Spruch:
Im Verfahren AZ 183 Ns 2/13x des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen
1./ das Unterlassen der Anhörung des Roberto S***** trotz aktenkundiger Adresse im Inland vor Beschlussfassung über die Übernahme der Vollstreckung der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten verhängten Geldsanktion § 53c Abs 5 EU‑JZG;
2./ der Beschluss vom 16. Mai 2013 auf Übernahme der Vollstreckung der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Juli 2011 verhängten Geldsanktion § 53a Z 2 lit a EU‑JZG.
Dieser Beschluss wird aufgehoben.
Die mit Ersuchen des deutschen Bundesamtes für Justiz vom 19. April 2013 begehrte Vollstreckung der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Juli 2011, AZ 246b Cs 221 Js 1217/11 (264/11), wird abgelehnt.
Roberto S***** wird mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Das deutsche Bundesamt für Justiz ersuchte mit Note vom 19. April 2013 unter Bezugnahme auf den Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (im Folgenden: RB Geldstrafen) in Verbindung mit dem Rahmenbeschluss Abwesenheitsentscheidungen 2009/299/JI um Übernahme der Vollstreckung der über den österreichischen Staatsbürger Roberto S***** mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Juli 2011, rechtskräftig seit 8. August 2011, AZ 246b Cs 221 Js 1217/11 (264/11), verhängten Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 15 Euro zuzüglich 123,50 Euro Verfahrenskosten.
Inhaltlich des dem Ersuchen beigelegten Strafbefehls hat Roberto S***** in Berlin im Zeitraum vom 2. bis 9. Februar 2011 durch zehn selbständige Handlungen die Vergehen nach §§ 185, 241, 53, 77 (d)StGB begangen, davon in fünf Fällen (Fälle 1, 3, 4, 5, 10) Menschen mit der Begehung eines gegen sie gerichteten Verbrechens bedroht (a./) und in weiteren fünf Fällen (Fälle 2, 6, 7, 8, 9) andere Personen beleidigt (b./), indem er von dem in seiner Wohnung in *****, befindlichen Rechner über eine an ihn vergebene IP‑Adresse E‑Mails an die Botschaft von Burkina Faso in Berlin versandte.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien übernahm ‑ ohne den im Inland ladbaren Roberto S***** (ON 1 S 11; siehe auch ZMR ON 1 S 37) dazu zu hören ‑ mit Beschluss vom 16. Mai 2013, GZ 183 Ns 2/13x‑2, die Vollstreckung der mit dem bezeichneten Strafbefehl verhängten Geldstrafe „in Höhe von insgesamt 3.000 Euro (200 Tagessätze zu je 15 Euro) zuzüglich 123,50 Euro Verfahrenskosten“ gemäß § 53 Abs 1 EU‑JZG und setzte die im Inland zu vollstreckende Geldstrafe mit denselben Beträgen, insgesamt 3.123,50 Euro fest.
Mit Beschluss vom 28. Juli 2013, GZ 183 Ns 2/13x‑5, bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien Roberto S***** gemäß § 409a Abs 1 und 2 Z 2 StPO die Zahlung der Geldstrafe in 24 Monatsraten zu je 125 Euro, beginnend mit 1. September 2013. Über seine dagegen erhobene Beschwerde (ON 6) hat das Oberlandesgericht Wien bislang nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Das Verfahren und der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2013, stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Gemäß § 53c Abs 5 EU‑JZG ist vor der Entscheidung über die Vollstreckung der Betroffene ua zu den Voraussetzungen der Vollstreckung zu hören, sofern er im Inland „geladen werden kann“. Das in der genannten Bestimmung statuierte rechtliche Gehör verletzte das Landesgericht durch Entscheidung in der Sache, indem es dem von der Vollstreckung Betroffenen trotz aktenkundiger Adresse in Wien keine Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte.
2./ Das österreichische Gericht hat die Inlandsvollstreckung einer im Ausstellungsstaat verhängten Geldsanktion abzulehnen, wenn einer der in § 53a EU‑JZG normierten Gründe vorliegt. Selbst wenn die (positiven) materiellen Erfordernisse für eine Inlandsvollstreckung gemäß § 53 EU‑JZG erfüllt sind, führt ein Ablehnungsgrund ‑ als negative materielle Voraussetzung ‑ zur Unzulässigkeit der inländischen Vollstreckung (EBRV EU‑JZG‑ÄndG 2007 48 BlgNR 23. GP 12). Etwaige Ablehnungsgründe sind grundsätzlich (lediglich) anhand der Angaben in der Bescheinigung zu überprüfen (EBRV EU‑JZG‑ÄndG 2007 aaO; Einführungserlass vom 24. Juli 2007 EU‑JZG‑ÄndG 2007, 4 f).
Nach § 53a Z 2 lit a EU‑JZG ist die Vollstreckung unzulässig, wenn die der Entscheidung zugrunde liegende Tat „im Inland oder an Bord eines österreichischen Schiffes oder Luftfahrzeuges begangen worden ist“. Nach dem deutschen Strafbefehl versandte Roberto S***** die E‑Mails, die nach dem Text teilweise als gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (Fälle 1, 3, 4 [im Zusammenhang mit 3], 5, 10), teilweise als Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB (Fälle 2, 6, 7, 8, 9) subsumierbare, nach österreichischem Recht gerichtlich strafbare Taten enthalten (zur Frage der Normidentität s Höpfel/U. Kathrein in WK2 StGB § 65 Rz 5, 13), von dem in seiner Wohnung in ***** Wien, *****, befindlichen Rechner an die Botschaft von Burkina Faso in Berlin (BS 2).
Gemäß § 74 Abs 2 StGB hat der Täter eine mit Strafe bedrohte Handlung an jedem Ort begangen, an dem er gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen. Bei Distanzdelikten ‑ wie hier ‑ ist sowohl der Ort der Handlung (Versenden von E-Mails) als auch der Ort des Erfolgs Tatort (Höpfel/U. Kathrein in WK2 StGB § 67 Rz 3; Fabrizy, StGB11 § 67 Rz 3). Die dem Vollstreckungsersuchen zugrundeliegenden Taten wurden somit zumindest auch im Inland begangen.
Zufolge der ohne jedwede Einschränkung das Territorialitätsprinzip wahrenden Bestimmung des ‑ Artikel 7 Absatz 2 lit d Z i RB Geldstrafen entsprechenden (EBRV EU‑JZG-ÄndG 2007 48 BlgNR 23. GP 12) ‑ § 53a Z 2 lit a EU‑JZG war die vorliegende Übernahme der Vollstreckung unzulässig.
Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt sich zum Nachteil des Betroffenen aus, sodass der Beschluss auf Übernahme der Vollstreckung aufzuheben war. Einer Aufhebung (zur Klarstellung) des davon rechtslogisch abhängigen Ratenzahlungsbeschlusses vom 28. Juli 2013 bedarf es nicht (RIS‑Justiz RS0100444).
Die Übernahme der Vollstreckung war demgemäß abzulehnen (§ 292 letzter Satz StPO).
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