OGH 2Ob259/12w

OGH2Ob259/12w19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** S*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagten Parteien 1. W***** GmbH, *****, und 2. E***** AG, *****, beide vertreten durch Janezic & Schmidt Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 101.539,41 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 35.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2012, GZ 4 R 153/12z‑53, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 19. Juni 2012, GZ 56 Cg 230/11w‑48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 3 lit g) der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber dahin auszulegen, dass der Insasse eines von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gehaltenen Hubschraubers,

- der zwar auf vertraglicher Grundlage (konkret: Vertrag zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Arbeitgeber des Insassen) befördert wird,

- dessen Beförderung jedoch zum Zweck eines bestimmten Arbeitseinsatzes (konkret: der Sprengung von Lawinen) erfolgt, und

- der an diesem Einsatz dadurch mitwirkt, dass er als „ortskundiger Einweiser“ fungiert und auf Anweisung des Piloten die Tür des Hubschraubers während des Flugs zu öffnen und danach in bestimmter Weise und für bestimmte Dauer offen zu halten hat,

a) „Fluggast“ ist oder

b) zu den „Dienst habenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitgliedern“ zählt?

2. Wenn Frage 1a) bejaht wird:

Ist Art 17 Abs 1 des Übereinkommens von Montreal zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. 5. 1999 dahin auszulegen, dass vom Begriff des „Reisenden“ jedenfalls auch ein „Fluggast“ im Sinne von Art 3 lit g) der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 umfasst ist?

3. Wenn Frage 2 verneint wird:

Ist Art 17 Abs 1 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen, dass der Insasse eines von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gehaltenen Hubschraubers unter den in Frage 1 genannten Voraussetzungen „Reisender“ ist?

B. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung

I. Sachverhalt:

Am 9. 2. 2009 wurde der Kläger als Insasse eines von der erstbeklagten Partei, einem österreichischen Luftfahrtunternehmen, gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei, einem in Deutschland ansässigen Versicherungsunternehmen, haftpflichtversicherten Hubschraubers bei einem Inlandsflug über das Gletschergebiet von Sölden in Österreich schwer verletzt.

Der Kläger ist langjähriger Dienstnehmer der Ö*****GmbH & Co KG und als Mitglied der Lawinenkommission für die Lawinensicherheit des Gletschergebiets, insbesondere der darin gelegenen Schipisten seiner Dienstgeberin, verantwortlich. Er hat zu beurteilen, welche Pisten gesperrt werden müssen und wo Lawinensprengungen erforderlich sind. Diese Sprengungen werden von einem Hubschrauber aus durchgeführt.

Am Unfalltag erhielt die erstbeklagte Partei von der Dienstgeberin des Klägers den Auftrag, einen „Lawinensprengflug“ durchzuführen. Der Pilot, ein Dienstnehmer der erstbeklagten Partei, flog zunächst mit einem Flughelfer zum Sprengbunker. Dort wurden der Kläger und zwei weitere Personen aufgenommen, während der Flughelfer den Hubschrauber verließ. Bei den beiden weiteren Insassen handelte es sich um den Sprengbefugten und den Sprenggehilfen, die beide ebenfalls Dienstnehmer der Ö*****GmbH & Co KG sind. Der Kläger saß links vorne neben dem Piloten und fungierte als „ortskundiger Einweiser“, das heißt, er dirigierte den Piloten dorthin, wo die Sprengladungen abgeworfen werden sollten. Seine weitere Aufgabe bestand darin, nach Erreichen der jeweiligen Sprengpunkte auf das Kommando des Piloten die Tür des Hubschraubers zu öffnen und diese so weit und so lange offen zu halten, als es zum Abwerfen der Sprengladung durch den hinter ihm sitzenden Sprengbefugten notwendig war. Der Pilot entschied darüber, ob und wann die Tür des Hubschraubers geöffnet werden durfte.

Nach mehreren Sprengungen erreichte der Hubschrauber jenen Sprengpunkt, an welchem sich der Unfall ereignete. Nachdem der Pilot die Freigabe für das Öffnen der Tür erteilt hatte, entriegelte der hinter dem Kläger sitzende Sprengbefugte die Tür. Auf das Kommando des Piloten öffnete der Kläger die Tür so, wie es ihm angegeben worden war. Der Hubschrauber, ein einmotoriger, turbinengetriebener Dreiblattrotor‑Helikopter, war mit Flügeltüren ausgestattet. Nach Ansicht des Piloten war er zum Abwerfen von Sprengladungen nicht gut geeignet, weil er keine Schiebetür hatte. An der linken Tür, bei welcher der Kläger saß, hatte die erstbeklagte Partei eine aus einer „Rebschnur“ gefertigte Türschlaufe (eine „praxisnahe Eigenkonstruktion“) angebracht. Der Kläger hielt nun mit der rechten Hand die Türschlaufe und mit der linken Hand den Rahmen der Tür. Plötzlich erfasste eine Windböe die leicht geöffnete Tür, sodass diese aufschnellte. Da es dem Kläger unmöglich war, die Türschlaufe rechtzeitig loszulassen, wurde sein rechter Arm im Bereich des Ellenbogens gegen den Türstock gedrückt. Er erlitt eine schwere Verletzung im Ellenbogengelenk.

II. Anträge und Vorbringen der Parteien:

Der Kläger nimmt die beklagten Parteien zur ungeteilten Handauf den Ersatz seines mit insgesamt 101.539,41 EUR sA bezifferten Schadens in Anspruch. Er begehrt ferner die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle seine (künftigen) Schäden aus dem Unfall vom 9. 2. 2009. Der Kläger brachte vor, es habe ein Vertragsverhältnis zwischen seiner Dienstgeberin und der erstbeklagten Partei bestanden, mit deren Wissen und Willen er mit dem Hubschrauber befördert worden sei. Er sei daher als Fluggast und nicht als Besatzungsmitglied zu qualifizieren. Die erstbeklagte Partei und der ihr zuzurechnende Pilot hätten ‑ aus näher dargestellten Gründen ‑ den Unfall verschuldet. Er stützte die Haftung der erstbeklagten Partei auf § 156 des Luftfahrtgesetzes (LFG) und berief sich auf das direkte Klagerecht gegen den zweitbeklagten Versicherer nach § 166 LFG.

Die beklagten Parteien bestritten jegliches Verschulden der erstbeklagten Partei und des Piloten sowie die Anwendbarkeit des § 156 LFG. Diese Bestimmung betreffe ausschließlich die Haftung aus dem Beförderungsvertrag, also für Fluggäste. Bei einem Arbeitsflug liege kein Beförderungsvertrag vor. Für das Vertragsverhältnis mit der Dienstgeberin des Klägers sei nicht dessen Beförderung, sondern die Durchführung der Lawinensprengung mit Hubschraubern charakteristisch gewesen. Der Kläger sei deshalb als Mitglied des Bordpersonals und damit als Teil der Flugbesatzung anzusehen. Die zweitbeklagte Partei sei mangels Versicherungsdeckung nicht passiv legitimiert. Außerdem gelange das Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) zur Anwendung.

III. Bisheriges Verfahren:

Das Erstgericht entschied, nachdem es die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, mit Teilzwischenurteil, dass das Leistungsbegehren des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es bejahte das Zustandekommen eines Beförderungsvertrags, qualifizierte den Kläger als Fluggast und gelangte auf der Grundlage des § 156 Abs 1 LFG zur Verschuldenshaftung der erstbeklagten Partei. Das Dienstgeberhaftungsprivileg sei nicht anzuwenden, weil nach § 333 Abs 3 ASVG für Luftfahrzeuge eine erhöhte Haftpflicht bestehe. Die Haftung der zweitbeklagten Partei gründe sich auf die §§ 164 ff iVm § 151 LFG, das direkte Klagerecht des Klägers auf § 166 LFG.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Ansicht, die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 idF der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 stehe der Anwendung des X. Teils des Luftfahrtgesetzes nicht entgegen. Der Zweck der Regelungen dieser Verordnung, die in Art 1 auf das Übereinkommen von Montreal verweise, ziele auf die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck. Der Kläger, der an einem Arbeitsflug mitgewirkt habe, sei nicht Fluggast im Sinne dieser Übereinkommen, sei es doch nicht darum gegangen, ihn von einem Ort zum anderen zu befördern. Er habe vielmehr wesentlich zur Erfüllung der Zielsetzung des Flugs, nämlich dem Absprengen von Lawinen beizutragen gehabt. Auch wenn der Kläger nicht ein eigentliches Besatzungsmitglied gewesen sei, weil seine Verrichtungen in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Fliegen des Hubschraubers standen, sei er ebenso wenig ein Fluggast gewesen. Die erstbeklagte Partei hafte für den Schaden des Klägers wegen des ihr zuzurechnenden Verschuldens des Piloten sowie eigenen Organisationsverschuldens. Dem Kläger stehe aus dem Vertragsverhältnis seiner Dienstgeberin mit der erstbeklagten Partei ein eigener vertraglicher Ersatzanspruch zu. Das Dienstgeberhaftungsprivileg komme der erstbeklagten Partei nicht zugute: Der Halter eines Luftfahrzeugs sei gemäß § 164 LFG verpflichtet, zur Deckung der Schadenersatzansprüche der Fluggäste eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Es handle sich bei einem Luftfahrzeug um ein Verkehrsmittel, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht bestehe. Daraus folge, dass die Anwendung des Haftungsprivilegs gemäß § 333 Abs 3 ASVG ausgeschlossen sei.

Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof machen die beklagten Parteien geltend, auf den Sachverhalt sei die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 anzuwenden. Im Hinblick auf die von ihm an Bord zu erfüllenden Aufgaben sei der Kläger nicht Fluggast im Sinne dieser Verordnung, sondern ein Besatzungsmitglied gewesen. Eine Haftung nach der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 komme daher nicht in Betracht. Mangels Fluggasteigenschaft scheide gemäß § 146 Abs 1 Z 1 LFG aber auch die Anwendbarkeit der Bestimmungen des X. Teils des LFG aus. § 333 Abs 3 ASVG gelange ebenfalls nicht zur Anwendung, weil sich diese Bestimmung nur auf Passagiere, nicht aber auf sonstige Insassen beziehe, denen eine erhöhte Haftpflicht nicht zugute komme. Mangels rechtswidrigen Verhaltens und wegen des Dienstgeberhaftungsprivilegs bestehe keine Haftung der erstbeklagten Partei.

IV. Unionsrechtliche Grundlagen:

1. Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. 10. 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr, ABl. L 285, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 5. 2002, ABl. L 140, S. 2, lauten:

Artikel 1

Diese Verordnung setzt die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr um und trifft zusätzliche Bestimmungen. Ferner wird der Geltungsbereich dieser Bestimmungen auf Beförderungen im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats ausgeweitet.

Artikel 2

(2) Die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe, die nicht in Absatz 1 definiert sind, entsprechen den im Übereinkommen von Montreal verwendeten Begriffen.

Artikel 3

(1) Für die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck gelten alle einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal.

...“

2. Art 17 Abs 1 des in Montreal geschlossenen Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. 5. 1999, das von der Europäischen Gemeinschaft am 9. 12. 1999 unterzeichnet und mit Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. 4. 2001, ABl. L 194, S. 39, in ihrem Namen genehmigt wurde (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), lautet:

Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

3. Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, ABl. L 138, S. 1, lauten:

Artikel 1

Zweck

(1) Diese Verordnung bezweckt die Festlegung von Mindestversicherungsanforderungen für Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte.

...

Artikel 2

Anwendungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, die innerhalb des Hoheitsgebiets, aus dem Hoheitsgebiet oder über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats fliegen, für das der Vertrag gilt.

Artikel 3

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

g) 'Fluggast' jede Person, die sich mit Zustimmung des Luftfahrtunternehmens oder des Luftfahrzeugbetreibers auf einem Flug befindet, mit Ausnahme der Dienst habenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder;

h) 'Dritter' jede juristische oder natürliche Person mit Ausnahme der Fluggäste und der Dienst habenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder;

Artikel 4

Versicherungsgrundsätze

(1) Die in Artikel 2 genannten Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber müssen gemäß dieser Verordnung hinsichtlich ihrer luftverkehrsspezifischen Haftung in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte versichert sein. […]

(3) Diese Verordnung lässt die Vorschriften über die Haftung aufgrund

- internationaler Übereinkommen, deren Vertragspartner die Mitgliedstaaten und/oder die Gemeinschaft sind,

- des Gemeinschaftsrechts und

- der nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unberührt.

V. Innerstaatliche Rechtsvorschriften:

1. Mit der LFG-Novelle BGBl I 2006/88 wurde der das Haftungs- und Versicherungsrecht regelnde X. Teil (§§ 146 bis 168) des LFG den europa- und völkerrechtlichen Entwicklungen im Luftfahrtrecht angepasst. § 146 LFG, der das Verhältnis zu internationalem Recht und zum Recht der Europäischen Gemeinschaft regelt, lautet auszugsweise:

(1) Die Bestimmungen dieses Teils regeln bestimmte Aspekte der zivilrechtlichen Haftung und der Haftpflichtversicherung für Schäden, die durch Luftfahrzeuge oder selbständig im Fluge verwendbares Luftfahrtgerät verursacht werden. Sie sind insoweit nicht anzuwenden, als

1. die Haftung in einem internationalen Übereinkommen oder in der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr ABl. Nr. L 285 vom 17. 10. 1997, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 , ABl. Nr. L 140 vom 30. 5. 2002, S. 2,

2. die Versicherungspflicht in der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen oder Luftfahrzeugbetreiber, oder

3. die gerichtliche Zuständigkeit in einem internationalen Übereinkommen oder in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2245/2004 ,

geregelt wird.

...

2. § 333 ASVG in der Fassung BGBl 1989/642 lautet:

(1) Der Dienstgeber ist dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalles oder durch eine Berufskrankheit entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat. Diese Einschränkung gilt auch gegenüber den Hinterbliebenen des Versicherten, wenn dessen Tod auf die körperliche Verletzung infolge des Arbeitsunfalles oder auf die Berufskrankheit zurückzuführen ist.

(2) Hat der Dienstgeber den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht, so vermindert sich der Schadenersatzanspruch des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen um die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

(3) Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 sind, unbeschadet der Bestimmungen des § 477, nicht anzuwenden, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb auf Grund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Der Dienstgeber haftet nur bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme, es sei denn, daß der Versicherungsfall durch den Dienstgeber vorsätzlich verursacht worden ist.

(4) Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 gelten auch für Ersatzansprüche Versicherter und ihrer Hinterbliebenen gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betrieb.

Rechtliche Beurteilung

VI. Berechtigung zur Vorlage:

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden (Art 267 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat in einem Verfahren nach Art 267 AEUV nur das befasste nationale Gericht sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden, das Unionsrecht betreffenden Fragen zu beurteilen (EuGH C-395/08 R n 18).

VII. Begründung der Vorlagefragen:

1. Vorbemerkungen:

1.1 Die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 setzt in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 geänderten Fassung die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck um und trifft zusätzliche Bestimmungen. Gemäß Art 3 Abs 1 der Verordnung gelten für die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck alle einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal. Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass die erstbeklagte Partei ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne des Art 2 Abs 1 lit b) der Verordnung ist.

1.2 Die Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal sind seit dessen Inkrafttreten für die Gemeinschaft am 28. 6. 2004 ein wesentlicher Bestandteil der Unionsrechtsordnung, sodass der Gerichtshof auch zur Vorabentscheidung über dessen Auslegung befugt ist (C‑63/09, Waltz Rn 20; C‑410-11, Espada Sánchez ua Rn 20).

1.3 Die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 und das Übereinkommen von Montreal betreffen nur die Haftung aus dem Beförderungsvertrag. Der Begriff des „Fluggasts“ wird in der Verordnung nicht definiert. Er entspricht daher gemäß deren Art 2 Abs 2 dem im Übereinkommen von Montreal verwendeten Begriff des „Reisenden“. Dieser Begriff wird im Übereinkommen ebenfalls nicht definiert. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt dazu nicht vor. Für die Anwendung des Haftungsregimes des Übereinkommens von Montreal auf den Schadenersatzanspruch des Klägers ist entscheidend, ob der Kläger auch unter den hier gegebenen Umständen „Reisender“ im Sinne von Art 17 Abs 1 des Übereinkommens war.

1.4 Nach der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 müssen Luftfahrtunternehmen (einschließlich der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft) und Luftfahrzeugbetreiber hinsichtlich ihrer luftverkehrsspezifischen Haftung versichert sein. In Art 3 lit g) dieser Verordnung wird der Begriff des „Fluggasts“ definiert. Auch zu dessen Auslegung gibt es noch keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist wesentlich, ob für den Schadenersatzanspruch des Klägers Deckung durch die obligatorische Haftpflichtversicherung besteht, ob der Kläger also versicherungsrechtlich geschützter „Fluggast“ war.

2. Zu den Fragen 1 und 2:

2.1 Nach allgemeiner Auffassung gilt als „Reisender“ im Sinne des Übereinkommens von Montreal, wer aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Luftfrachtführer durch ein Luftfahrzeug befördert wird ( Reuschle , Montrealer Übereinkommen³ [2011] Art 1 Rn 26; Giemulla in Giemulla/Schmid , Montrealer Übereinkommen Art 1 Rn 47). Nicht dem Übereinkommen unterliegen demnach Verhältnisse, in denen überhaupt kein Vertrag oder zwar ein Vertrag, aber kein Beförderungsvertrag abgeschlossen wurde. Im Schrifttum werden aus diesem Grund etwa der „blinde Passagier“, aus Gefälligkeit beförderte Personen, Flugschüler während des Ausbildungsverhältnisses, Bordbedienstete oder sonstige Angestellte des Luftfrachtführers, welche die Reise nicht aufgrund eines Beförderungsvertrags, sondern aufgrund eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses unternehmen, nicht zu den „Reisenden“ gezählt ( Reuschle, Montrealer Übereinkommen³ [2011] Art 1 Rn 26 und Art 17 Rn 65 ff; Giemulla in Giemulla/Schmid , Montrealer Übereinkommen Art 1 Rn 35).

2.2 In dem vom Obersten Gerichtshof zu beurteilenden Fall lag der Hauptzweck des Flugs nicht in der bloßen Beförderung der Insassen, sondern darin, durch das Abwerfen von Sprengladungen den künstlichen Abgang von Lawinen zu erzeugen. Flüge mit dieser oder ähnlicher Zweckbestimmung werden in der Literatur als „Arbeitsflüge“ (auch „Luftarbeit“; „aerial work“) bezeichnet ( Janezic , Luftarbeit ‑ Versuch einer Definition, ZLW 2010, 520 [521]); Schwenk/Giemulla , Handbuch des Luftverkehrsrechts 4 [2013] Kap 7 Rn 387 ff). Entsprechende Begriffsbestimmungen finden sich in völkerrechtlichen, unionsrechtlichen und nationalen Regelwerken, nicht aber im Übereinkommen von Montreal und in der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 .

2.2.1 So lautet es im ICAO-Annex 6 Part III Section I Chapter 1. Definitions zum Abkommen von Chicago über die internationale Zivilluftfahrt vom 7. 12. 1944:

„Aerial work. An aircraft operation in which a helicopter aircraft is used for specialized services such as agriculture, construction, photography, surveying, observation and patrol, search and rescue, aerial advertisement etc.

(siehe dazu Dettling‑Ott/Kamp in Hobe/von Ruckteschell, Kölner Kompendium des Luftrechts I [2008] Teil III D Rn 17).

2.2.2 In der österreichischen Rechtsordnung enthält § 2 Abs 4 der Zivilluftfahrzeug- und Luftfahrtgerät-Verordnung (ZLLV) in der hier interessierenden Fassung BGBl II 2005/424 eine sinngemäße Definition:

Arbeitsflüge sind Flüge, deren Zweck nicht in der Durchführung des Fluges selbst oder in einer Beförderung besteht. Dazu zählen insbesondere Streu- und Sprühflüge, Schädlingsbekämpfungsflüge, Flüge zum Abwerfen von Sachen, Foto-, Film- und Vermessungsflüge sowie Schleppflüge.

2.2.3 Eine unionsrechtliche Begriffsbestimmung der „Luftarbeit“ findet sich etwa in Art 2 Abs 2 lit a) der Verordnung (EG) Nr. 2096/2005 der Kommission vom 20. 12. 2005 zur Festlegung gemeinsamer Anforderungen bezüglich der Erbringung von Flugsicherungsdiensten:

„'Luftarbeit' ist Flugbetrieb, bei dem ein Luftfahrzeug für besondere Dienste wie in der Landwirtschaft, bei Bauarbeiten, Fotografie, Vermessung, Beobachtung und Überwachung, Suche und Rettung oder zur Luftwerbung eingesetzt wird.

2.2.4 Ähnlich lautet die Definition des „Arbeitsflugs“ in Art 2 Z 12 der ‑ zur Zeit des Unfalls noch nicht in Geltung stehenden ‑ Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 der Kommission vom 26. 9. 2012 zur Festlegung gemeinsamer Luftverkehrsregeln und Betriebsvorschriften für Dienste und Verfahren der Flugsicherung, auf die hier nur zur Illustration verwiesen wird:

„'Arbeitsflug': ein Luftfahrzeugeinsatz, bei dem ein Luftfahrzeug für besondere Zwecke benutzt wird, wie z.B. Landwirtschaft, Baugewerbe, Photographie, Geodäsie, Beobachtung und Überwachung, Such- und Rettungsdienst, Werbung aus der Luft usw.

2.2.5 Schließlich werden „Luftarbeitseinsätze“ unter gewissen Voraussetzungen vom Anwendungsbereich der gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen mit Hubschraubern relevanten JAR‑OPS 3, auf die in mehreren Bestimmungen der nationalen Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung und Aufrechterhaltung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) 2008, BGBl II 2008/83, Bezug genommen wird, ausgeschlossen und damit dem nicht gewerbsmäßigen Betrieb von Luftfahrzeugen gleichgestellt (JAR-OPS 3.001 lit a) Abs 3).

2.3 Nach dem Wortlaut der Begriffsbestimmung des Art 3 lit g) der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 wäre der Kläger „Fluggast“, sofern er nicht aufgrund der besonderen Umstände seiner Beförderung zu den Besatzungsmitgliedern zählt. Für Letzteres könnte sprechen, dass er während des Flugs die Tür des Hubschraubers zu öffnen und offen zu halten hatte und dabei den Anweisungen des Piloten unterworfen war. Das von ihm dabei übernommene Risiko, das sich mit dem Schadensfall verwirklicht hat, geht über das übliche Risiko einer Beförderung hinaus. War der Kläger weder „Fluggast“ noch Besatzungsmitglied, wäre er nach Art 3 lit h) der Verordnung als „Dritter“ anzusehen.

2.4 Die Auslegung des Begriffs „Fluggast“ laut Art 3 lit g) der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 ist für die Entscheidung des gegenständlichen Rechtsstreits in zweifacher Hinsicht von Bedeutung:

2.4.1 Obwohl die Begriffsbestimmung in Art 3 lit g) der Verordnung nur „im Sinne dieser Verordnung“ zu verstehen ist und die im Übereinkommen von Montreal enthaltenen Vorschriften über die Haftung nach Art 4 Abs 3 erster Teilstrich der Verordnung unberührt bleiben, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Begriffsbestimmung zu dem im Übereinkommen von Montreal verwendeten Begriff des „Reisenden“, dem ‑ wie erwähnt ‑ der auch in der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 verwendete Begriff des „Fluggasts“ entspricht. Mit der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 wurde das Ziel einer europaweiten Vereinheitlichung der Haftungsbestimmungen für die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft verfolgt, wie dies etwa in den Erwägungsgründen 6 und 9 dieser Verordnung zum Ausdruck kommt. Mit der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 wurden die versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen für diese Haftungsregelungen geschaffen. Laut Erwägungsgrund 1 dieser Verordnung muss im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik und zur Förderung des Verbraucherschutzes ein angemessener Mindestversicherungsschutz für die Haftung der Luftfahrtunternehmen in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte gewährleistet sein. Die Erwägungsgründe 5 und 6 verweisen auf das Übereinkommen von Montreal, nach dessen Art 50 die Vertragsstaaten Luftfahrtunternehmen verpflichten müssen, sich zur Deckung ihrer Haftung nach diesem Übereinkommen angemessen zu versichern. Nach Erwägungsgrund 14 sollte die Versicherung die „luftverkehrsspezifische Haftung“ in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte decken (in diesem Sinne Art 4 Abs 1 erster Satz der Verordnung).

Diese unionsrechtliche Entwicklung auf dem Gebiet des Luftfahrtrechts und die dafür maßgeblichen Erwägungen legen es nach Ansicht des Senats nahe, von einem einheitlichen Verständnis der Begriffe des „Reisenden“ im Übereinkommen von Montreal und des „Fluggasts“ in der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 auszugehen. Sollte der Europäische Gerichtshof dieser Auffassung folgen, wäre der Kläger, so ihm die Rechtsstellung eines „Fluggasts“ zukäme, auch „Reisender“ im Sinne des Übereinkommens von Montreal.

2.4.2 War der Kläger nicht „Fluggast“ sondern Besatzungsmitglied, wäre der Fall nach nationalem Schadenersatzrecht zu lösen. Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 bestand dann in Bezug auf die Person des Klägers auch keine Versicherungspflicht der erstbeklagten Partei. Da eine solche auch nach nationalem Recht nicht gegeben wäre ‑ § 164 Abs 2 LFG stellt in Umsetzung der Verordnung auf die Eigenschaft als „Fluggast“ ab ‑, käme die in § 333 Abs 3 ASVG normierte Ausnahmebestimmung zum Dienstgeberhaftungsprivileg nicht zum Tragen, weil diese nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur die durch eine Haftpflichtversicherung gedeckten Schäden umfasst und dabei ausschließlich auf die obligatorische Haftpflichtversicherung abgestellt wird (RIS‑Justiz RS0085140, RS0085182, RS0109871). Zum Haftungsausschluss nach § 333 Abs 1 ASVG kann es aber auch kommen, wenn einander zwei Betriebsunternehmer als Vertragskontrahenten gegenüberstehen und der Verletzte die Sphäre seines eigenen Betriebs verlassen und sich in den Aufgabenkreis des anderen Unternehmens, wenn auch nur kurzfristig, eingeordnet hat (RIS-Justiz RS0021534, RS0084172). Diese Rechtslage könnte, sofern die Ausnahmeregelung des § 333 Abs 3 ASVG nicht zum Tragen kommt, unter Umständen zu einem Haftungsausschluss der erstbeklagten Partei führen.

3. Zur Frage 3:

Für den Fall aber, dass der Europäische Gerichtshof den in Punkt 2.4.1 dargelegten Überlegungen des Senats nicht folgen oder dem Begriff des „Fluggasts“ in der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 ein weiteres Verständnis beimessen sollte, als jenem des „Reisenden“ im Übereinkommen von Montreal, bedarf es unabhängig von der Auslegung der Begriffsbestimmung in Art 3 lit g) der Verordnung der Klärung, ob der Kläger unter den gegebenen Umständen als „Reisender“ im Sinne des Art 17 Abs 1 des Übereinkommens anzusehen ist. Aus diesem Grund wird der Europäische Gerichtshof um entsprechende Auslegung dieses Begriffs ersucht.

VIII. Verfahrensrechtliches:

Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht. Solche Zweifel liegen hier vor.

Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist das Verfahren über das Rechtsmittel der beklagten Parteien auszusetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte