OGH 8Ob23/14m

OGH8Ob23/14m28.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** G*****, vertreten durch Dr. Harald Mlinar, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei T***** M*****, vertreten durch Dr. Gottfried Kassin, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, wegen Feststellung und Verbücherung einer Dienstbarkeit, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2013, GZ 2 R 266/13i‑13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom 20. August 2013, GZ 5 C 253/13i‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Kläger und Beklagte sind Eigentümer aneinander grenzender Liegenschaften im geschlossen verbauten Stadtgebiet. Der Kläger erwarb seine Liegenschaft im Jahre 2004 durch Zuschlag in einer Zwangsversteigerung. Auf dem Grundstück des Klägers wurde in den 1950er Jahren ein Wohn‑ und Geschäftsgebäude errichtet, dessen östliche Außenfassadenfront an der Grenze zum Grundstück der Beklagten verläuft. Bereits über Jahrzehnte hinweg war an dieser Außenfassade eine Regenrinne angebracht gewesen, die in einer Höhe von rund 15 m um rund 10 bis 15 cm in den Luftraum des Grundstücks der Beklagten ragte, das in diesem Bereich als Garten genützt wird. Diese Regenrinne wurde von der Beklagten und deren Rechtsvorgängern, die bestes Einvernehmen mit den damaligen Nachbarn pflegten, stillschweigend geduldet. Von Servitutsrechten war nicht die Rede. Zumindest ab dem Jahr 1993, als der Voreigentümer das nun klägerische Grundstück erwarb, bis zum Beginn der Umbauarbeiten durch den Kläger war die Regenrinne, die „Altbestand“ darstellte, unverändert angebracht.

Der Kläger begann 2005 mit Planungs‑ und Umbauarbeiten für sein Haus, die auch eine Veränderung der Ostfassade und des darüberliegenden Dachs betrafen. Die alte Regenrinne wurde im Zuge dieser Bauarbeiten „ab dem Jahr 2009“ entfernt.

Die Beklagte sprach sich im Rahmen der Bauverhandlungen gegen jede Inanspruchnahme ihres Grundstücks aus. Dem Kläger wurde daher von der Baubehörde unter anderem die Auflage erteilt, die neue Dachrinne auf seinem Eigengrund anzubringen. Tatsächlich ragt die Regenkastenrinne nach dem Umbau wieder rund 10 cm in den Luftraum des Beklagtengrundstücks hinein. Die Baubehörde hat dem Kläger die Beseitigung des Überstands aufgetragen und bereits eine Ersatzvornahme angedroht.

In der Klage wird die Feststellung begehrt, dass dem Kläger und dessen Rechtsnachfolgern als Eigentümer des herrschenden Grundstücks gegenüber der Beklagten und deren Eigentumsrechtsnachfolgern die Dienstbarkeit zustehe, eine Regenrinne an der Ostseite seines Hauses unter Inanspruchnahme des Luftraumes des Nachbargrundstücks zu errichten und zu führen. Weiters begehrt der Kläger, die Beklagte zur Einwilligung in die bücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit zu verpflichten. Aufgrund der jahrzehntelang völlig unbeanstandeten Duldung der Regenrinne habe er die Grunddienstbarkeit ersessen. Die Haltung der Beklagten sei schikanös, weil ihr Luftraum nur ganz minimal in Anspruch genommen werde, wogegen der Kläger enorme Kosten für einen Umbau zu tragen hätte.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Der Kläger habe durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung originär Eigentum erworben; er könne sich eine allfällige Ersitzungszeit früherer Eigentümer seines Grundstücks nicht anrechnen, sodass sein Anspruch schon am Ablauf der notwendigen Ersitzungszeit scheitern müsse. Darüber hinaus habe sich die Beklagte im Rahmen der Bauverhandlungen länger als drei Jahre hindurch gegen die Inanspruchnahme ihres Luftraumes ausgesprochen; sie habe sich damit der Ausübung des behaupteten Servitutsrechts mit der Folge widersetzt, dass es jedenfalls erloschen wäre. Auch der Schikaneeinwand sei nicht berechtigt, weil es dem Kläger ein Leichtes gewesen wäre, von vornherein die baubehördlichen Auflagen einzuhalten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht, dass ein Ersteher aufgrund des originären Eigentumserwerbs nicht Rechtsnachfolger des Voreigentümers sei und sich dessen Ersitzungszeit nicht anrechnen lassen könne. Auch der Schikaneeinwand greife nicht, zumal die Beklagte ihr nach den örtlichen Bauvorschriften bestehendes Recht sichern wolle, direkt an die Außenfassade des klägerischen Hauses anzubauen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil „eine konkrete Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem Fall wie dem vorliegenden“ fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO einer Korrektur bedürfen. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet. Die Revision ist im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist eine für den Eigentümer des belasteten Grundstücks erkennbare Rechtsausübung durch die Ersitzungszeit im eigenen Namen im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken erforderlich. Der zu einer Ersitzung erforderliche Rechtsbesitz wird dadurch erworben, dass man ein ‑ wirkliches oder angebliches ‑ Recht gegen jemand gebraucht und dieser sich fügt (vgl ua Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , ABGB³ § 1460 Rz 15 ff). Die Ersitzung von Dienstbarkeiten und anderen dinglichen Rechten an fremdem Grund setzt dreißigjährigen redlichen und echten Besitz voraus (ua M. Bydlinski in Rummel ³, § 1470 ABGB Rz 1).

2. Wer eine Sache von einem rechtmäßigen und redlichen Besitzer redlich übernimmt, ist gemäß § 1493 ABGB als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines Vormannes einzurechnen. Voraussetzung dafür ist ein gültiges Rechtsnachfolgeverhältnis. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass auch der Ersteher einer Liegenschaft die vom Verpflichteten begonnene Ersitzung eines Rechts an der Nachbarliegenschaft fortsetzen kann (RIS‑Justiz RS0034412). Dieser Auffassung haben sich auch Literatur und Lehre angeschlossen (zB M. Bydlinski aaO § 1493 Rz 1; Gusenleitner-Helm aaO § 1493 Rz 2; Mader/Janisch in Schwimann ABGB³, § 1493 Rz 2).

Die vom Berufungsgericht für seine abweichende Begründung herangezogene Entscheidung (1 Ob 253/11d) ist, wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, nicht einschlägig. Sie behandelt den Erwerb des dienenden Grundstücks im Versteigerungsweg und die Frage, ob der Zuschlag auch zur Rechtsnachfolge gemäß § 234 ZPO in einem Servitutsprozess führt, der noch gegen den Verpflichteten anhängig gemacht wurde. Diese rein verfahrensrechtliche Frage wird in der Entscheidung 1 Ob 253/11d verneint, weil es nach § 234 ZPO darauf ankommt, ob nach der Veräußerung für oder gegen den Rechtsnachfolger nach dem materiellen Recht ein identischer Anspruch besteht, was bezüglich der Übernahme von Lasten durch einen Ersteher nicht der Fall ist.

Diese Überlegungen sind auf den hier gegebenen umgekehrten Fall, dass die herrschende Liegenschaft erworben wird, nicht übertragbar. Im Übrigen entspricht es der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass auch der Ersteher einer dienenden Liegenschaft im Zwangsversteigerungsverfahren eine nicht verbücherte offenkundige Servitut dann gegen sich gelten lassen muss, wenn ihr ein nach ihrer Entstehung zu beurteilender Vorrang iSd § 150 EO zugekommen wäre (RIS‑Justiz RS0111211).

Der Kläger kann sich daher grundsätzlich auf eine von seinen Rechtsvorgängern begonnene, eventuell auch bereits vollendete Ersitzungszeit berufen.

3. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen war die Führung der alten Dachrinne im Luftraum des Grundstücks der Beklagten bis zur Demontage des Altbestands stets offensichtlich und unbeanstandet.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann in den Stellungnahmen der Beklagten im baubehördlichen Verfahren über den Umbau schon deswegen kein Widersetzen gegen die Ausübung des Rechts im bisherigen Umfang erkannt werden, weil sie sich zwar auf die künftige Gestaltung des Dachs bezogen haben, dabei aber die Berechtigung des Altbestands nicht in Frage gestellt und dessen Beseitigung niemals verlangt wurde.

Voraussetzung für den Eintritt der Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB ist es aber, dass der Verpflichtete sich fortwährend der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte deshalb deren Ausübung drei Jahre lang, ohne richterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, tatsächlich unterlassen hat. Ein letztlich erfolglos gebliebenes Widerstreben des Verpflichteten führt nicht zum Rechtsverlust (RIS‑Justiz RS0034271 [T4]; RS0034241 [T3]).

4. Ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht haben die Tatsacheninstanzen keine hinreichend konkreten Feststellungen zur Länge der zu Gunsten des Klägers einrechenbaren Ersitzungszeit getroffen.

Die Feststellungen über die Bestandsdauer der alten Dachrinne („seit Jahrzehnten“, „Altbestand“, „zumindest seit 1993“) sind undeutlich. Das Erfordernis (irgend‑)einer Dachwasserableitung bestand offenkundig seit der Errichtung des klägerischen Hauses in den 1950er Jahren. Das Erstgericht hat zwar eine Negativfeststellung darüber getroffen, wann genau die im Jahr 2009 entfernte Dachrinne angebracht worden war; völlig offen geblieben ist aber, wie ‑ falls sie nicht zum Originalbestand gehört hat ‑ das Problem der Dachentwässerung ab der Errichtung des Hauses sonst gelöst war.

Der bisher festgestellte Sachverhalt lässt eine rechtliche Beurteilung, ob die dreißigjährige Ersitzungszeit ‑ allenfalls auch bereits vor dem Erwerb der Liegenschaft durch den Kläger ‑ vollendet wurde, noch nicht zu. Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, erfordert eine unvollständig gebliebene Sachverhaltsgrundlage die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht konkrete Feststellungen darüber zu treffen haben, wie lange eine in das Grundstück der Beklagten hineinragende Dachrinne am klägerischen Haus durchgehend und unbeanstandet angebracht war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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