OGH 4Ob200/13k

OGH4Ob200/13k17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. A***** M*****, 2. Dr. K***** P*****, 3. W***** S*****, 4. M***** N*****, 5. S***** G*****, 6. Mag. M***** P*****, 7. W***** P*****, 8. Mag. D***** S*****, 9. R***** B*****, 10. C***** F*****, 11. M***** W*****, 12. Mag. K***** M*****, 13. M***** K*****, 14. B***** M*****, 15. Dr. A***** Z*****, 16. Mag. M***** L*****, 17. W***** P*****, 18. J***** P*****, 19. A***** P*****, 20. E***** D*****, 21. Dr. D***** A***** D*****, 22. Mag. N***** K*****, 23. A***** K*****, 24. Dr. R***** S*****, 25. I***** S*****, 26. A***** I***** D***** L*****, 27. J***** A*****, 28. M***** P*****, 29. L***** P*****, 30. M***** A***** G***** S*****, 31. L***** S*****, 32. C***** M***** C*****, 33. S***** G***** C*****, alle vertreten durch Mag. Stefan Gamsjäger, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wider die Antragsgegnerin I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Enteignungsentschädigung gemäß §§ 4 ff, 22 ff EisbEG, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 12. September 2013, GZ 10 R 63/13k‑28, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 31. Mai 2013, GZ 60 Nc 43/12s‑23, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellern die mit 2.458,26 EUR (darin 409,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 24. 2. 2012 wurde über Antrag der Antragsgegnerin nach Rechtskraft des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheids gemäß §§ 2 ff iVm § 17 Abs 1 EisbEG eine in einer entsprechenden Plandarstellung ausgewiesene Teilfläche im Ausmaß von 228 m² der Liegenschaft in EZ ***** GB *****, Gst 1478/1, die im (Wohnungs‑)Eigentum der Antragsteller steht, für die Verwirklichung des Bauvorhabens „Verlängerung der Straßenbahnlinie 3 zwischen der Haltestelle Sillpark und Fischerhäuslweg“ zu Gunsten der Antragsgegnerin im Wege der Enteignung dauernd abgetreten. Die enteignete Fläche liegt vor der Straßenfluchtlinie; diese wurde 2007 durch den Bebauungsplan der Stadtgemeinde I***** per 14. 2. 2007 derart festgelegt, dass die nunmehr enteignete Fläche seit damals einer nicht bebaubaren Fläche entspricht (was auch der Errichtung von Nebengebäuden und Nebenanlagen, wie etwa Garagen oder Abstellplätzen, entgegensteht).

Die Antragsteller als Mit‑(Wohnungs‑)eigentümer der von der Enteignung betroffenen Liegenschaft begehren die gerichtliche Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung gemäß §§ 18, 22 ff EisbEG mit zuletzt 334.431,48 EUR (Verkehrswert enteignetes Teilgrundstück 228 m² zu 800 EUR/m² = 182.400 EUR zuzüglich 150.000 EUR für Bepflanzung zuzüglich 5.000 EUR für ca 30 m² verlorener Bauaufwand für Asphaltierung).

Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung mit 53.410,25 EUR fest und ging bei der Bemessung der Entschädigung davon aus, dass die vorweggenommene Wertminderung durch den Bebauungsplan im Jahr 2007 nicht zu berücksichtigen sei. Zwar sei grundsätzlich ein im Zeitpunkt der Enteignung niedrigerer Verkehrswert um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen; dies gelte jedoch nicht, wenn das Gesetz für die planerische Maßnahme, die der eigentlichen Enteignung vorausgeht, eine eigene Entschädigung anordne. Solches sei hier der Fall, da die betroffene enteignete Fläche unter den Voraussetzungen des § 58 Abs 3 TROG in dem nach § 58 iVm § 52 TROG und § 65 und § 66 Tiroler Straßengesetz vorgesehenen Verfahren zu entschädigen sei. Die Vorwirkungen der Enteignung könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob eine in die örtliche Raumplanung fallende Maßnahme (hier: Straßenfluchtlinie), die letztlich durch eine in die Fachkompetenz des Bundes fallende Baubewilligung (hier: Eisenbahnwesen) umgesetzt werde, bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung als negative Vorwirkung zu berücksichtigen sei.

Maßgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung sei grundsätzlich die Rechtskraft des Enteignungsbescheids (hier der 12. 3. 2012). Eine Vorverlegung des Bemessungszeitpunkts sei aber erforderlich, wenn Vorwirkungen der Enteignung die wertbestimmenden Eigenschaften des Grundstücks veränderten. Der im Zeitpunkt der Enteignung niedrigere Verkehrswert sei in diesem Fall um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen; die Entschädigung sei also so zu bemessen, als hätte es diese Vorwirkung nicht gegeben. Anderes gelte allerdings dann, wenn das Gesetz für jene (meist planerische) Maßnahme, die der eigentlichen Enteignung vorausgehe, eine eigene Entschädigung anordne. In diesem Fall seien die mit dieser Maßnahme verbundenen Vermögensnachteile im dafür vorgesehenen Verfahren geltend zu machen. Die Entschädigung für die nachfolgende formelle Enteignung sei dann auf der Grundlage der durch die Maßnahme bewirkten Nutzungsbeschränkungen zu bestimmen.

Im Anlassfall sei es den Antragstellern schon deshalb nicht mehr möglich, eine Entschädigung nach dem TROG zu erlangen, da die enteignete Teilfläche bereits an die Antragsgegnerin dauernd abgetreten worden sei. Der im Zeitpunkt der Enteignung infolge Festsetzung der Strassenfluchtlinie im Jahr 2007 niedrigere Verkehrswert sei daher um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen. Damit sei die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif, da die Bewertung als unbebaubare Fläche durch das Erstgericht ausschließlich auf den Zeitpunkt 12. 3. 2012 bezogen sei. Im fortgesetzten Verfahren werde daher die Erlassung des Bebauungsplans per 14. 2. 2007 als negative Vorwirkung außer Acht zu lassen und der Sachverständige zu ersuchen sein, den Verkehrswert der enteigneten Teilfläche per 12. 3. 2012 so zu erheben, als hätte es diese Vorwirkung (nämlich die Verlegung der Straßenfluchtlinie) nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist unzulässig. Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab.

1. Das Rekursgericht hat die Rechtslage zutreffend dargestellt. Diese wird in der Entscheidung 4 Ob 63/11k wie folgt zusammengefasst:

„Maßgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung ist grundsätzlich die Rechtskraft des Enteignungsbescheids (1 Ob 4/93 = JBl 1994, 252; RIS‑Justiz RS0085888 [T10, T12, T13, T15]; zuletzt etwa 9 Ob 74/08k = Zak 2009, 375); ältere Rechtsprechung, die auf den Enteignungsbescheid erster Instanz abstellte (RIS‑Justiz RS0053526), ist überholt. Eine Vorverlegung des Bemessungszeitpunkts ist aber erforderlich, wenn Vorwirkungen der Enteignung die wertbestimmenden Eigenschaften des Grundstücks verändern (6 Ob 802/81 = SZ 56/82; 6 Ob 530/85 = EvBl 1987/79; RIS‑Justiz RS0058050, RS0053595). Beispiele sind etwa eine Bausperre oder die Widmung als Verkehrsfläche und die dadurch bewirkte Wertminderung der (später) enteigneten Fläche (RIS‑Justiz RS0053595). Der im Zeitpunkt der Enteignung niedrigere Verkehrswert ist in diesem Fall um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen; die Entschädigung ist also so zu bemessen, als hätte es diese Vorwirkung nicht gegeben (Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch des Enteignungsrechts [1994] 258).

Anderes gilt allerdings dann, wenn das Gesetz für jene (meist planerische) Maßnahme, die der eigentlichen Enteignung vorausgeht, eine eigene Entschädigung anordnet. In diesem Fall sind die mit dieser Maßnahme verbundenen Vermögensnachteile im dafür vorgesehenen Verfahren geltend zu machen (Rummel aaO; 1 Ob 1/94 = SZ 67/27; RIS‑Justiz RS0057982), und zwar auch dann, wenn die Entschädigung nach den dafür maßgebenden Bestimmungen nur in einem eingeschränkten Umfang ‑ etwa nur im Fall einer 'besonderen Härte' (§ 34 Abs 1 stmkROG) ‑ zu leisten ist (1 Ob 1/94 = SZ 67/27; RIS‑Justiz RS0057982). Die Entschädigung für die nachfolgende formelle Enteignung ist dann auf der Grundlage der durch die Maßnahme bewirkten Nutzungsbeschränkungen zu bestimmen.“

2.1. Dem Rekursgericht ist weiters darin beizupflichten, dass das in § 58 Abs 3 TROG vorgesehene Einlösungsverfahren hier nicht zur Anwendung gelangen kann, da nunmehr infolge Erteilung der eisenbahnrechtlichen Bewilligung eine Straßenbaubewilligung für die selbe Grundstücksfläche ausgeschlossen ist und das in dieser Bestimmung vorgesehene Einlösungsverfahren ausdrücklich an eine Straßenbaubewilligung anknüpft.

2.2. Davon abgesehen können die Antragsteller das in § 58 Abs 3 TROG vorgesehene Einlösungsverfahren schon deshalb nicht einleiten, weil der betroffene Grundstücksteil bereits an die Antragsgegnerin abgetreten worden ist.

2.3. Damit mangelt es an einem Entschädigungsverfahren außerhalb des EisbEG, in dem die Antragsteller eine Entschädigung für die bloß planerische Maßnahme der Festlegung der Straßenfluchtlinie erlangen könnten. Der im Zeitpunkt der Enteignung niedrigere Verkehrswert ist daher hier um die vorwirkungsbedingte Wertminderung zu erhöhen.

3.1. Die Revisionsrekurswerberin wendet sich gegen die vom Rekursgericht ergänzend getroffene Feststellung, die Straßenfluchtlinie sei „im Hinblick auf das Straßenbahnprojekt“ festgelegt worden; diese ‑ dem Enteignungsbescheid entnommene ‑ Begründung habe die Antragsgegnerin bestritten, das Erstgericht habe keine entsprechende Feststellung getroffen.

3.2. Ohne dies ausdrücklich zu sagen, macht die Antragsgegnerin damit inhaltlich einen Verfahrensmangel des Rekursverfahrens geltend. Auf die vom behaupteten Verfahrensmangel betroffene Feststellung kommt es jedoch nicht an, da die Antragsteller ‑ wie zuvor aufgezeigt ‑ das in § 58 Abs 3 TROG vorgesehene Entschädigungsverfahren nicht in Anspruch nehmen können. Damit bedarf es aber keiner Prüfung des behaupteten Verfahrensverstoßes, da dieser nicht abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (vgl RIS‑Justiz RS0043027, RS0043049).

4. Der Streitfall kann bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung 4 Ob 63/11k, gelöst werden; der Revisionsrekurs ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen (vgl RIS‑Justiz RS0042656 [T48]).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 44 EisbEG iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da die Antragsteller in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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