Spruch:
Der Akt wird dem Bezirksgericht Neusiedl am See zurückgestellt.
Text
Begründung
Mit Beschluss vom 4. 7. 2012 (ON 8) übertrug das Bezirksgericht Neusiedl am See die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache im Teilbereich Personensorge (Ps) dem Bezirksgericht Graz-Ost, das die Übernahme unter anderem mit dem Hinweis auf das anhängige („weit fortgeschrittene“) Unterhaltsverfahren und die beim Bezirksgericht Neusiedl am See bestehende „Sachkenntnis“ ablehnte (ON 9). Das Bezirksgericht Neusiedl am See nahm von einer Zustellung des Übertragungsbeschlusses an die Parteien Abstand und führte das Verfahren über das Kontaktrecht des Vaters zu seiner Tochter zu Ende. Erst am 26. 4. 2013 veranlasste es die Zustellung des Übertragungsbeschlusses (ON 8) an die Parteien (ON 20) und legte, nachdem das Bezirksgericht Graz-Ost die Übernahme der Zuständigkeit aufgrund dieses Beschlusses neuerlich abgelehnt hatte (ON 22), den Akt zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Ein Fall des § 111 Abs 2 JN ist nicht gegeben.
1. Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn es im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Wegen der grundsätzlichen Eigenständigkeit der gemeinschaftlichen Pflegschaftsakten (Ps, Pu, Pv) ist auch die Übertragung der Zuständigkeit für einen davon, etwa des Akts über die Personensorge möglich (Fucik, Die Zuständigkeitsübertragung gemäß § 111, ÖJZ 2013/41, 389 [391]).
2. Lehnt das Gericht, an das die Zuständigkeit übergehen soll, die Übernahme ab, was auch ohne formellen Beschluss geschehen kann und wozu es genügt, dass es seine Weigerung dem übertragenden Gericht kundtut, so ist grundsätzlich zunächst der Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen und dessen Rechtskraft abzuwarten. Danach ist der Akt dem gemeinsam übergeordneten Gericht zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vorzulegen (Mayr in Rechberger, ZPO³ § 111 JN Rz 6 mwN). Das bisher zuständige Pflegschaftsgericht kann die Fortdauer seiner Zuständigkeit aber auch anerkennen und das Verfahren über die offenen Anträge weiterführen, indem es seinen Übertragungsbeschluss widerruft (Fucik in Fasching² I § 111 JN Rz 10; ders ÖJZ 2013/41, 389 [392]; Mayr aaO). In einem solchen Fall erübrigt sich naturgemäß auch eine Zustellung des Übertragungsbeschlusses an die Parteien.
3. Nach Wiedereinlangen des Aktes beim Bezirksgericht Neusiedl hat die dort zuständige Richterin in einer Verfügung ausdrücklich festgehalten, dass der Akt über die Personensorge bei diesem Gericht weitergeführt wird (ON 10) und damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es die Ablehnung der Übernahme durch das Bezirksgericht Graz-Ost anerkennt und sich an seinen Übertragungsbeschluss ON 8 nicht mehr gebunden erachtet. Es schadet nicht, dass der Widerruf der Übertragung in diesem Fall nicht in Beschlussform erfolgte, sondern als Verfügung im Akt festgehalten wurde. Dem Übertragungsbeschluss kam mangels Zustellung an die Parteien noch keine Außenwirkung zu, weswegen sich auch der Widerruf darauf beschränken konnte, dass der Wille der zuständigen Richterin, die Pflegschaftssache entgegen dem Übertragungsbeschluss doch beim ursprünglich zuständigen Gericht zu führen, im Akt deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Das ist hier zweifellos der Fall, sodass der Übertragungsbeschluss ON 8 durch wirksamen Widerruf gegenstandslos geworden ist. Die erst Monate später nach Widerruf erfolgte Zustellung des Beschlusses ON 8 an die Parteien ist ohne Bedeutung und vermag auch eine allfällige neuerliche Beschlussfassung iSd § 111 Abs 1 JN nicht zu ersetzen.
4. Zusammengefasst ergibt sich daher, dass derzeit kein wirksamer Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Neusiedl am See vorliegt. Die Vorlage des Aktes an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN erfolgte damit verfrüht.
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