OGH 12Os53/13f

OGH12Os53/13f4.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bandarra als Schriftführer in der Strafsache gegen Tiare T***** wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, achter und neunter Fall SMG, AZ 1 U 119/09z des Bezirksgerichts Schärding, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 28. Februar 2011 und einen weiteren Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Tiare T***** wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, achter und neunter Fall SMG, AZ 1 U 119/09z des Bezirksgerichts Schärding, verletzen das Gesetz:

1./ die ohne (aktenkundige) Anzeige der Bezirkshauptmannschaft Schärding im Sinn des § 36 Abs 1 SMG und ohne förmlichen Beschluss auf Fortsetzung des gemäß § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG vorläufig gerichtlich eingestellten Strafverfahrens erfolgte Fortführung des Verfahrens in §§ 36 Abs 1 und 38 Abs 1 SMG iVm § 35 Abs 2 SMG;

2./ das gekürzt ausgefertigte Urteil vom 28. Februar 2011

a./ durch die Unterlassung der Bezeichnung des tatverfangenen Suchtgifts einschließlich seiner Inhaltsstoffe in § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, achter und neunter Fall SMG sowie in § 270 Abs 2 Z 4, Abs 4 Z 1 StPO und § 260 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 458 zweiter Satz StPO;

b./ durch die Unterlassung der (gedrängten) Darstellung der als erwiesen angenommenen Tatsachen in § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 458 zweiter Satz StPO;

c./ durch die Unterlassung der Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Linz vom 27. Oktober 2010, AZ 25 Hv 104/10x, in § 31 Abs 1 StGB.

Das unter 2./ bezeichnete Urteil des Bezirksgerichts Schärding wird aufgehoben und es wird dem genannten Gericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens, vorerst durch Beischaffung einer Mitteilung der Bezirksverwaltungsbehörde, ob Tiare T***** sich während der Probezeit der ärztlichen Überwachung ihres Gesundheitszustands gestellt oder sich ihr (vorerst nach Ansicht der Gesundheitsbehörde) beharrlich entzogen hat, und durch anschließende Beschlussfassung gemäß § 38 Abs 1 bzw Abs 3 SMG aufgetragen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis erhob am 7. September 2009 (ON 1 S 1) beim Bezirksgericht Schärding Strafantrag gegen Tiare T***** „wegen § 27 Abs 1 SMG“ (ON 5). Die gegen die Genannte am 23. November 2009 durchgeführte Hauptverhandlung, bei der sich die Angeklagte schuldig bekannt hatte (ON 8), wurde „zur Durchführung gemäß § 35 iVm § 37 SMG“ vertagt (ON 8 S 5). Nach Einholung einer Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 35 Abs 3 Z 2 SMG idF BGBl I 2007/110 (ON 9), aus der die Zustimmung der Angeklagten ersichtlich ist, sich einer ärztlichen Überwachung ihres Gesundheitszustands (§ 11 Abs 2 Z 1 SMG) zu unterziehen (ON 9 S 1), stellte das Bezirksgericht Schärding das Strafverfahren mit Beschluss vom 24. Februar 2010 (ON 10) für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig ein; dies unter der Bedingung, dass Tiare T***** sich für zwei Jahre der ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands durch die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde regelmäßig unterzieht, verbunden mit der - im Hinblick auf § 36 Abs 1 SMG verfehlten - Weisung, unaufgefordert alle sechs Monate Bestätigungen in Form von THC-Harnkontrollen vorzulegen.

Nach der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts seitens der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis am 4. März 2010 (ON 10 S 3) wurde dieser Beschluss der Angeklagten am 6. April 2010 durch Hinterlegung zugestellt und von ihr am 16. April 2010 behoben (Rückschein ON 10 S 3). Auch die Bezirkshauptmannschaft Schärding wurde verständigt (ON 10 S 3).

Dem weiteren Akteninhalt ist weder eine Bestätigung zu entnehmen, wonach sich die Angeklagte der ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands durch die Bezirkshauptmannschaft Schärding unterzogen hätte noch eine gegenteilige Anzeige der genannten Behörde, nach der sich Tiare T***** der ihr auferlegten gesundheitsbezogenen Maßnahme beharrlich entzogen hätte. Dennoch verfügte der Bezirksrichter am 18. November 2010 die Ladung der Genannten für den 21. Dezember 2010; dies zum „Thema: Förmliche Mahnung zur Einhaltung der Weisung aus dem Beschluss vom 24. Februar 2010, sich der ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands durch die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde in der Dauer von zwei Jahren zu unterziehen und ärztliche Bestätigungen über die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands durch THC-Harnkontrollen, alle sechs Monate dies unaufgefordert vierteljährlich nachzuweisen“ (ON 1 unjournalisiert). Diese Ladung wurde der Angeklagten am 27. November 2010 durch Hinterlegung zugestellt und von ihr laut Aktenvermerk vom 17. Dezember 2010 am 9. Dezember 2010 behoben (Rückschein ON 1 unjournalisiert).

Ein Protokoll über eine förmliche Mahnung am 21. Dezember 2010 oder ein Aktenvermerk, wonach Tiare T***** zu diesem Termin nicht erschienen wäre, finden sich im Akt nicht. Ohne weiteren Zwischenschritt, im Besonderen ohne Beschluss auf Fortsetzung des Verfahrens, wurde mit Verfügung vom 4. Jänner 2011 die Hauptverhandlung für den 28. Februar 2011 anberaumt und die Einholung einer neuen Registerabfrage sowie einer neuen Strafregisterauskunft angeordnet (ON 1 unjournalisiert). Aus letzterer ist eine am 31. Oktober 2010 in Rechtskraft erwachsene Verurteilung der Tiare T***** wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs 3 SMG zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe durch das Landesgericht Linz vom 27. Oktober 2010, AZ 25 Hv 104/10x, ersichtlich (ON 13).

Mit - zulässig gekürzt ausgefertigtem - Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 28. Februar 2011 (ON 15) wurde die (reumütig geständige) Angeklagte, deren Geburtstag, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Beruf entgegen § 270 Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 1 StPO in der gekürzten Urteilsausfertigung nicht angeführt sind, strafantragskonform des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften „nach § 27 Abs 1 SMG“ schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen verurteilt. Nach diesem Schuldspruch hat sie „von Anfang des Jahres 2008 bis Februar 2009 in W***** und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift erworben, besessen und anderen überlassen bzw verschafft“. Welches Suchtgift Gegenstand der Tathandlungen war, ist dem Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung ebenso wenig zu entnehmen wie die näheren Tatumstände.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde im Strafverfahren gegen Tiare T***** „wegen § 27 Abs 1 SMG“, AZ 1 U 119/09z des Bezirksgerichts Schärding, das Gesetz mehrfach verletzt:

1./ Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringen der Anklage das Gericht die http://www.lexisnexis.com:80/at/recht/search/runRemoteLink.do?langcountry=AT&linkInfo=F#AT#at_code#section%35%label%section%popname%SMG%num%35%&risb=21_T17069274049&bct=A&service=citation&A=0.38624158798960706 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Ist der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung gemäß § 35 SMG - wie fallaktuell - davon abhängig gemacht worden, dass sich die Angeklagte einer ärztlichen Überwachung ihres Gesundheitszustands (§ 11 Abs 2 Z 1 SMG) unterzieht (§ 35 Abs 6 erster Satz SMG), so obliegt die Feststellung, ob diese Bedingung eingehalten wird, der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde, die dem Gericht ein beharrliches Entziehen aus der Überwachung durch die Angeklagte anzuzeigen hat (§ 36 Abs 1 iVm § 37 SMG). Die Beurteilung, ob das Verhalten der Angeklagten nach Lage des Falls unter Berücksichtigung der persönlichen Situation das Kriterium der Beharrlichkeit erfüllt und deshalb die Mitteilungspflicht auslöst, obliegt zunächst der Gesundheitsbehörde. Das Gericht darf ein Strafverfahren nicht fortsetzen, wenn die Gesundheitsbehörde mitteilt, dass die Bedingung eingehalten wurde (Schwaighofer in WK2 SMG § 36 Rz 3).

Mangels aktenkundiger Anzeige der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 36 Abs 1 SMG fehlt es an Anhaltspunkten für die Annahme, Tiare T***** hätte sich beharrlich der ärztlichen Überwachung ihres Gesundheitszustands durch die Bezirksverwaltungsbehörde entzogen. Alleine aus dem Umstand, dass weder die Bezirkshauptmannschaft Schärding einen Bericht übermittelte noch die Betroffene - trotz offenbar versuchter Mahnung - Nachweise über das Absolvieren der ärztlichen Überwachung erbrachte, kann ein beharrliches Entziehen aus der gesundheitsbezogenen Maßnahme nach § 11 Abs 2 Z 1 SMG nicht erschlossen werden.

Entzieht sich die Angeklagte vor Ablauf der Probezeit der gesundheitsbezogenen Maßnahme beharrlich und erscheint zudem die Fortsetzung des Verfahrens geboten, um sie von Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz abzuhalten, so ist das Strafverfahren gemäß § 38 Abs 1 Z 2 SMG fortzusetzen. Nach vorläufiger gerichtlicher Verfahrenseinstellung gemäß § 35 iVm § 37 SMG hat dessen Fortsetzung nicht bloß mittels einer den Fortgang des Verfahrens betreffenden Verfügung, sondern mit einem anfechtbaren Beschluss gemäß § 35 Abs 2 StPO (14 Os 138/08p, vgl auch Schroll, WK-StPO § 205 Rz 21 ff) zu erfolgen.

Die bloße Anordnung einer Hauptverhandlung und deren Durchführung entspricht diesem formellen Fortsetzungserfordernis nicht.

2./ Nach der gemäß § 458 zweiter Satz StPO auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgericht geltenden Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben, darunter den Ausspruch über die Schuld, und zwar - im Falle einer Verurteilung - mit allen in § 260 StPO angeführten Punkten mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO) sowie die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Der bloße Ausspruch gemäß § 260 Abs 1 Z 1 StPO reicht somit nicht aus (Danek, WK-StPO § 270 Rz 60).

Im vorliegenden Fall einer gekürzten Urteilsausfertigung ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung (RIS-Justiz RS0125032). Aus der gekürzten Urteilsausfertigung muss daher hervorgehen, welcher Tat die Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden und gegebenenfalls auch der eine scheinbar bestehende Privilegierung ausschließenden Tatumstände (RIS-Justiz RS0101786).

Im Hinblick auf die konstitutive und taxative Enumeration der Suchtmittel in Suchtgiftverordnung und Psychotropenverordnung bezieht sich strafrechtlich relevantes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz immer nur auf in den genannten Verordnungen konkret erfasste Wirkstoffe. Es sind daher stets konkrete Urteilsfeststellungen zur - solcherart entscheidenden - Beschaffenheit der tatverfangenen Substanz erforderlich (14 Os 112/10t mwN). Diesem Erfordernis entspricht der Urteilstenor nicht, weil er bloß den Erwerb und Besitz sowie das Überlassen bzw Verschaffen eines weder namentlich noch nach Inhaltsstoffen benannten Suchtgifts anführt.

Überdies fanden die für die Individualisierung und Konkretisierung der abgeurteilten Taten notwendigen näheren Tatumstände (Ausnutzen sich bietender Gelegenheiten, Marihuana unentgeltlich „mitzurauchen“ [ON 2 S 39 iVm ON 8 S 3], sowie Tathandlungen nach § 27 Abs 1 achter und neunter Fall SMG) im Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung keine Aufnahme.

3./ Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt wurde, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, so ist nach § 31 Abs 1 StGB innerhalb der dort normierten Grenzen eine Zusatzstrafe zu verhängen, deren Bemessung § 40 StGB regelt.

Entgegen § 31 Abs 1 StGB unterblieb im Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 28. Februar 2011 (ON 15), das zwischen Anfang des Jahres 2008 und Februar 2009 gesetzte Taten pönalisiert, die gebotene Bedachtnahme auf das aus der im Akt erliegenden Strafregisterauskunft vom 28. Februar 2011 (ON 13) ersichtliche, seit 31. Oktober 2010 rechtskräftige Urteil des Landesgerichts Linz vom 27. Oktober 2010, AZ 25 Hv 104/10x.

Da nicht auszuschließen ist, dass die zu 1./ bis 3./ beschriebenen Vorgänge bzw Unterlassungen der Angeklagten zum Nachteil erwachsen sind, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den Gesetzesverletzungen wie aus dem Spruch ersichtlich konkrete Wirkung zuzuerkennen.

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