OGH 11Os73/13i

OGH11Os73/13i17.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin, in der Rechtshilfesache wegen Vernehmung von Mag. (FH) Daniela G***** als Beschuldigte für die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (CH), AZ 2 HSt 27/12k der Staatsanwaltschaft Feldkirch, über den Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO der Beschuldigten Mag. (FH) Daniela G***** und Gerhard G***** nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Erneuerungsantrag wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 31. Dezember 2012, AZ 27 HR 288/12p (ON 14 der Ermittlungsakten), und des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 15. März 2013, AZ 11 Bs 39/13t (ON 20 der Ermittlungsakten), werden insoweit aufgehoben, als sie nicht das Rechtshilfeersuchen im Zusammenhang mit dem Verdacht von Straftaten zum Nachteil der Eidgenössischen Steuerverwaltung betreffen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Gewährung von Rechtshilfe abgelehnt.

Die Akten werden der Staatsanwaltschaft Feldkirch zur Erledigung des übrigen Rechtshilfeersuchens übermittelt.

Text

Gründe:

Über Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom 25. Juni 2012, AZ ST.2010.33816, ordnete die Staatsanwaltschaft Feldkirch am 30. Juli 2012 zu 2 HSt 27/12k die ‑ insbesondere anhand des sämtliche Vorwürfe betreffenden Fragenkatalogs vorzunehmende ‑ Vernehmung der Beschuldigten Mag. (FH) Daniela G***** durch das Landeskriminalamt des Landespolizeikommandos Vorarlberg an (ON 2 und 3 der Ermittlungsakten).

Nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens behängt bei der genannten schweizer Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen Gerhard G*****, Mag. (FH) Daniela G***** und Ewald S*****, die im Verdacht (I.) des gewerbsmäßigen Betrugs nach Art 146 Abs 2 des schweizer Strafgesetzbuches (chStGB) stünden. Zudem (II.) habe das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO am 18. Mai 2011 eine Klage wegen Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb eingereicht und einen Strafantrag wegen Täuschung über den Kaufpreis, Täuschung über die Waren, Täuschung über das Widerrufsrecht, Täuschung über die Hotline und wegen aggressiver Verkaufsmethoden nach Art 23 Abs 1 iVm Art 3 des schweizer Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (chUWG) gestellt. Gerhard G***** und Mag. (FH) Daniela G***** stünden zudem (III.) im Verdacht der Urkundenfälschung und des Betrugs zum Nachteil der Eidgenössischen Steuerverwaltung nach Art 146 und 251 chStGB.

Die Eheleute G***** würden (I. und II.) über die im August 2010 im Handelsregister eingetragene D***** GmbH (idF D*****) sowie die T***** AG (idF T*****) und die F***** AG mit Sitz in F***** und andere unter dem gleichen Firmendach befindliche Gesellschaften Waren via Internet und Television zum Verkauf anbieten.

Die D***** sei ein zum Schein, nämlich insbesondere zur Erschwerung der Geltendmachung von Ansprüchen der Besteller, etabliertes Franchiseunternehmen der T*****.

Ua durch die Behauptung einer jeweils von den Kunden zu vertretenden Wertminderung der zurückgesandten Waren seien „über 90“ (namentlich nicht angeführte) Kunden teilweise um ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises geprellt worden. Zudem sei ein durch Mehrwertnummern gebührenpflichtiger Kundendienst (Hotline) betrieben worden, den die Kunden auch dafür in Anspruch genommen hätten, um die jeweilige RMA-Nummer (Return Merchandise Authorization) zu erhalten, mit deren Hilfe die Retournierung der Waren angeblich rasch und reibungslos vonstatten ginge. Tatsächlich habe es sich bei dieser im Grunde nutzlosen Nummer um die von hinten gelesene Auftragsnummer gehandelt. Die für die Kunden kostspieligen Telefonate seien daher überflüssig gewesen.

Gerhard G***** und Mag. (FH) Daniela G***** stünden zudem (III.) im Verdacht, sich dadurch der Urkundenfälschung und des Betrugs schuldig gemacht zu haben, dass sie im Namen der D***** in H***** vom 3. Quartal 2010 bis zum 1. Quartal 2011 der Eidgenössischen Steuerverwaltung Warenexporte gemeldet und dadurch eine Mehrwertsteuerrückvergütung von insgesamt 835.374,17 CHF erlangt hätten, obwohl die betreffenden Waren nicht von der Schweiz, sondern vom Fürstentum Liechtenstein, von Österreich und von Deutschland an die Kunden verschickt worden seien.

Gegen die Anordnung der Beschuldigtenvernehmung erhoben sowohl Mag. (FH) Daniela G***** als auch Gerhard G***** (einen ersichtlich auf § 106 StPO gestützten, in einem gemeinsamen Schriftsatz ausgeführten) Einspruch (ON 5, ergänzend ON 7 und 14a) und brachten ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ vor, die Gewährung der Rechtshilfe im angeordneten Umfang sei aufgrund der Sperrwirkung gemäß Art 54 SDÜ wegen einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heilbronn vom 16. Dezember 2011, AZ 56 Js 376/11, und einen Einstellungsbeschluss des liechtensteinischen Fürstlichen Landgerichts vom 31. Mai 2012, AZ 12 UR.2011.238, rechtswidrig.

In ihrer Äußerung zu diesen Einsprüchen (ON 10) teilte die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen unter Berufung auf beigelegte Entscheidungen der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 1. Februar 2012, AZ AK.2012.18.AK (ST.2010.33816), und des Bundesgerichts vom 2. April 2012, AZ 1B-148/2012, mit, wie bisher um Rechtshilfe zu ersuchen. Art 54 SDÜ komme im gegenständlichen Fall weder in Bezug auf die Erledigung der Staatsanwaltschaft Heilbronn noch betreffend die Entscheidungen im Fürstentum Liechtenstein zum Tragen; der Vorwurf der Urkundenfälschung und des Mehrwertsteuerbetrugs zum Nachteil der Eidgenössischen Steuerverwaltung sei nie Gegenstand der Verfahren in Deutschland und Liechtenstein gewesen.

Mit Beschluss vom 31. Dezember 2012, AZ 27 HR 288/12p (ON 14 der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Feldkirch), wies das Landesgericht Feldkirch den Einspruch der Mag. (FH) Daniela G***** ebenso ab wie den Antrag auf Einholung von Auskünften des Fürstlichen Landgerichts und der Staatsanwaltschaft Heilbronn; den Einspruch des Gerhard G***** wies es zurück.

Der dagegen (in einem gemeinsamen Schriftsatz) erhobenen Beschwerde des Gerhard G***** und der Mag. (FH) Daniela G***** (ON 15) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 15. März 2013, AZ 11 Bs 39/13t (ON 20 der Ermittlungsakten), nicht Folge.

In Übereinstimmung mit dem Erstgericht verneinte das Beschwerdegericht die Legitimation des Gerhard G***** zur Erhebung eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO, weil eine Verletzung seiner Person in einem nach der Strafprozessordnung gewährten subjektiven Recht durch die Anordnung der Staatsanwaltschaft, Mag. (FH) Daniela G***** als Beschuldigte zu vernehmen, nicht vorliege.

Beide Gerichte stützten sich im Wesentlichen auf das (lediglich) formelle Prüfungsprinzip im Rechtshilfeverfahren und sahen das Vorbringen der Beschuldigten als in diesem Sinn für nicht ausreichend an.

Dagegen richtet sich der (in einem gemeinsamen Schriftsatz erhobene) Antrag des Gerhard G***** und der Mag. (FH) Daniela G***** auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO, mit dem die Genannten ‑ umfangreich begründet ‑ eine durch die gerichtlich bestätigte Anordnung der Vernehmung der Mag. (FH) Daniela G***** zu den mit der Geschäftsabwicklung der D***** verbundenen Vorwürfen (I., II.) ‑ mit Ausnahme jener der Urkundenfälschung und des Mehrwertsteuerbetrugs (III.) ‑ bewirkte Verletzung von Art 54 SDÜ, Art 4 des 7. ZPMRK und Art 50 GRC behaupten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu ‑ in weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung mit der Generalprokuratur ‑ erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass (auch) Gerhard G***** im gegenständlichen Verfahren durchgehend antragslegitimiert war und ist, weil das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen in einem auch gegen ihn geführten Strafverfahren gestellt wurde und die erbetene Vernehmung als Ermittlungsmaßnahme auch seine subjektiven Rechte (auf Verteidigung ‑ § 7 StPO) betrifft.

2.1. Ausgehend von der Leitentscheidung 13 Os 135/06m; EvBl 2007/154, 832 = SSt 200/53, in welcher der Oberste Gerichtshof unter analoger Anwendung von § 363a StPO erstmals ausgesprochen hat, dass ein an ihn gerichteter Antrag auf Erneuerung des Verfahrens auch ohne Vorliegen eines Erkenntnisses des EGMR zulässig ist, hat der Oberste Gerichtshof ‑ unter sukzessiver Präzisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ‑ diesen Rechtsbehelf über seine Funktion als Remedium gegen die behauptete Verletzung eines durch die MRK und ihre Zusatzprotokolle gewährleisteten Rechts hinaus auf die Behandlung von behaupteten Verletzungen anderer in Österreich garantierter Grund- und Menschenrechte ausgedehnt (17 Os 11/12i; vgl auch Ratz, AnwBl 2013, 274 [275]).

2.2. Nach dem allgemeinen juristischen Begriffsverständnis bezeichnen Grund- und Menschenrechte fundamentale Rechtspositionen.

Im Verfassungsstaat kann die Bestandskraft der Grundrechte durch ihre Aufnahme in eine Verfassungsvorschrift gesichert sein, weil sie dann als ranghöheres Recht jede andere Form der Rechtserzeugung und alle Staatsgewalten binden und ihre Abänderung oder Aufhebung nur unter den für Verfassungsänderungen vorgesehenen Bedingungen zulässig ist. Die Besonderheit dieser Rechte kann aber auch durch ihre Aufnahme in ein völkerrechtliches Vertragswerk gesichert sein, weil dann der einzelne Staat nicht mehr beliebig über sie verfügen kann, ohne gegen die übernommene vertragliche Verpflichtung zu verstoßen (vgl zum Ganzen Berka, Die Grundrechte S 11 ff; Hengstschläger/Leeb, Grundrechte S 1 ff).

2.3. Der ‑ in § 17 StPO festgelegte ‑ Grundsatz ne bis in idem verbietet, wegen derselben Straftat zweimal verfolgt oder gar bestraft zu werden. Art 4 7. ZPMRK sieht dies für die Strafverfolgung im selben Staat vor. Art 54 SDÜ statuiert ein staatenübergreifendes Verbot der Doppelverfolgung für den sogenannten Schengenraum. Art 50 GRC schließlich dehnt die Sperrwirkung einer rechtskräftigen Verurteilung oder eines rechtskräftigen Freispruchs in der Europäischen Union auf deren gesamtes Gebiet aus.

Im Hinblick auf die inhaltliche Verwandtschaft mit den Verfassungsbestimmungen des Art 4 7. ZPMRK sowie des Art 50 GRC und deren völkerrechtliche Grundlagen ist der durch Art 54 SDÜ gewährte Schutz vor Doppelverfolgung unbeschadet dessen, dass diese Bestimmung entgegen der österreichischen Rechtstradition nicht im Verfassungsrang steht, als Grundrecht einzustufen.

2.4. Solcherart erfüllt der gegenständliche Erneuerungsantrag durch die Behauptung einer Verletzung des Art 54 SDÜ die von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs unter analoger Anwendung von § 363a StPO statuierte Voraussetzung der Behauptung der Verletzung in einem Grundrecht.

3.1. Am 14. Juni 1985 wurde das Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux‑Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (SÜ‑Schengener Übereinkommen) geschlossen.

Am 19. Juni 1995 wurde das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux‑Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (SDÜ‑Schengener Durchführungsübereinkommen) geschlossen.

Das am 28. Mai 1995 in Brüssel unterzeichnete Übereinkommen über den Beitritt Österreichs zum Schengener Übereinkommen und zum Schengener Durchführungsübereinkommen trat am 1. Dezember 1997 in Kraft (BGBl III 1997/202, 1997/203).

Durch Art 1 des dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokolls zur Einbeziehung des Schengenbesitzstands wurde (auch) das SDÜ in den Vertrag über die Europäische Union (EUV) übernommen. Dieses Protokoll wurde durch das Protokoll Nr. 19 zum Vertrag von Lissabon geringfügig modifiziert (vgl Höpfel/Kathrein in WK² StGB § 62 Rz 25).

Am 26. Oktober 2004 wurde das Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengenbesitzstands (Schengen-AssoziierungsAbk Ch [SAA]; ABl L 53/52 vom 27. Februar 2008), geschlossen; es trat am 1. März 2008 in Kraft.

3.2. Nach seinem eindeutigen Wortlaut statuiert Art 54 SDÜ ein generelles Strafverfolgungsverbot. Verhindert werden soll, dass eine Person im örtlichen Geltungsbereich dieser Norm, also im sogenannten Schengenraum, wegen derselben Tat der Strafverfolgung durch mehrere Staaten ausgesetzt wird und solcherart ‑ nämlich nach rechtskräftiger Aburteilung in einem Staat ‑ von ihrem Recht auf Freizügigkeit nicht Gebrauch machen könnte (Rs Gözütok und Brügge,Urteil des EuGH vom 11. Februar 2003, C‑187/01, C‑385/01).

Unter den Begriff „Aburteilung“ fallen sowohl Schuld‑ als auch Freisprüche (Rs Van Esbroeck, Urteil vom 9. März 2006, C-436/04 ), letztere allerdings nur, soweit eine Prüfung des Sachverhalts stattgefunden hat (Rs Van Straaten,Urteil vom 28. September 2006, C‑150/05).

Eine Sperrwirkung tritt nicht nur durch Urteile, sondern auch durch Beschlüsse ein, sofern sie das Verfahren nicht nur vorübergehend beenden.

Auch eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft kann in der Sache eine Aburteilung sein, und zwar dann, wenn sie einen Strafanklageverbrauch bewirkt, also das Verfahren nur unter den Bedingungen und Förmlichkeiten einer Wiederaufnahme fortgesetzt werden kann. Eine Einstellung nach Zahlung eines von der Staatsanwaltschaft festgelegten Geldbetrags ist eine solche Aburteilung (vgl Rs Gözütok und Brügge). Gleiches gilt für andere diversionelle Erledigungen und für die endgültige Einstellung aus Beweis- oder rechtlichen Gründen nach materiell‑rechtlicher Prüfung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft, nicht jedoch für eine Einstellung des Verfahrens, die nach dem Recht jenes Staats, in dem sie getroffen wurde, kein Hindernis für eine neue Strafverfolgung bildet (vgl Rs Turansky,Urteil vom 11. Dezember 2008, C‑297/07).

Eine idente Tat („idem“) liegt unbeschadet deren rechtlicher Einordnung, ja unabhängig vom beeinträchtigten Rechtsgut dann vor, wenn den Verfahren bzw Entscheidungen derselbe historische Lebenssachverhalt zu Grunde liegt. Als Beurteilungskriterien sind Tatzeit, Tatort, Gegenstand der Tat, Tathandlung, Täter, Tatopfer sowie verursachter oder beabsichtigter Erfolg heranzuziehen. Dabei darf ein Komplex von Tatsachen, die ihrer Natur nach unlösbar miteinander verbunden sind und in räumlicher und zeitlicher Hinsicht übereinstimmen, nicht in künstlich voneinander getrennte Handlungen aufgeteilt werden. Die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen identen Sachverhalt handelt, obliegt grundsätzlich den nationalen Behörden und Gerichten (Rs Van Esbroeck, Rs Van Straaten,Rs Kretzinger,Rs Kraaijenbrink;Rs Gasparini ua,Urteil vom 28. September 2006, C‑467/04;vgl zumGanzen Höpfel/Kathrein in WK² StGB § 62 Rz 26a bis 26h), wobei Art 54 SDÜ ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in die jeweiligen anderen Strafjustizsysteme impliziert (Rs Gözütok und Brügge Rz 33).

4. Österreich ist der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegenüber primär auf Basis des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl 1969/41, RHStrÜbk) sowie des Vertrags der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl 1974/716) zur Rechtshilfe verpflichtet.

Das in Art 54 SDÜ normierte Doppelverfolgungsverbot kann aber (vgl oben 3.) der Entsprechung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens entgegenstehen.

5. Der kontinentaleuropäischen Rechtstradition entsprechend ist nicht nur das Auslieferungsverfahren, sondern auch die Rechtshilfe ganz allgemein vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht, dh die Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Rechtshilfeersuchen dargestellt wird, um dessen endgültiger Klärung im ersuchenden Staat nicht vorzugreifen. Eine eigenständige Prüfungspflicht besteht im ersuchten Staat nur dann, wenn der von der Rechtshilfe Betroffene durch entsprechend substantiiertes Vorbringen dagegen bestehende erhebliche Bedenken aufzuzeigen vermag. Die Annahme einer weitergehenden Prüfungspflicht im ersuchten Staat liefe dem Wesen der Rechtshilfe zuwider, das gerade darauf aufbaut, dass sich der Betroffene gegen die dem Ersuchen zu Grunde liegenden Entscheidungen im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens im ersuchenden Staat zur Wehr setzen kann (RIS‑Justiz RS0125233; Göth‑Flemmich in WK² ARHG § 33 Rz 3 f, Martetschläger § 51 Rz 5).

In Ansehung der Voraussetzungen des Art 54 SDÜ im Rechtshilfeverfahren besteht gleichermaßen nur (aber immerhin) eine formelle Prüfungspflicht der Behörden und Gerichte des ersuchten Staats. Auch insofern ist im ersuchten Staat von den Angaben des ersuchenden Staats im Rechtshilfeersuchen (und in allfälligen ergänzenden Ausführungen) auszugehen. Spricht die Darstellung des ersuchenden Staats gegen die Annahme einer bereits rechtskräftig erfolgten Aburteilung in einem dem Schengenraum zugehörigen Staat, so wäre die Rechtshilfe nur dann zu verweigern, wenn im ersuchten Staat Beweise vorgelegt werden, die dagegen erhebliche Bedenken zu erwecken geeignet sind. Die Behörden und Gerichte des ersuchten Staats sind aber nicht verpflichtet, darüber hinaus Ermittlungsschritte zur endgültigen Abklärung dieses Verfolgungshindernisses zu setzten. Insbesondere besteht keine Veranlassung zur Einholung von Auskünften gemäß Art 57 SDÜ. Diese Vorschrift richtet sich vielmehr an den Staat, der einen (eigenen) Strafverfolgungsanspruch erhebt und in einem rechtsstaatlichen Verfahren durchzusetzen trachtet (arg „in dessen Hoheitsgebiet eine Person wegen einer Straftat angeschuldigt ist“).

6. Die Berufung auf die bereits im Einspruchs‑ und Beschwerdeverfahren relevierte (Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 26 ff, 34 ff; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]) Einstellung des Verfahrens gegen die Erneuerungswerber durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn entspricht nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ‑ nur in diesem Punkt anders die Generalprokuratur ‑ den dargelegten Kriterien (3.‑5.).

6.1. Beide Eheleute G***** waren Beschuldigte im Ermittlungsverfahren wegen Betrug (und strafbarer Werbung gemäß §§ 263 I, 53 dStGB, § 16 dUWG, „Vorwürfe im Zusammenhang mit der T***** AG und der D***** GmbH“) AZ 66 Js 376/11 der Staatsanwaltschaft Heilbronn. Ihre Verteidiger stellten umfangreich begründete Anträge auf Einstellung des Verfahrens, wobei dem von Gerhard G***** eine 91 Fälle umfassende Faktenaufstellung samt deren (weitgehende Identität zeigender) Vergleich mit den den Gegenstand des dem Rechtshilfeersuchen zugrundeliegenden schweizer Ermittlungsverfahren (konkret der Beschuldigtenvernehmung des Gerhard G*****) bildenden Anschuldigungen angeschlossen war. Beide Beschuldigte nahmen diversionelle Anbote der Staatsanwaltschaft an und zahlten die auferlegten Geldbeträge. Mit Verfügungen vom 16. und 20. Dezember 2011 stellte die Staatsanwaltschaft Heilbronn das Verfahren „nach § 153a Abs 1 StPO endgültig“ ein und verständigte davon die Beschuldigten zu Handen deren Verteidiger (Beilagen zu ON 5, 7 und 15 der HSt‑Akten).

6.2. Dieses nach den fallaktuellen Umständen ausreichend bescheinigte Vorbringen ist geeignet, erhebliche Bedenken zu erwecken, dass die in Deutschland und in der Schweiz verfahrensgegenständlichen Vorwürfe (I., II.) ‑ als jeweils gleichartige Verbrechensmengen (dazu etwa Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 291 mwN) ‑ unabhängig von verschiedener rechtlicher Einordnung „dieselbe Tat“ [idem] iSv Art 54 SDÜ umfassen und dass die Einstellung des deutschen Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs 1 dStPO (nach der zu 3. dargestellten Judikatur) der weiteren Verfolgung ‑ somit auch der Leistung von Rechtshilfe durch Vernehmung eines Beschuldigten ‑ entgegensteht.

6.3. Ohne dass es des Eingehens auf die Vorgänge im Fürstentum Liechtenstein oder der Erörterung von Art 50 GRC bedurft hätte, war dem Erneuerungsbegehren wie aus dem Spruch ersichtlich Folge zu geben.

Das vom Erneuerungsantrag nicht bekämpfte Vernehmungsersuchen im Zusammenhang mit dem Verdacht von Straftaten zum Nachteil der Eidgenössischen Steuerverwaltung (III., ON 2 S 6) wird von der Staatsanwaltschaft einer Erledigung zuzuführen sein (bezughabende Fragen ON 2 S 7 f und 14 ff).

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