Spruch:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 27. Juni 2013 zu 8 ObA 20/13v gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.
Text
Begründung
Der am 28. 7. 1961 geborene Kläger hat am 1. 4. 1988 sein Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten begonnen. Am 17. 5. 2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Neufeststellung seiner Vordienstzeiten unter Berücksichtigung der vor dem 18. Lebensjahr absolvierten Zeiten des Besuchs des Bundesgymnasiums. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass die Berücksichtigung dieser Zeiten die anrechenbaren Zeiten um nicht mehr als drei Jahre verlängere und sich im Hinblick auf die Verlängerung der ersten Vorrückung von zwei auf fünf Jahre daher keine Verbesserung ergebe.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung einer höheren Einstufung sowie die Gehaltsdifferenz. Er führt aus, dass eine unzulässige Altersdiskriminierung vorliege. Die Novellierung der auf ihn anwendbaren Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO. A) habe der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Hütter nicht ausreichend Rechnung getragen. Es sei unzulässig, den Zeitraum für die erste Vorrückung von zwei auf fünf Jahre zu verlängern.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete im Wesentlichen ein, dass die Richtlinie 2000/78/EG den Mitgliedstaaten einen entsprechenden Spielraum belasse. Daraus ergebe sich jedenfalls kein Anspruch auf Anrechnung von Schulzeiten.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging zusammengefasst davon aus, dass das Gemeinschaftsrecht und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Hütter keine Vorgaben dafür machen, welche Vordienstzeiten anzurechnen seien, sondern nur eine Differenzierung nach dem Alter verbieten. Dem entspreche die Änderung der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO. A). Da der Kläger nach der alten Fassung der DO. A überhaupt keinen Anspruch auf Anrechnung der Schulzeiten gehabt hätte, könne er durch die Verlängerung der Zeit für die Vorrückung in die zweite Gehaltsstufe auch nicht beschwert sein. Es stelle auch keine mittelbare Diskriminierung dar, wenn die Vorrückung in der Anfangsphase längere Zeiträume erfordere.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung zu diesen Fragen der Altersdiskriminierung nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Der Kläger releviert vor allem, dass eine mittelbare Altersdiskriminierung vorliege.
Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. Juni 2009 in der Rechtssache C-88/08 (Hütter), in dem der Gerichtshof den Ausschluss von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr von der Anrechnung für den Vorrückungsstichtag als unzulässige Altersdiskriminierung einstufte, hat der Gesetzgeber die Vorrückungssysteme in verschiedenen Bereichen angepasst. So hat er auch das Dienstrecht der Bediensteten der ÖBB modifiziert. Die neue Vorschrift des § 53a des Bundesbahngesetzes, BGBl I 2011/129, wurde rückwirkend mit 1. 1. 2004 eingeführt. Mit dieser Bestimmung wurde die Anrechnung der Vordienstzeiten auch vor dem 18. Lebensjahr angeordnet, aber auch in einer der vorliegenden Änderung der DO. A im Ergebnis vergleichbaren Weise festgelegt, dass der für die Vorrückung in den jeweils ersten drei Gehaltsstufen erforderliche Zeitraum um jeweils ein Jahr verlängert wird.
Dies ist Gegenstand des Verfahrens zu 8 ObA 20/13v. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 27. Juni 2013 dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 21 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Art 7 Abs 1, Art 16 und Art 17 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass
a) ein Arbeitnehmer, für den vom Arbeitgeber aufgrund einer gesetzlich normierten altersdiskriminierenden Anrechnung von Vordienstzeiten zunächst ein unrichtiger Vorrückungsstichtag festgesetzt wurde, in jedem Fall Anspruch auf Zahlung der Gehaltsdifferenz unter Zugrundelegung des diskriminierungsfreien Vorrückungs-stichtags hat,
b) oder aber dahin, dass der Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, durch eine diskriminierungsfreie Anrechnung der Vordienstzeiten die Altersdiskriminierung auch ohne finanziellen Ausgleich (durch Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags bei gleichzeitiger Verlängerung des Vorrückungszeitraums) zu beseitigen, insbesondere wenn diese entgeltneutrale Lösung die Liquidität des Arbeitgebers aufrechterhalten sowie einen übermäßigen Neuberechnungsaufwand vermeiden soll?
2. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):
Kann der Gesetzgeber eine solche diskriminierungsfreie Anrechnung der Vordienstzeiten
a) auch rückwirkend (hier mit kundgemachtem Gesetz vom 27. 12. 2011, BGBl I 2011/129, rückwirkend zum 1. 1. 2004) einführen oder
b) gilt sie erst ab dem Zeitpunkt des Erlasses bzw der Kundmachung der neuen Anrechnungs- und Vorrückungsvorschriften?
3. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):
Ist Art 21 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Art 2 Abs 1 und 2 sowie Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass
a) eine gesetzliche Regelung, die für Beschäftigungszeiten am Beginn der Karriere einen längeren Vorrückungszeitraum vorsieht und die Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe daher erschwert, eine mittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters darstellt,
b) und im Fall der Bejahung dahin, dass eine solche Regelung mit Rücksicht auf die geringe Berufserfahrung am Beginn der Karriere angemessen und erforderlich ist?
4. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):
Ist Art 7 Abs 1 und Art 8 Abs 1 in Verbindung mit Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass die Fortwirkung einer alten, altersdiskriminierenden Regelung allein aus dem Grund, um den Arbeitnehmer zu seinen Gunsten vor Einkommensnachteilen durch eine neue, diskriminierungsfreie Regelung zu schützen (Entgeltsicherungsklausel), aus Gründen der Wahrung des Besitzstandes und des Vertrauensschutzes zulässig bzw gerechtfertigt ist?
5. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b) und der Bejahung der Frage 3 lit b):
a) Kann der Gesetzgeber zur Ermittlung der anrechenbaren Vordienstzeiten eine Mitwirkungspflicht (Mitwirkungsobliegenheit) des Dienstnehmers vorsehen und den Übertritt in das neue Anrechnungs- und Vorrückungssystem von der Erfüllung dieser Obliegenheit abhängig machen?
b) Kann sich ein Arbeitnehmer, der die ihm zumutbare Mitwirkung an der Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags nach dem neuen, diskriminierungsfreien Anrechnungs- und Vorrückungssystems unterlässt und daher von der diskriminierungsfreien Regelung bewusst nicht Gebrauch macht und freiwillig im alten, altersdiskriminierenden Anrechnungs- und Vorrückungssystem bleibt, auf eine Altersdiskriminierung nach dem alten System berufen, oder stellt der Verbleib im alten, diskriminierenden System nur aus dem Grund, um Geldansprüche geltend machen zu können, einen Rechtsmissbrauch dar?
6. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit a) oder der Bejahung der Fragen 1 lit b) und 2 lit b):
Gebietet es der unionsrechtliche Grundsatz der Effizienz nach Art 47 Abs 1 der Grundrechtecharta und nach Art 19 Abs 1 EUV, dass die Verjährung von im Unionsrecht begründeten Ansprüchen nicht vor eindeutiger Klärung der Rechtslage durch Verkündung einer einschlägigen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu laufen beginnt?
7. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit a) oder der Bejahung der Fragen 1 lit b) und 2 lit b):
Gebietet es der unionsrechtliche Grundsatz der Äquivalenz, eine im nationalen Recht vorgesehene Hemmung der Verjährung für die Geltendmachung von Ansprüchen nach einem neuen Anrechnungs- und Vorrückungssystem (§ 53a Abs 5 des Bundesbahngesetzes) auf die Geltendmachung von Gehaltsdifferenzen auszudehnen, die aus einem altersdiskriminierenden alten System resultieren?
Die Beantwortung dieser Fragen, insbesondere der Frage 3, ist auch für den hier zu entscheidenden Antrag maßgeblich. Die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird über den Anlassfall hinaus zu beachten sein, weshalb das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen ist (RIS-Justiz RS0110583).
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