OGH 2Ob209/13v

OGH2Ob209/13v17.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Kalivoda, Dr. Veith, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** W*****, vertreten durch die Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, gegen die beklagten Parteien 1. R***** R*****, 2. J***** H*****, und 3. N***** AG, *****, alle vertreten durch Mag. Martin Rausch, Rechtsanwalt in Groß Gerungs, wegen 11.550 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 30. April 2013, GZ 1 R 25/13a‑42, womit das Urteil des Bezirksgerichts Zwettl vom 30. November 2012, GZ 1 C 707/11k‑35, teilweise bestätigt, abgeändert und aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang des Teilurteils des Berufungsgerichts aufgehoben und die Rechtssache wird auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 10. 8. 2010 kam der Kläger mit seinem Motorrad auf einer leicht kurvigen Landstraße zu Sturz. Vor ihm war der Erstbeklagte mit dem vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Kastenwagen gefahren. Während eines Überholmanövers des Klägers überschritt der überholte Kastenwagen die Fahrbahnmitte und kam sukzessive weiter auf die linke Fahrbahnhälfte. Aufgrund der dadurch veranlassten Bremsung des Klägers kam es zu einem Blockieren des Hinterrads und zu einem Driften seines Motorrads, sodass er umstürzte und sich dabei erheblich verletzte.

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadenersatz (Fahrzeug, Helm und Kleidung) und Schmerzengeld in Höhe von insgesamt 11.550 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Folgen aus dem Unfall. Das Alleinverschulden am Verkehrsunfall treffe den Erstbeklagten.

Die Beklagten bestritten jegliches Verschulden des Erstbeklagten, da es weder zur Berührung der Fahrzeuge gekommen sei, noch dem Erstbeklagten irgendein Fahrfehler vorgeworfen werden könne.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (auf Leistung und Feststellung) je zu zwei Drittel statt und wies das Mehrbegehren hinsichtlich des verbleibenden Drittels ab. Der Erstbeklagte habe den Kläger während dessen bereits mehrere Sekunden lang wahrnehmbaren Überholmanövers „geschnitten“. Er habe daher eine verfehlte Fahrlinie und einen Aufmerksamkeitsfehler zu verantworten. Der Kläger habe nach dem ersten Ansichtigwerden eines Linkszugs und der sukzessiven Fahrbahnmittenüberschreitung des Kastenwagens nicht adäquat reagiert, weil er nicht gehupt oder eine sichere Betriebsbremsung eingeleitet habe. Es ergebe sich daher eine Verschuldensteilung von 1:2 zu Lasten des Erstbeklagten. Rechnerisch ergebe sich ‑ ungeachtet der Verschuldensteilung ‑ eine zu Recht bestehende Klagsforderung von 8.850 EUR (1.200 EUR Totalschaden, 7.300 EUR Schmerzengeld, 250 EUR Helm, 100 EUR Kleidung). Das Zahlungsbegehren wurde daher mit 5.900 EUR (2/3 von 8.850 EUR) als zu Recht bestehend erkannt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, nicht jedoch jener der Beklagten Folge. Es bestätigte das Urteil des Erstgerichts ‑ erkennbar mittels Teilurteils ‑ hinsichtlich des Zuspruchs von 2/3 des Feststellungsbegehrens, erhöhte den Zuspruch von 5.900 EUR um 1.800 EUR auf insgesamt 7.700 EUR sA und hob das Urteil im Übrigen auf. Dem Erstbeklagten liege ein Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO (Rechtsfahrgebot) und § 15 Abs 5 StVO (Geschwindigkeitserhöhung des Überholten) zur Last. Die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensaufteilung werde von den Beklagten nicht weiter bekämpft, weshalb das Ersturteil in den Punkten 1. (Zuspruch des Leistungsbegehrens zu 2/3) und 2. (Zuspruch des Feststellungsbegehrens zu 2/3) zu bestätigen bzw der Geldzuspruch betraglich zu erhöhen sei. Hinsichtlich der Frage des Mitverschuldens des Klägers sei die Sache für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht reif. Das Erstgericht habe präzise Feststellungen dazu unterlassen, ob es dem Kläger ab Erkennbarkeit des kurvenschneidenden Verhaltens des Erstbeklagten möglich gewesen wäre, sein begonnenes Überholmanöver abzubrechen und sich hinter dem Beklagtenfahrzeug wieder einzureihen. Bezüglich der Teilabweisung des Klagebegehrens (1/3) sei das erstgerichtliche Urteil daher aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Teilurteil zur Rechtsfrage, ob trotz Fehlens einer entsprechenden Einwendung auf das Mitverschulden des Geschädigten Bedacht zu nehmen sei, nachträglich zugelassen.

Die Beklagten machen in ihrer Revision die Rechtsmittelgründe der Nichtigkeit, unrichtigen rechtlichen Beurteilung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Aktenwidrigkeit geltend; sämtliche mit der (einzig nachvollziehbaren) Begründung, es sei unzutreffend, dass die Beklagten die Verschuldensaufteilung des Erstgerichts nicht bekämpft hätten, zumal sie das Alleinverschulden des Klägers behaupteten. Sie beantragen die gänzliche Klageabweisung, in eventu Aufhebung.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Auslegung des Parteienvorbringens eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist im Sinne des Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

1. Die Einwendung des Alleinverschuldens enthält (als minus) auch jene des Mitverschuldens des Geschädigten (4 Ob 31/07y; RIS‑Justiz RS0027044). Das Rechtsmittelgericht hat, wenn es überhaupt in der Rechtsfrage angerufen ist, die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen (RIS‑Justiz RS0043352). Die Rechtsrüge muss jedoch zumindest hinsichtlich irgendeiner Rechtsfrage gesetzmäßig ausgeführt sein (RIS‑Justiz RS0043352 [T1]).

2. Im vorliegenden Fall haben die Beklagten in ihrer Berufung das Alleinverschulden des Klägers geltend gemacht. Ihre Rechtsrüge enthält hauptsächlich Beweisrügen, führt aber auch aus, dass der Kläger einen massiven Fahrfehler begangen und daher das Alleinverschulden am Unfall zu verantworten habe. Es kann daher von einer gesetzmäßig ausgeführten Berufung der Beklagten ausgegangen werden, sodass das Berufungsgericht zu Unrecht die Nichtbekämpfung der Verschuldensaufteilung des Erstgerichts in der Berufung der Beklagten annahm.

3. Das Berufungsgericht hat dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens aufgetragen, um das (Mit-)Verschulden des Klägers beurteilen zu können. Die Erforderlichkeit dieser Verfahrensergänzung entzieht sich der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs, weil das Berufungsgericht seinen Aufhebungsbeschluss ohne Rekurszulassung fasste. Die dem Erstbeklagten vom Berufungsgericht zugeschriebene Verschuldensquote von 2/3 hat seine Grundlage ausschließlich in der Rechtsansicht, wonach die Beklagten die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensaufteilung in der Berufung nicht bekämpft hätten. Diese Rechtsansicht ist ‑ wie oben ausgeführt ‑ unrichtig. Die Verschuldensfrage ist daher auch hinsichtlich des Erstbeklagten neu zu beurteilen. Da die vom Erstgericht gemäß dem Auftrag des Berufungsgerichts nachzutragenden Beweise auch für das Verschulden des Erstbeklagten von Relevanz sein werden, kann derzeit vom Obersten Gerichtshof dazu ‑ in Ermangelung eines feststehenden Sachverhalts ‑ nicht Stellung genommen werden. Die Verschuldensabwägung kann hier also erst erfolgen, wenn das Verhalten beider Lenker feststeht.

4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher im Umfang des Teilurteils des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache ist auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 2 ZPO.

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