OGH 7Ob221/13w

OGH7Ob221/13w29.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** M*****, vertreten durch Mag. Daniel Vonbank, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei P***** K*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz‑Josef Giesinger, Rechtsanwalt in Götzis, und den Nebenintervenienten S***** K*****, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 30.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. August 2013, GZ 1 R 123/13t‑95, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 2. Mai 2013, GZ 5 Cg 123/10h‑88, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen im zweiten Rechtsgang werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien nicht mehr strittig, dass zwischen ihnen ein Anlageberatungsvertrag bestanden hat und dass die Beklagte für die fehlerhafte Beratung des Klägers durch den Nebenintervenienten für jenen Schaden einzustehen hat, den der Kläger dadurch erlitt, dass er den Klagsbetrag in „Darlehensverträge“ der R***** GmbH investierte. Strittig ist nur mehr die Höhe des erlittenen Schadens.

Der Kläger stützt sich darauf, dass er kein risikofreudiger Anleger gewesen sei und er die investierten 30.000 EUR bei richtiger Anlageberatung in zumindest mit 5 % verzinsliche Staatsanleihen oder in fixverzinsliche Sparbücher oder Rentenversicherungen investiert hätte. Er fordert deshalb zuletzt von der Beklagten den gesamten investierten Betrag von 30.000 EUR samt einer Verzinsung von 4 % seit 23. 2. 2010.

Die Beklagte wendet ein, der Kläger sei ein äußerst risikofreudiger Anleger. Die ursprünglich von ihm begehrte Verzinsung von 12 % (die darauf abzielende Klagsabweisung ist schon im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsen) könne nur durch Investition in ein hochspekulatives Veranlagungsprodukt erreicht werden, bei dem auch Teil‑ oder Totalverlust möglich sei. Der Kläger sei bereit gewesen, diesen Teil‑ oder Totalverlust in Kauf zu nehmen. Es werde die Höhe des geltend gemachten Schadens bestritten.

Erster Rechtsgang:

Das Erstgericht gab ‑ ausgehend von einer Verschuldensteilung 1:1 ‑ dem Hauptbegehren zur Hälfte (samt 4%iger Verzinsung) statt. Es stellte fest, dass der Kläger bei vollständiger und richtiger Aufklärung über die Veranlagung und die Bonität der R***** GmbH und der für sie handelnden Personen die Anlageverträge nicht geschlossen hätte. Nicht festgestellt hingegen werden konnte, „wie der Kläger das Geld veranlagt hätte, insbesondere, dass der Kläger, hätte er nicht das Geld in die R*****‑Verträge investiert, dieses Geld auf ein Sparbuch gelegt hätte“.

Das Berufungsgericht hob das Urteil über Berufung beider Parteien ‑ mit Ausnahme der Abweisung des Zinsenmehrbegehrens ‑ aus hier nicht mehr relevanten Gründen auf. Es führte aus, dass die Beklagte keinen Nachweis dafür angetreten habe, dass eine andere Alternativveranlagung wahrscheinlicher sei als die vom Kläger behauptete. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger ein Schaden in der Höhe von 30.000 EUR entstanden sei. Dies stelle einen abschließend erledigten Streitpunkt dar.

Das Berufungsgericht sprach nicht aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei.

Zweiter Rechtsgang:

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Bezahlung von 30.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 23. 2. 2010 unter Wiederholung seiner Feststellungen zur Höhe des Schadens aus dem ersten Rechtsgang. Die Rechtsansicht, dass dem Kläger ein Schaden von 30.000 EUR entstanden sei, sei ihm vom Berufungsgericht im ersten Rechtsgang überbunden worden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts unter Hinweis auf seine im ersten Rechtsgang dargelegte Rechtsmeinung.

Das Berufungsgericht erklärte in Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs die ordentliche Revision für zulässig. Es fehle Rechtsprechung dazu, wie der Schaden zu berechnen sei, wenn der Anlageentschluss erst durch die Beratung hervorgerufen werde, und welche Rechtsfolgen es habe, wenn zur Alternativveranlagung eine Negativfeststellung getroffen werde.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Zu Recht zeigt die Revision auf, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs im Einklang steht:

Grundsätzlich haftet der Anlageberater nicht für das positive Vertragsinteresse. Der Anleger kann nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt hätte (RIS‑Justiz RS0108267, RS0030153). Der Anlageberater haftet für den Vertrauensschaden (6 Ob 231/10d mwN). Der Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln. Es ist dabei der hypothetische heutige (Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögensstand abzuziehen (7 Ob 77/10i mwN; RIS‑Justiz RS0030153 [T1 und T11]). Auch im Rahmen der Naturalrestitution ist nur dann der gesamte investierte Betrag zurückzuerstatten, wenn der Anleger (ausnahmsweise) bei korrekter Information gar kein Anlageprodukt erworben hätte, das einen Teil‑ oder Totalverlust erleiden kann, oder jedenfalls so investiert hätte, dass er keine Kursverluste erlitten hätte. Es ist im Zuge der Kausalitätsprüfung zu klären, wie der ordnungsgemäß informierte Anleger disponiert hätte. Den Geschädigten trifft dabei die Behauptungs‑ und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die Anlageprodukte nicht erworben hätte, sondern auch dafür, wie er sich bei korrekter Information hypothetisch alternativ verhalten und sich so sein Vermögen entwickelt hätte (7 Ob 77/10i, 6 Ob 231/10d, 4 Ob 67/12z je mwN).

Hätte der Kläger bei korrekter Beratung veranlagt, was bei einem vorgefassten Anlageentschluss im Regelfall anzunehmen ist, trifft ihn die Behauptungs‑ und Beweislast für die Wahl und Entwicklung der hypothetischen Alternativanlage. An die Behauptungslast werden aber keine zu strengen Anforderungen gerichtet. Im Begehren auf Zahlung des veranlagten Betrags wird regelmäßig die Behauptung enthalten sein, dass eine Alternativanlage (zumindest) das Kapital erhalten hätte (4 Ob 67/12z). Da es sich hier um die Feststellung eines hypothetischen Kausalverlaufs handelt, lässt sich dieser naturgemäß nie mit letzter Sicherheit feststellen, weil das Geschehen eben nicht stattgefunden hat. Es genügt daher die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0022900, 4 Ob 67/12z mwN). Dieses Kriterium liegt unter dem Regelbeweismaß der ZPO, wonach für eine Feststellung eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0110701). Der Anleger hat also den Schaden nur „plausibel“ zu machen, dem Berater steht dann der Beweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher ist (7 Ob 77/10i, 6 Ob 231/10d, 4 Ob 67/12z).

Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger sein Geld nicht auf ein Sparbuch gelegt hätte und führt dazu ergänzend in der Beweiswürdigung aus, dass er offenkundig auf der Suche nach einer gewinnbringenderen Veranlagung gewesen sei und einen Wechsel von einer konservativen in eine eher riskante Veranlagung beabsichtigt habe. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger eine andere Form der Anlage gewählt hätte, die höhere Rendite verspreche als ein Sparbuch oder eine Versicherung. Es könne aber nicht festgestellt werden, wie der Kläger das Geld veranlagt hätte.

Diese Feststellungen reichen im Sinn der dargelegten Judikatur zur abschließenden Beurteilung des Schadens nicht aus. Es ist ihnen nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Entschluss des Klägers, die Lebensversicherung (allenfalls mit Verlust) aufzulösen, um in ein risikoreicheres Anlageprodukt zu investieren, auf die Initiative des Nebenintervenienten zurückging oder vom Kläger unbeeinflusst selbst gefasst wurde. Unklar ist auch, ob die weiteren Investitionen auf den ersten Anlageentschluss zurückzuführen sind oder weitere selbständige Anlageentschlüsse mit eigenen Anlagezielen gefasst wurden.

Der Kläger kam seiner Behauptungslast grundsätzlich dadurch nach, dass er vorbrachte, er hätte in eine kapitalerhaltende, mit 4 % zu verzinsende Anlageform investiert. Da das Erstgericht bei seiner Feststellung, es könne nicht feststellen, wie der Kläger das Geld veranlagt hätte, offenkundig vom hier nicht anzuwendenden Regelbeweismaß der ZPO ausging, bedarf es im Hinblick auf das hier anzuwendende Beweismaß weiters der Feststellung, wie sich nach überwiegender Wahrscheinlichkeit der Kläger bei korrekter Information durch den Nebenintervenienten verhalten hätte, welche Anlageziele er hatte, in welche Anlageprodukte er hätte investieren können und wollen und wie sich sein Vermögen dann entwickelt hätte. Das Erstgericht wird prüfen müssen, ob es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den hypothetischen Anlageverlauf feststellen kann. Maßgebend für die Ermittlung des hypothetischen heutigen Vermögensstands sind die konkreten Umstände und Vereinbarungen bei Abschluss des Beratungsvertrags, insbesondere das (erklärte) Veranlagungsziel des Anlegers (6 Ob 231/10d). Gelingt es dem Anleger den Eintritt des Schadens „plausibel“ zu machen, dann steht dem Beklagten der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher sei. Auszugehen ist von der typischen Entwicklung solcher Anlagen. Gegebenenfalls ist auf § 273 ZPO zurückzugreifen (4 Ob 67/12z).

Das Erstgericht wird mit den Parteien die Behauptungs‑ und Beweislast sowie das Beweismaß zu erörtern und neuerlich Feststellungen zum Schaden zu treffen haben. Erst nach Verfahrensergänzung kann über die Rechtssache abschließend entschieden werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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