltend gemachten Verletzungsfolgen aus dem Verkehrsunfall erhalten, sodass ihm kein weiteres Schmerzengeld für diese Verletzungsfolgen zuerkannt werden könne.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Entscheidung 6 Ob 204/98p der Schluss entnommen werden könne, den Beklagten treffe die Behauptungsobliegenheit im Folgeprozess, er hätte ‑ wenn der Kläger die Klage im Vorprozess über die bezirksgerichtliche Wertgrenze hinaus ausgedehnt hätte ‑ einer solchen Klageausdehnung zugestimmt.

Der Kläger macht in seiner Revision geltend, das Berufungsgericht hätte über das nunmehr aufgegriffene Prozesshindernis verhandeln müssen. Da dies unterblieben sei, sei sein Urteil mit Nichtigkeit behaftet. Das Berufungsgericht habe sich auch über die unbekämpfte Feststellung des Erstgerichts hinweggesetzt, dass die Beklagten im Vorverfahren einer Ausdehnung der Klage nicht zugestimmt hätten. Jedenfalls habe das Berufungsgericht übersehen, dass sich die Beklagten im Vorverfahren gegen einen Schriftsatz des Klägers, der eine Klageausdehnung enthalten habe, ausgesprochen haben. Daher habe der Kläger davon ausgehen können, dass die Beklagten einer Klageausdehnung über die bezirksgerichtliche Wertgrenze hinaus ihre Zustimmung nicht erteilen würden. Es liege daher (auch) ein wesentlicher Verfahrensmangel des Berufungsgerichts, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung vor.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat nicht das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit (über welchen Einwand bereits in erster Instanz verhandelt wurde) bzw entschiedenen Sache aufgegriffen, sondern ist wegen des Fehlens von Rechtfertigungsgründen für die ausnahmsweise Teilbemessung von Schmerzengeld zur Klageabweisung gelangt. Von einer Nichtigkeit wegen Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung über eine Prozesseinrede kann keine Rede sein.

2. Das Erstgericht ist im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen, dass dem Kläger mangels Zustimmung der Beklagten eine Klageausdehnung über die bezirksgerichtliche Streitwertgrenze nicht möglich gewesen sei. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber festhält, dass es der Kläger im Vorprozess unterlassen habe, eine entsprechende Klageausdehnung zu versuchen, so liegt darin kein Abweichen des Berufungsgerichts von erstgerichtlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung.

3.1. Mit dem vorbereitenden Schriftsatz zu ON 41 des Vorprozesses dehnte der Kläger sein Begehren nur bis zur bezirksgerichtlichen Streitwertgrenze aus und behielt sich eine darüber hinausgehende Ausdehnung für die nächste Tagsatzung vor. Tatsächlich kam es jedoch in keiner der folgenden Tagsatzungen zu einer entsprechenden Klageausdehnung. Der Kläger äußerte in der Folge auch nie eine dahin gehende Absicht.

3.2. Die Beklagten hatten in ihrem Schriftsatz ON 43 (des Vorprozesses) beantragt, jenen des Klägers ON 41 gemäß § 257 ZPO nicht zuzulassen und ihn zurückzuweisen. Darin hat das Berufungsgericht zutreffend keine Aussage der Beklagten über eine (allfällige) Klageausdehnung über die bezirksgerichtliche Wertgrenze gesehen.

3.3. Wenn der Revisionswerber ausführt, der Klagevertreter habe in der Verhandlung vom 8. Juli 2010 (im Vorprozess) dem Gericht mitgeteilt, dass eine Klageausdehnung über die bezirksgerichtliche Wertgrenze mangels Zustimmung der Beklagten nicht möglich sei, so lässt sich dies dem Verhandlungsprotokoll nicht entnehmen. Es ist daher mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass der Kläger im Vorprozess nicht einmal den Versuch unternommen hat, die Klage auf die ihm berechtigt erscheinende Schmerzengeldhöhe auszudehnen.

4.1. Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RIS‑Justiz RS0031307).

4.2. Der Kläger hat darzulegen, dass eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes oder die Geltendmachung bloß eines Teilbetrags aus besonderen Gründen zulässig ist (RIS‑Justiz RS0031051), bzw dass besondere Umstände vorliegen, welche es ihm (ausnahmsweise) gestatten, trotz bereits erfolgter Schmerzengeldabgeltung im Rahmen der Globalbemessung, eine ergänzende Bemessung mittels Nachklage mit Erfolg durchzusetzen (6 Ob 185/09p).

4.3. Auch im Prozessrecht begründete „besondere Umstände“ können die auf eine Teileinklagung von Schmerzengeld folgende „Nachklage“ rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn (ausschließlich in der Gerenz des beklagten Schädigers gelegene, vgl 2 Ob 173/01g) verfahrensrechtliche Vorschriften eine Ausdehnung des zunächst eingeklagten, angesichts der erlittenen Schmerzen aber als zu gering zu beurteilenden Ersatzbetrags verwehren (RIS‑Justiz RS0110739).

4.4. Der Kläger kann sich aber nicht darauf berufen, an der Ausdehnung des Klagebegehrens infolge verfahrensrechtlicher Vorschriften gehindert gewesen zu sein, wenn er im Vorprozess keine derartige Ausdehnung vorgenommen hat (vgl 2 Ob 130/04p).

5.1. In der Entscheidung 6 Ob 204/98p bejahte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit einer Nachklage in einem Fall, in dem die Klägerin schon im Vorprozess darauf hingewiesen hatte, dass eine Ausdehnung des Klagebegehrens über die bezirksgerichtliche Streitwertgrenze nicht möglich sei, und der Beklagte (im Nachprozess) nicht vorbrachte, er hätte im Vorprozess einer Klageausdehnung zugestimmt.

5.2. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger im Vorprozess (mit Schriftsatz ON 41) die (weitere) Klageausdehnung in der nächsten Tagsatzung vorbehalten, sofern die Beklagten ihre Zustimmung geben. Die Beklagten hatten jedoch in der Folge keine Gelegenheit, zu einer Klageausdehnung ihre Zustimmung zu geben, weil diese nicht erfolgte und dieses Thema ‑ wie schon ausgeführt ‑ im weiteren Prozessverlauf auch nicht mehr angesprochen wurde.

5.3. Bei dieser Sachlage ‑ bei der der Kläger eine entsprechende Klageausdehnung gar nicht erst „versucht“ hat ‑ trifft die Beklagten nicht die Behauptungs‑ und Beweislast dahingehend, dass sie im Vorprozess einer (hypothetischen) Ausdehnung der Klage über die bezirksgerichtliche Streitwertgrenze hinaus zugestimmt hätten. Vielmehr liegt es am Kläger, einen Sachverhalt zu behaupten und zu beweisen, dass besondere Umstände vorgelegen seien, die ihn an der Ausdehnung des zunächst eingeklagten Ersatzbetrags auf die von ihm letztlich als berechtigt erkannte Höhe gehindert hätten.

5.4. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger nicht dartun konnte, dass er an der Ausdehnung des Klagebegehrens infolge ausschließlich in der Gerenz der Beklagten gelegenen verfahrensrechtlichen Gründen gehindert war. Die Zulässigkeit der Nachklage wurde vom Berufungsgericht daher zu Recht verneint.

6. Der Revision des Klägers ist somit nicht Folge zu geben.

7. Der Entfall der Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs 3 ZPO.

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