OGH 2Ob124/13v

OGH2Ob124/13v14.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. T***** B*****, und 2. W*****AG, *****, beide vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 103.619,82 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. März 2013, GZ 16 R 220/12h-64, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 8. August 2012, GZ 24 Cg 109/10t-59, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des ausreichenden Seitenabstands zwischen einem mit 100 km/h nachkommenden überholenden Motorrad und einem langsam fahrenden einspurigen Fahrzeug existiere.

Die Entscheidung hängt indes nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

Rechtliche Beurteilung

1. Eine allgemeine Regel über die Größe des Sicherheitsabstands lässt sich nicht aufstellen; sie wird von den gefahrenen Geschwindigkeiten und der Art des überholten Fahrzeugs abhängen. Die Beantwortung der Frage, welcher seitlicher Abstand als „entsprechend“ iSd § 15 Abs 4 StVO anzusehen ist, hängt von der jeweiligen Verkehrssituation im Einzelfall ab und ist unter Bedachtnahme auf die Fahrgeschwindigkeit und Art des überholten Fahrzeugs zu beurteilen (RIS-Justiz RS0073973). Der Seitenabstand muss umso größer sein, je höher die Fahrgeschwindigkeit des überholenden Fahrzeugs und je labiler das überholte Fahrzeug (mehrspurig, einspurig) ist. Beim Überholen eines einspurigen Fahrzeugs ist unter normalen Umständen ein Seitenabstand von einem Meter ausreichend, nicht aber bei einer Fahrgeschwindigkeit von 85 bis 100 km/h und einer Sichtbehinderung gegenüber dem zu überholenden Fahrzeug (RIS-Justiz RS0074003; vgl RS0119750). Der Überholende darf den Seitenabstand nicht größer als nach § 15 Abs 4 StVO erforderlich wählen, denn auch er bleibt an die Grundregel des § 7 Abs 1 StVO gebunden, wonach jeweils so weit rechts zu fahren ist, als dies unter Bedachtnahme auf Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist (RIS-Justiz RS0073342).

2. Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass der Erstbeklagte, der mit seinem Motorrad bei einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h zum Überholen des mit etwa 45 km/h fahrenden Motorfahrrads des Klägers - der sodann plötzlich zum Linksabbiegen auslenkte - ansetzte, einen Seitenabstand von 1,5 m gewählt hatte. Aufgrund des Linkszugs des Klagsfahrzeugs wäre nur ein besonders großer Seitenabstand des Beklagtenfahrzeugs (Fahren nahe dem linken Fahrbahnrand) unfallvermeidend gewesen. Der Kläger hingegen hätte den Unfall durch einen Blick in den Außenspiegel vor Abbiegebeginn vermeiden können.

3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach bei der konkreten Sachlage ein Seitenabstand von 1,5 m ausreichend sei, hält sich im Rahmen der oben zitierten Rechtsprechung und stellt insbesondere aufgrund des Umstands, dass auch ein etwas größerer Seitenabstand nicht unfallvermeidend gewesen wäre, keine (grobe) Fehlbeurteilung dar, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre.

4. Die Kosten der Revisionsbeantwortung waren den Beklagten nicht zuzusprechen, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Klägers nicht hingewiesen haben und daher die Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

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