OGH 10ObS12/14h

OGH10ObS12/14h25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2013, GZ 10 Rs 120/13k‑58, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 30. April 2013, GZ 40 Cgs 23/13b‑55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der am 21. 3. 1956 geborene Kläger absolvierte zunächst eine Lehre zum Maurer, ohne jedoch die Lehrabschlussprüfung abzulegen. In der Folge war er zumindest vom 10. 4. 1989 bis 25. 9. 2003 mit einigen Unterbrechungen als Maurer bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. In der Zeit vom 1. 12. 2003 bis 30. 11. 2009 bezog er eine Invaliditätspension. Seither ist er ohne Beschäftigung. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 12. 2003 erwarb der Kläger insgesamt 127 Beitragsmonate und in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 12. 2011 insgesamt 56 Beitragsmonate als Maurer. Der Kläger besitzt trotz nicht abgelegter Lehrabschlussprüfung alle Kenntnisse und Fertigkeiten eines gelernten Maurers.

Aufgrund seiner näher festgestellten Leidenszustände und des damit verbundenen medizinischen Leistungskalküls konnte der Kläger im Zeitraum vom 1. 12. 2009 bis 1. 12. 2011 im Rahmen des von ihm ausgeübten angelernten Berufes als Maurer noch die Verweisungstätgkeiten eines Fachmarktberaters in Baumärkten und eines Bauproduktefachberaters in Kombimärkten verrichten. Aufgrund eines 50%igen Hörverlustes an beiden Ohren kann der Kläger die beiden genannten Verweisungstätigkeiten seit 1. 12. 2011 nicht mehr verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnte der Kläger noch die Tätigkeiten einer Reinigungskraft oder eines Abwäschers ausüben. Arbeitsplätze in diesen beiden zuletzt angeführten Berufstätigkeiten sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vorhanden.

Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt lehnte mit Bescheid vom 25. 11. 2009 den Antrag des Klägers auf Weitergewährung der mit 30. 11. 2009 befristeten Invaliditätspension mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht mehr invalide iSd § 255 ASVG.

Das Erstgericht wies das vom Kläger dagegen erhobene und zuletzt auf die Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 12. 2011 sowie einer vorläufigen Zahlung in Höhe von 1.047,90 EUR monatlich gerichtete Klagebegehren ebenso ab wie das auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen iSd § 253e ASVG gerichtete Eventualbegehren. Es begründete seine Entscheidung ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt im Wesentlichen damit, dass dem Kläger zum ursprünglichen Stichtag Berufsschutz als Maurer zugute gekommen sei. Er habe aber zu diesem Zeitpunkt mangels Einschränkungen im Hörvermögen noch über ein Leistungskalkül verfügt, welches ihm ermöglicht habe, als Fachberater in Kombimärkten im Verweisungsfeld des angelernten Berufs tätig zu sein. Das Klagebegehren sei daher vom Kläger richtigerweise dahingehend eingeschränkt worden, dass die Gewährung der Invaliditätspension erst ab dem Stichtag 1. 12. 2011 begehrt werde, somit ab jenem Zeitpunkt, ab dem dem Kläger ein Arbeiten innerhalb des berufsgeschützten Tätigkeitsfeldes nicht mehr möglich gewesen sei. Zu diesem Stichtag 1. 12. 2011 erfülle der Kläger aber nicht die für einen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG erforderlichen 90 Pflichtversicherungsmonate der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag, weil der Kläger in diesem Zeitraum nur 56 Beitragsmonate erworben habe. Die Invalidität des Klägers sei daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Eine Invalidität des Klägers nach dieser Gesetzesstelle liege nicht vor, weil der Kläger bei seinem medizinischen Leistungskalkül noch ausreichende Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.

Soweit der Kläger das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke in § 255 Abs 2 ASVG geltend gemacht habe, weil in dieser Gesetzesbestimmung nicht wie im § 255 Abs 4 ASVG neutrale Zeiten, wie etwa Zeiten des Pensionsbezugs, berücksichtigt und den Rahmenzeitraum verlängern würden, sei ihm entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber eine so häufig novellierte Bestimmung wie jene des § 255 ASVG jederzeit leicht hätte dahingehend ändern können, dass das Außerachtlassen von neutralen Zeiten nicht nur für § 255 Abs 4 ASVG, sondern auch für die nur wenige Absätze vorher normierte Bestimmung des § 255 Abs 2 ASVG Anwendung finde. Eine Intention des Gesetzgebers, wie sie vom Kläger unterstellt werde, sei weder explizit den Gesetzesmaterialien noch bei ordnungsgemäßer Interpretation dem Gesetzestext zu entnehmen. Eine durch analoge Anwendung der Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG zu schließende planwidrige Gesetzeslücke liege damit nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Es liege auch die vom Kläger geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des § 255 Abs 2 ASVG nicht vor. Diese Regelung gelte nicht nur für behinderte Personen, die ‑ wie der Kläger ‑ eine Pension vorübergehend bezogen haben, sondern auch für gesunde arbeitslose Personen, die aufgrund dessen ihren erlernten oder angelernten Beruf innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht ausgeübt haben. Es erscheine auch nicht unsachlich, dass der Gesetzgeber in § 255 Abs 2 ASVG und § 255 Abs 4 ASVG unterschiedliche Regelungen getroffen habe. Die Regelung des § 255 Abs 4 ASVG komme nur bei älteren Versicherten, die schon nahe dem Regelpensionsalter seien, in Betracht, denen durch die Berücksichtigung von neutralen Zeiten im Beobachtungszeitraum der Erhalt eines einmal erlangten Tätigkeitsschutzes gewahrt werden solle. Dem gegenüber könne § 255 Abs 2 ASVG auch bei jüngeren Personen zur Anwendung kommen, bei denen es jedoch für die Erlangung des Berufsschutzes und damit für die Gewährung einer Invaliditätspension auf eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufes ankommen solle. Dass der Gesetzgeber hier bei älteren Personen einen anderen Maßstab anlege als bei jüngeren Personen, könne nicht als unsachlich angesehen werden, sodass gegen die unterschiedlichen Bestimmungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob in § 255 Abs 2 ASVG eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege bzw die Bestimmung verfassungswidrig sei, noch nicht Stellung genommen hat.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, die Bestimmung des § 255 Abs 2 ASVG sei gleichheitswidrig. Er habe aufgrund seines Berufsschutzes und seiner gesundheitlichen Einschränkungen vom 1. 12. 2003 bis 30. 9. (richtig: 11.) 2009 die Invaliditätspension bezogen und habe daher gar nicht die Möglichkeit gehabt, in diesem Zeitraum Beitragsmonate zu erwerben. Wenn nun § 255 Abs 2 ASVG ausdrücklich von Beitragsmonaten spreche und Zeiten eines Pensionsbezugs unberücksichtigt lasse, so würden hier Versicherte, die zuvor eine Invaliditätspension erhalten haben, gegenüber jenen, die keine Invaliditätspension erhalten haben, grob benachteiligt. Eine solche Benachteiligung sei sachlich in keiner Weise gerechtfertigt. Wenn man dem Gesetzgeber unterstelle, keine sachlichen Ungleichbehandlungen vornehmen zu wollen, liege eine planwidrige Lücke vor, die im Wege der ergänzenden Gesetzesauslegung dahingehend zu interpretieren und zu schließen sei, dass Zeiten des Bezugs einer Invaliditätspension in diese Zeiten einzurechnen seien. Wenn Zeiten des Pensionsbezugs den Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG erstrecken würden, so würde sich im gegenständlichen Fall der Rahmenzeitraum um 72 Monate in die Vergangenheit erstrecken. Daher würden unter diesen Voraussetzungen beim Kläger ab dem 1. 12. 1990 110 Beitragsmonate im angelernten Beruf als Maurer vorliegen. Aus diesem Grund würde bei teleologischer Interpretation dieser Gesetzesstelle und Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension gegeben sein.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Invalidität iSd § 255 Abs 1 ASVG liegt dann vor, wenn ein Versicherter überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war und seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Als überwiegend im Sinne des Abs 1 gelten nach § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG idF vor dem Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) ausgeübt wurden.

2. Mit dem BudgetbegleitG 2011, BBG 2011 ‑ BGBl I 2010/111, erfolgte in § 255 Abs 2 ASVG hinsichtlich der Frage, wann ein qualifizierter Beruf als überwiegend ausgeübt anzusehen und somit geeignet ist, Berufsschutz zu begründen, eine sehr einschneidende Änderung. Nach § 255 Abs 2 idF BBG 2011 liegt eine überwiegende Tätigkeit im Sinne des Abs 1 vor, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r ausgeübt wurde. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung (Abs 2a) und dem Stichtag weniger als 15 Jahre, so muss zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, jedenfalls aber für 12 Pflichtversicherungsmonate, eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r vorliegen. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung (Abs 2a) und dem Stichtag mehr als 15 Jahre, so verlängert sich der im zweiten Satz genannte Rahmenzeitraum um Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g. Nach § 255 Abs 2a ASVG idF BBG 2011 gelten als Ende der Ausbildung nach Abs 2 der Abschluss eines Lehrberufes, der Abschluss einer mittleren oder höheren Schulausbildung oder Hochschulausbildung sowie der Abschluss einer dem Schul‑ oder Lehrabschluss vergleichbaren Ausbildung, jedenfalls aber der Beginn einer Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter.

2.1 Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 204 f) reichten nach dem damals noch geltenden Recht auch sehr wenige Monate einer Beschäftigung aufgrund einer erlernten oder angelernten Tätigkeit zur Erlangung des Berufsschutzes aus, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag generell sehr wenige Beitragsmonate (zB bei langdauernder Arbeitslosigkeit) vorlagen. Künftig soll nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufes geschützt werden und daher zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich sein. Als Erfordernis für das Bestehen eines Berufsschutzes muss daher (für Stichtage ab 1. 1. 2011) die Ausübung von mindestens 7,5 Jahren einer solchen qualifizierten Tätigkeit innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag vorliegen. Die „Beobachtungsjahre“ werden bei ArbeiterInnentätigkeiten vom Stichtag zurück bis zum Abschluss der ersten berufsschutzbegründenden Ausbildung (Anlernzeit), nach der die versicherte Person ins Berufsleben eintritt, gerechnet. Liegen mehr als 15 Beobachtungsjahre vor und fallen in den Beobachtungszeitraum Zeiten der Kindererziehung (höchstens 4 Jahre pro Kind) Wochengeld, Präsenz‑ oder Zivildienst, so erfolgt eine Ausdehnung der Rahmenfrist um diese Zeiten („Rahmenfristerstreckung“).

2.2 Seit 1. 1. 2011 ist es somit für die Erlangung eines Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG grundsätzlich erforderlich, dass ein Versicherter 7,5 Jahre der Ausübung eines qualifizierten Berufs innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag nachweisen kann. Motiv des Gesetzgebers war es, nur noch eine längere Ausübung des qualifizierten Berufes zu schützen. Bei Überprüfung des Überwiegens werden alle Zeiten einer qualifizierten Tätigkeit zusammengerechnet, also alle einschlägigen Arbeiter‑ und Angestelltenberufe berücksichtigt. Liegen in dem Rahmenzeitraum auch Zeiten der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs, des Präsenz‑ oder Zivildienstes, so kommt es zu einer entsprechenden Rahmenfristerstreckung ( Födermayr in SV‑Komm § 255 ASVG Rz 112 ff).

3. Gleichzeitig wurde durch das BBG 2011 ‑ in Abkehr von der bisherigen Judikatur (vgl 10 ObS 36/04y, SSV‑NF 19/18) ‑ in § 255 Abs 4 ASVG die Regelung eingefügt, dass sich der für die Erlangung des Tätigkeitsschutzes nach dieser Gesetzesstelle ebenfalls maßgebende Rahmenzeitraum von 180 Monaten vor dem Stichtag um neutrale Monate nach § 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG (= Zeiten des Bezugs seiner Pension) oder Monate des Bezugs von Übergangsgeld verlängert (§ 255 Abs 4 Z 1 ASVG idF BBG 2011). Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 206) sollen Zeiten des Bezugs einer Pension und von Übergangsgeld aufgrund geminderter Arbeitsfähigkeit als neutrale Zeiten beim Beobachtungszeitraum gewertet werden (dh dieser Zeitraum wird um die neutralen Monate ausgedehnt), um auf diese Weise den Erhalt eines einmal erlangten Tätigkeitsschutzes sicherzustellen.

4. Mittlerweile hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der hier strittigen Frage der Rahmenfristerstreckung beim Berufsschutz durch Zeiten des Pensionsbezugs mit Wirkung ab 1. 1. 2014 eine weitere Änderung vorgenommen. Gemäß § 234 Abs 1 Z 5 ASVG idF Sozialrechts‑Änderungsgesetz 2012, BGBl I 2013/3, stellen auch Zeiten des Rehabilitationsgeldbezugs ab 1. 1. 2014 neutrale Zeiten dar. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24) dient diese Regelung der Klarstellung, dass diese Zeiten nicht auf die Beobachtungszeiträume für die Erlangung bzw die Erhaltung des Berufs‑ oder Tätigkeitsschutzes angerechnet werden. Nach der Intention des Gesetzgebers des SRÄG 2012 sollen somit die Beobachtungszeiträume für die Erlangung bzw Erhaltung des Berufsschutzes (§ 255 Abs 2 ASVG) und des Tätigkeitsschutzes (§ 255 Abs 4 ASVG) auch um Zeiten des Rehabilitationsgeldbezugs verlängert werden. Die Neuregelung des § 234 Abs 1 Z 5 ASVG gehört daher systematisch zu § 255 Abs 2 und 4 ASVG (vgl Sonntag , Verfahrens‑ und materiell‑rechtliche Probleme des Sozialrechts‑Änderungsgesetzes 2012, ASok 2013, 414 [420]).

5. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension an den Kläger zum Stichtag 1. 12. 2011 neu zu prüfen sind. Die ständige Rechtsprechung, wonach ein ‑ wie hier ‑ fristgerechter Weitergewährungsantrag im Fall des lückenlosen Weiterbestehens von Invalidität keinen neuen Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit und ebenso keinen neuen Stichtag iSd § 223 Abs 2 ASVG auslöse (vgl RIS‑Justiz RS0105152), sodass die Frage des Berufsschutzes nach jenem Stichtag zu beurteilen sei, der der Gewährung der Invaliditätspension zugrunde gelegen sei (vgl RIS‑Justiz RS0083653), ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30. 11. 2009 hinaus im Hinblick auf das festgestellte medizinische Leistungskalkül auf die (Neu‑)Gewährung der Invaliditätspension ab dem Stichtag 1. 12. 2011 eingeschränkt hat und damit kein lückenloses Weiterbestehen der Invalidität vorliegt.

6. Es ist daher im Folgenden die Frage zu prüfen, ob der Kläger zum maßgebenden Stichtag 1. 12. 2011 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension erfüllt.

6.1 Die Vorinstanzen haben eine Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG idF BBG 2011 zum Stichtag 1. 12. 2011 mit der Begründung verneint, dass die für einen Berufsschutz des Klägers erforderlichen 90 Pflichtversicherungsmonate der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit nicht vorliegen, weil der Kläger innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nur 56 Beitragsmonate erworben habe.

6.2 Der Kläger hält diesen Ausführungen der Vorinstanzen im Wesentlichen entgegen, dass es sich bei der derzeit geltenden Regelung des § 255 Abs 2 ASVG, wonach Zeiten des Pensionsbezugs bei der Frage des Erhalts des Berufsschutzes nicht berücksichtigt werden, um eine planwidrige Gesetzeslücke handle und bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung die Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG idF BBG 2011 analog anzuwenden sei. Die Zeiten des Pensionsbezugs des Klägers vom 1. 12. 2003 bis 30. 11. 2009 (= 6 Jahre) bewirkten daher nach Ansicht des Klägers eine Erstreckung des Rahmenzeitraums des § 255 Abs 2 ASVG um 6 Jahre, sodass sich der Beobachtungszeitraum vom 1. 12. 1990 bis 1. 12. 2011 erstrecke. In diesem Zeitraum habe der Kläger in seinem angelernten Beruf als Maurer insgesamt 110 Beitragsmonate erworben, weshalb ihm Berufsschutz zukomme.

7. Dazu ist zunächst auszuführen, dass nach den Feststellungen zwischen dem Beginn der qualifizierten Tätigkeit des Klägers als Maurer und dem maßgebenden Stichtag 1. 12. 2011 jedenfalls mehr als 15 Jahre liegen, sodass sich der Rahmenzeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nach § 255 Abs 2 letzter Satz ASVG um die in § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG genannten Zeiten der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs sowie der Präsenz‑ und Zivildienstleistung verlängern würde. Nach der bereits zitierten Bestimmung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG idF BBG 2011 verlängern Zeiten des Bezugs einer Pension und von Übergangsgeld den Beobachtungszeitraum für den Tätigkeitsschutz. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 255 Abs 2 ASVG für den Berufsschutz nicht. Eine Erstreckung der Norm des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG idF BBG 2011 im Weg der Analogie (§ 7 ABGB) ist jedoch nach zutreffender Rechtsansicht des Klägers geboten:

7.1 Eine „Gesetzeslücke“ liegt vor, wenn eine Unvollständigkeit innerhalb eines Gesetzes vom Standpunkt der Zwecke und Werte des konkreten Gesetzes selbst festgestellt werden kann. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner Absicht und Teleologie, ergänzungsbedürftig sein, ohne dass diese Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht ( Posch in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 7 Rz 2 mwN; RIS‑Justiz RS0008866). Ob dies der Fall ist, ist aufgrund der Rechtsordnung einschließlich aller auch als Auslegungskriterien heranzuziehenden Maßstäbe zu beurteilen. Eine teleologische Lücke liegt vor, wenn die ‑ mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte ‑ ratio legis (bzw das höhere Rechtsprinzip) in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (bzw der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert ( F. Bydlinski in Rummel , ABGB 3 § 7 Rz 2; 10 ObS 118/09i, SSV‑NF 23/75 mwN ua). Bei der Beurteilung der Lückenhaftigkeit sind auch die späteren Änderungen der Gesamtrechtsordnung zu berücksichtigen, wenn sie auf eine Neubewertung der beteiligten Interessen durch den Gesetzgeber schließen lassen ( Schauer in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.00 § 7 Rz 9).

7.2 Es ist zunächst festzuhalten, dass die Regelung des § 255 Abs 2 ASVG in den Gesetzesmaterialien (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 204 f) mit der notwendigen Verschärfung der Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes begründet wird, während die Regelung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG den Erhalt eines einmal erlangten Tätigkeitsschutzes sicherstellen soll. Nach der Regelung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG soll der Tätigkeitsschutz und die dafür geforderte 10‑jährige Tätigkeit in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht durch eine zwischenzeitige (befristete) Gewährung der Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension gefährdet bzw durch die Inanspruchnahme der Pensionsleistung unmöglich gemacht werden. Zeiten des Bezugs einer Pension und von Übergangsgeld verlängern daher (zeitlich unbeschränkt) den Beobachtungszeitraum.

7.3 Eine ähnliche Problemlage besteht aber auch bei dem in § 255 Abs 2 ASVG für den Berufsschutz vorgesehenen Beobachtungszeitraum. Auch hier kann es ‑ wie der Fall des Klägers zeigt ‑ ohne entsprechende Erstreckung der Rahmenfrist bei längerem Pensionsbezug zu einem Wegfall des bei der erstmaligen Pensionsgewährung noch bestehenden Berufsschutzes kommen. Es kann aber nicht die Intention des Gesetzgebers sein, dass es durch einen befristeten Pensionsbezug zum Wegfall eines bestehenden Berufsschutzes kommt. Der Versicherte war in der Zeit des Bezugs der Invaliditätspension arbeitsunfähig und invalid und konnte daher in dieser Zeit keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen.

7.4 Zutreffend verweist der Kläger in diesem Zusammenhang auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 7 Abs 1 Satz 3 B‑VG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots der Diskriminierung von Behinderten betont, dass staatliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen, einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfen (vgl VfGH 1. 3. 2013, G 106/12 ua zu einer verfassungswidrigen Benachteiligung behinderter und daher in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkter Menschen im Staatsbürgerschaftsrecht). Behinderung wird in § 3 BEinStG dahin definiert, dass es sich dabei um die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktion handelt, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich 6 Monaten.

Auch wenn die Regelung des § 255 Abs 2 ASVG idF BBG 2011 Menschen mit Behinderung und nicht behinderte Menschen gleich behandelt, werden behinderte Menschen durch eine Nichterstreckung der Rahmenfrist um Zeiten des Bezugs einer Invaliditätspension insofern benachteiligt und damit diskriminiert, als sie aufgrund ihrer Invalidität während dieser Zeit keine Möglichkeit haben, Pflichtversicherungsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu erwerben und sie daher ‑ wie der Kläger ‑ bei entsprechend langem Pensionsbezug Gefahr laufen, ihren Berufsschutz zu verlieren. Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung des § 255 Abs 2 ASVG ließe diese Bestimmung daher als unsachlich und somit iSd Art 7 Abs 1 B‑VG als gleichheitswidrig erscheinen. Es wäre auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei sonst vergleichbarer Sach‑ und Interessenlage eine Erstreckung der Rahmenfrist um Zeiten des Bezugs einer Invaliditätspension nur für den Erhalt des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG und nicht auch für jenen des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG vorzusehen.

7.5 Eine solche unterschiedliche Rechtslage würde nach Ansicht des erkennenden Senats auch nicht der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers entsprechen, der durch die Änderung des § 234 Abs 1 Z 5 ASVG durch das SRÄG 2012 klarstellen wollte, dass die Zeiten des Rehabilitationsgeldbezugs nicht auf die Beobachtungszeiträume für die Erlangung bzw Erhaltung des Berufs‑ oder Tätigkeitsschutzes angerechnet werden. Da sich aus dieser Berücksichtigung des Rehabilitationsgeldbezugs, welches gleichsam anstelle einer befristeten Pension geleistet wird, der Wille des Gesetzgebers ableiten lässt, solche Zeiten auch bei der Frage des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG berücksichtigen zu wollen, kann dem Gesetzgeber nicht mehr unterstellt werden, dass er die angesprochene unterschiedliche Rechtslage in der Frage der Erstreckung der Rahmenfrist beim Tätigkeitsschutz und beim Berufsschutz aufrecht erhalten wollte. Es ist daher, gemessen am Konzept des Gesetzgebers und zur Vermeidung einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Rechtslage, das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke anzunehmen, die im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Wege der analogen Anwendung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG auch für die Frage des Erhalts des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG zu schließen ist (vgl Födermayr in SV‑Komm § 255 ASVG Rz 114).

8. Bei der gebotenen analogen Anwendung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG erweitert sich die Rahmenfrist des § 255 Abs 2 ASVG somit um die Zeiten des Pensionsbezugs des Klägers vom 1. 12. 2003 bis 30. 11. 2009 (= 6 Jahre), sodass der maßgebende Beobachtungszeitraum für die Beurteilung des Berufsschutzes des Klägers iSd § 255 Abs 2 ASVG vom 1. 12. 1990 bis 1. 12. 2011 reicht. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger im angegebenen Zeitraum zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit als angelernter Maurer erworben hat, erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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