European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00015.14B.0226.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Parteien waren zunächst von 1970 bis zur Scheidung 1996 miteinander verheiratet. Etwa seit 1978 leidet der Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) an paranoider Schizophrenie, steht in laufender psychiatrischer Behandlung und war auf Grund seiner Krankheit mehrfach stationär aufgenommen.
Am 26. 8. 1997 heirateten die Parteien zum zweiten Mal. In einem Notariatsakt vom 7. 8. 1997 vereinbarten sie Gütertrennung. Weiters wurde festgehalten, dass der Antragsgegner die gemeinsame Ehewohnung, nämlich die ihm zur Gänze gehörige Liegenschaft samt Haus in *****, einschließlich der gesamten Einrichtung in die Ehe einbringe. Die Antragstellerin nahm ausdrücklich zur Kenntnis, dass der Antragsgegner manisch depressiv ist, und sie erklärte, darauf zu verzichten, ihn aus der Ehewohnung durch sicherheitspolizeiliche Maßnahmen ausschließen zu lassen. Dies sollte insbesondere auch für den Fall gelten, dass der Antragsgegner eine manische Phase hat.
Am 14. 9. 2012 bedrohte der Antragsgegner die Antragstellerin mit einem Messer, weshalb er in das Otto Wagner Spital eingewiesen wurde. Am 14. 11. 2012 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Er verhielt sich gegenüber der Antragstellerin und der Enkeltochter aggressiv, wobei er drohte, er werde allen den Bauch aufschlitzen. Die Antragstellerin verbrachte daraufhin aus Angst mehrere Nächte beim Sohn.
Auch am 18. 11. 2012 kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Folge der Antragsgegner die Antragstellerin ins Gesicht schlug und mit einer Hand ihren Hals umfasste. Sie konnte sich aus dem Griff befreien, bekam aber Angst vor dem Antragsgegner und seinen wiederholten Drohungen. Die Polizei sprach ein Betretungsverbot aus. Gleichzeitig wurde der Antragsgegner wieder in das Otto Wagner Spital eingewiesen.
Mit einstweiliger Verfügung vom 18. 12. 2012 wurde dem Antragsgegner die Rückkehr in das Haus in ***** und die unmittelbare Umgebung des Hauses, nämlich den Garten verboten und ihm aufgetragen, das Zusammentreffen und die Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin zu vermeiden. Die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung wurde mit sechs Monaten bestimmt.
Am 25. 3. 2013 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens, das der Antragsgegner gegen die Antragstellerin mittlerweile eingeleitet hatte. Die Antragstellerin erhob Widerklage. Er sei nach wie vor gefährlich.
Der Antragsgegner trat dem Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung entgegen und wandte ein, er sei gesundheitlich stabil und keineswegs gefährlich. Die Wegweisung sei in vertragswidriger Weise entgegen der Vereinbarung im Notariatsakt vom 7. 8. 1997 erfolgt. Die Parteien seien sich bei der zweiten Eheschließung durchaus bewusst gewesen, dass der Antragsgegner schon auf Grund seiner Erkrankung auf sein gewohntes Umfeld angewiesen sei, weshalb auch die nicht gerade übliche Klausel in den Notariatsakt aufgenommen worden sei.
Das Erstgericht wies den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung ab. Sie habe mit Notariatsakt ausdrücklich darauf verzichtet, den Antragsgegner aus der Ehewohnung durch sicherheitspolizeiliche Maßnahmen ausschließen zu lassen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Grundsätzlich habe die Antragstellerin einen familienrechtlichen Anspruch auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit der Ehewohnung. Darauf könne jedoch wirksam und formlos verzichtet werden. Aus der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarung ergebe sich, dass der psychisch kranke Antragsgegner stets die Ehewohnung benützen und in der Wohnung verbleiben dürfe, gleichgültig ob sein Verhalten gegenüber der Antragstellerin korrekt sei oder das Einschreiten der Polizei erfordere. Die Antragstellerin hingegen habe auf die Sicherung ihrer Wohnmöglichkeit und ihren damit verbundenen Wohnungserhaltungsanspruch verzichtet. Dieser Verzicht sei weder sittenwidrig noch nichtig. Wenn sich die Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners in der Ehewohnung gefährdet sehe, bleibe ihr lediglich die Möglichkeit, die Ehewohnung zu verlassen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Antragsgegner begehrt, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Wird ein Hauptverfahren erst nach Erlassung einer einstweiligen Verfügung gerichtsanhängig, so kann die beschränkte Geltungsdauer vor Fristablauf auf Antrag verlängert werden, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist ( Zechner , Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung § 382b Rz 5; Feil Exekutionsordnung § 382b Rz 3a, RIS‑Justiz RS0109194, RS0123193, insbesondere 10 Ob 426/01x).
2. Es ist bei der Verlängerung der einstweiligen Verfügung von der antragstellenden Partei nur zu behaupten und zu bescheinigen, dass sie innerhalb der ihr gesetzten Frist den durch die einstweilige Verfügung intendierten Zweck nicht erreichen konnte. Ob die Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorlagen, ist nicht mehr zu prüfen. Nachträgliche Änderungen entscheidungswesentlicher Umstände, welche die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung in Frage stellen, sind jedoch sehr wohl zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0005613, insbesondere 6 Ob 11/98t, 7 Ob 95/13s).
Die Frage, ob die Antragstellerin im Notariatsakt darauf verzichtete, den Antragsgegner aus der Ehewohnung durch sicherheitspolizeiliche Maßnahmen ausschließen zu lassen, oder ob ‑ wie von ihr behauptet ‑ der Verzicht widerrufen wurde, stellt sich nicht. Bei dem Notariatsakt vom 7. 8. 1997 handelt es jedenfalls nicht um eine nachträglich ‑ sohin erst nach Erlassung der einstweiligen Verfügung ‑ eingetretene Änderung entscheidungs-wesentlicher Umstände, die im Verfahren über die Verlängerung der einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen wäre.
3. Im Übrigen bilden die Pflicht zur anständigen Begegnung (§ 90 Abs 1 ABGB) und die absolut wirkenden Rechte des Einzelnen auf Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und Integrität (§ 16 ABGB) die materiell‑rechtlichen Grundlagen von Regelungsverfügungen gegen Gewalt in der Familie unter Ehegatten. Mit den durch das Gewaltschutzgesetz, BGBl 1996/759, novellierten Regelungen der einstweiligen Verfügungen wird dem Gewalttäter das Verlassen der Wohnung aufgetragen, dies völlig unabhängig von der materiellen Berechtigung. Nicht das Gewaltopfer, sondern der Gewalttäter hat zu weichen (RV 252 BlgNR 20. GP 6). Ihr Zweck liegt damit ‑ entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ‑ nicht in der Sicherung des Wohnungserhaltungsanspruchs.
4. Zuletzt ist auch darauf zu verweisen, dass die Bestimmungen über die Gewährung beschleunigten Rechtsschutzes im Provisorialverfahren zwingendes Recht sind. Sie können weder durch Parteienabrede noch durch Annahme einer Zustimmungsfiktion geändert werden. Der öffentlich‑rechtliche (verfahrensrechtliche) Anspruch auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist auch nicht vergleichsfähig ( Zechner aaO Vor § 378 Rz 1, Feil aaO § 378 Rz 1b; König Einstweilige Verfügungen [2012] Rz 6/53; Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner Exekutionsordnung [2008] § 390 Rz 3; SZ 25/251, SZ 62/184).
5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der einstweiligen Verfügung zu prüfen haben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO iVm §§ 78, 402 EO.
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