OGH 2Ob167/12s

OGH2Ob167/12s29.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj T***** J*****, geboren ***** 2003, vertreten durch die Mutter S***** J*****, diese vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** P*****, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 7.075 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 1.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 29. März 2012, GZ 21 R 49/12x‑19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 19. Oktober 2011, GZ 2 C 170/11k‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00167.12S.0529.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 11. 9. 2010 besuchte der damals siebenjährige Kläger gemeinsam mit seinem Vater, dessen Ehefrau und seinen beiden Stiefgeschwistern die Familie der Beklagten mit deren beiden Kindern, die damals acht und vierzehn Jahre alt waren. Die Beklagte hielt eine Deutsche Dogge, die sich seit knapp zwei Jahren bei ihrer Familie befand. Der Hund war 80 cm hoch und wog etwa 50 kg. Er war an Kinder gewöhnt, es hatte nie „Probleme oder Auffälligkeiten“ mit dem Hund gegeben.

Während die Kinder „oben“ im Kinderzimmer spielten, hielten sich die Erwachsenen und der Hund im „offenen“, aus Küche, Ess- und Wohnzimmer bestehenden Erdgeschoss auf. Im Verlauf des Besuchs ging der Kläger aus dem Kinderzimmer hinunter in die Küche, um sich zu erkundigen, ob seine Pizza schon fertig sei. Die Beklagte, die sich gerade in der Küche befand, sagte ihm, dass er noch warten müsse, wieder spielen gehen solle und man ihn holen werde, wenn die Pizza ausgekühlt sei. Der Hund schlief zu diesem Zeitpunkt in seinem „Körbchen“.

Der Kläger verließ die Küche. Er rutschte entweder auf den Knien zum „Hundekörbchen“ oder kniete sich abrupt vor diesem hin. Der schlafende Hund schreckte auf und drehte den Kopf zum Kläger. Dabei streifte er ihn mit einem Zahn an der rechten Wange, wodurch der Kläger eine stark blutende Wunde erlitt. Der Hund wirkte nach dem Vorfall nicht aggressiv, sondern erschreckt und verkroch sich.

Der Kläger hatte schon öfter Umgang mit Hunden gehabt. Sein Vater und dessen Ehefrau haben selbst einen Hund. Dem Kläger war bekannt, wie man sich gegenüber Hunden verhält und mit ihnen umgeht. Er wusste auch, dass man sie in Ruhe lassen soll, wenn sie sich zurückgezogen haben. Den Hund der Beklagten kannte er von zumindest einem früheren Besuch.

Am Tag des Besuchs war der Kläger, so wie alle anderen anwesenden Kinder, darauf hingewiesen worden, dass er den Hund, wenn er in seinem „Körbchen“ liegt, schlafen lassen solle.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Zahlung von 7.075 EUR sA sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle noch nicht absehbaren Spät- und Dauerfolgen aus dem Vorfall vom 11. 9. 2010. Er brachte vor, die Beklagte habe es trotz der Anwesenheit von mehreren Kindern unterlassen, den Hund ordentlich zu verwahren.

Die Beklagte wandte ein, für erhöhte Sorgfaltsmaßnahmen habe es keinen Grund gegeben. Die Verletzung des Klägers resultiere nicht aus einem Biss, sondern einem „Schreckreflex“ des Hundes.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und ließ auf Antrag des Klägers die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den einen Hundehalter gegenüber älteren als sechsjährigen Kindern treffenden Sorgfalts- und Verwahrungspflichten existiere.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision des Klägers ist jedoch entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

1. Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB ist derjenige, der ein Tier hält, für den durch das Tier verursachten Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung keine (volle) Gefährdungshaftung normiert hat, die besondere Tiergefahr aber dadurch berücksichtigt wird, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird (2 Ob 85/11f mwN; RIS-Justiz RS0030291 [T13]). Der Tierhalter hat zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (2 Ob 85/11f mwN; 1 Ob 35/13y; RIS‑Justiz RS0105089).

Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein (2 Ob 85/11f mwN; RIS‑Justiz RS0030058, RS0030157). Es ist anerkannt, dass die Anforderungen an die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflichten nicht überspannt werden dürfen (RIS-Justiz RS0029999, RS0030365).

2. In der Nähe von kleinen Kindern ist auch bei sonst gutmütigen oder kinderfreundlichen Hunden für den Halter grundsätzlich besondere Vorsicht geboten (8 Ob 521/90; 8 Ob 592/92; 7 Ob 2008/96m; 4 Ob 174/99p; 6 Ob 47/01g; RIS-Justiz RS0030116). Dieser Grundsatz beschränkt sich, wie sich aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits ergibt, nicht nur auf Kleinkinder im engeren Sinn (vgl 1 Ob 513/86 [achtjähriges Mädchen]; 8 Ob 521/90 [sechs Jahre und fünf Monate alter Bub]; RIS-Justiz RS0027019 [T2]). Auch bei Kindern im Alter des Klägers (im Zeitpunkt des Vorfalls: sieben Jahre und zwei Monate) kann daher ‑ je nach den konkreten Umständen ‑ noch besondere Vorsicht geboten sein.

3. Im vorliegenden Fall sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Beklagte mit ihrem den Kindern gegebenen Hinweis, den in seinem „Körbchen“ schlafenden Hund in Ruhe zu lassen, ihren Sorgfaltspflichten ausreichend entsprochen habe. Von einem über sieben Jahre alten Kind, das regelmäßig Kontakt mit Hunden habe und dem auch der Hund der Beklagten bekannt gewesen sei, könne erwartet werden, dass es einer solchen Anweisung folge und sich dem schlafenden Tier nicht abrupt nähere.

Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der erörterten Rechtsprechung und begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

4. Die vom Kläger in seinem Rechtsmittel aufgeworfene (und verneinte) Frage, ob von einem siebenjährigen Kind die Einsichtsfähigkeit in die von einem an sich gutmütigen Tier ausgehende abstrakte Gefährdung erwartet werden könne, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Nach den Feststellungen war dem Kläger bekannt, wie man sich Hunden gegenüber verhält und mit ihnen umgeht. Er wusste auch, dass man sie, wenn sie schlafen, in Ruhe lassen soll.

Vor diesem Hintergrund ist aber dem Berufungsgericht auch unter dem vom Kläger aufgezeigten Aspekt keine korrekturbedürftige krasse Fehlbeurteilung vorzuwerfen, wenn es die Einsichtsfähigkeit des Klägers unterstellte und den erwähnten Hinweis der Beklagten ausreichen ließ. Seine (implizite) Annahme, die Beklagte habe nicht damit rechnen können, dass sich der Kläger dem schlafenden Hund dennoch nähern und ihn aus dem Schlaf aufschrecken werde, ist vielmehr das Ergebnis einer vertretbaren Rechtsansicht.

5. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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