OGH 8ObA71/12t

OGH8ObA71/12t28.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. P***** R*****, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Konradsheim, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verpflichtung zur Ausschreibung (Streitwert 1.388 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. Juni 2012, GZ 9 Ra 37/12w‑29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 336,82 EUR (darin 56,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

In seiner Klage begehrte der Kläger, den beklagten Orchesterverein zu verpflichten, gemäß §§ 2 ff StellenbesetzungsG unverzüglich die Positionen seines administrativen Geschäftsführers und seines Präsidenten öffentlich auszuschreiben; ein Eventualbegehren war auf Feststellung der Ausschreibungspflicht bei Freiwerden der genannten Positionen gerichtet. Der Kläger besitze die für diese Positionen erforderlichen fachlichen Qualifikationen und sei durch die unzulässige freihändige Stellenvergabe in seinem Recht auf Bewerbung verletzt worden.

Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt zum Kreis der in § 1 StellenbesetzungsG definierten Körperschaften zähle, weil ein allfälliger Verstoß gegen die gesetzliche Ausschreibungspflicht keine Nichtigkeit der bereits mit anderen Personen abgeschlossenen Verträge nach sich ziehen würde. Da die fraglichen Positionen besetzt seien, bestehe weder eine Verpflichtung zur Ausschreibung, noch ein aktuelles rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Das Stellenbesetzungsgesetz räume möglichen Bewerbern keine subjektiven Rechte ein.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts.

Erstmals in seiner Berufungsschrift stellte der in erster Instanz unvertretene Kläger den Antrag auf Änderung (richtig: Ausdehnung) des Klagebegehrens des Inhalts, dass (auch) die Haftung des Beklagten für einen ihm durch die Rechtswidrigkeit der Bestellung der Positionen ihres Präsidenten sowie ihres administrativen Geschäftsführers entstandenen Schaden dem Grunde nach festgestellt werden möge. Diesen Antrag wies das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig zurück.

Da der Kläger in erster Instanz unvertreten gewesen sei, stehe nach § 63 Abs 1 ASGG der Geltendmachung eines neuen Anspruchs durch Klagsänderung kein Neuerungsverbot entgegen, sofern der Anspruch bereits zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sei. Dessen ungeachtet unterliege aber jede Klagsänderung auch der Prüfung nach § 235 Abs 3 ZPO. Sie sei bei fehlendem Einverständnis des Beklagten nur dann zuzulassen, wenn die Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht überschritten werde und keine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung zu besorgen sei.

Klagsänderungen seien aus Gründen der Prozessökonomie tunlichst zuzulassen, allerdings nicht, wenn durch die Änderung der Rahmen des ursprünglichen Rechtsstreits gesprengt würde oder das Verfahren ohne Berücksichtigung der Klagsänderung bereits spruchreif wäre. Einem Kläger solle nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, durch eine Änderung seines Begehrens den Rechtsstreit auf einer ganz neuen Grundlage und mit neu aufzunehmenden Beweismitteln fortzusetzen. Dieser Versagungsgrund liege vor, weil eine Zulassung der vom Kläger nach Spruchreife des ursprünglichen Begehrens angestrebten Klagsänderung unter Einbeziehung eines völlig neuen Rechtsgrundes mit einer erheblichen Verzögerung der Verhandlung verbunden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts gerichtete Rekurs des Klägers ist zulässig (RIS‑Justiz RS0043882; RS0043893). Die prozessual begründete Verweigerung einer im Berufungsverfahren erstmals vorgetragenen Klagsänderung, mit der ein neuer Anspruch erhoben wurde, ist einer Teilzurückweisung der Klage aus formellen Gründen gleichzuhalten (RIS‑Justiz RS0043869). Die Rekursbeschränkungen des § 519 ZPO sind auch nicht auf Beschlüsse anzuwenden, die das Berufungsgericht funktionell als Prozessgericht über Anträge gefasst hat, die im Zusammenhang mit Neuerungen im Berufungsverfahren gestellt wurden (Kuderna, ASGG², 420; RIS‑Justiz RS0039551).

Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger war im Verfahren erster Instanz nicht qualifiziert (im Sinn des § 40 Abs 1 ASGG) vertreten, weshalb nach § 63 Abs 1 ASGG die Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO auf ihn nicht anzuwenden waren. Die Geltendmachung neuer Ansprüche sowie das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel war ihm im Berufungsverfahren grundsätzlich nicht verwehrt (vgl Kuderna, ASGG, § 63 Erl 2 ff; Konecny, Zur Neuerungserlaubnis in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, WBl 1987, 28 ff; auch Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren 132 ff; 9 ObA 248/91).

Zweck des § 63 Abs 1 ASGG ist es, unvertretene Parteien vor aus Rechtsunkenntnis resultierenden Nachteilen zu bewahren. Dieser Zweck erfordert es aber nicht, ihnen im Berufungsverfahren weitergehende prozessuale Rechte einzuräumen als im erstinstanzlichen Verfahren. Die Möglichkeit der Vornahme von Klagsänderungen findet daher auch in zweiter Instanz in den Voraussetzungen des § 235 ZPO ihre Grenze (Kuderna aaO § 63 ASGG Erl 3; Neumayr in ZellKomm2 § 63 ASGG Rz 6). Die Gründe, die danach einer Änderung des Klagebegehrens entgegenstehen können, hat bereits das Berufungsgericht umfassend und zutreffend dargelegt (§§ 510 Abs 3 iVm 528a ZPO).

Entgegen den Ausführungen des Rekurswerbers hätten die Vorinstanzen bei Zulassung seiner begehrten Klagsänderung nicht mit einer „nicht allzu umfangreichen“ Beweisaufnahme das Auslangen finden können. Während das ursprüngliche Klagebegehren auf eine Verpflichtung der Beklagten zu einem künftigen Verhalten gerichtet war und fast nur Rechtsfragen aufwarf, beruhte das neu erhobene Schadenersatzbegehren auf einem völlig anderen Rechtsgrund; seine Behandlung hätte neues Vorbringen und ein Beweisverfahren über in erster Instanz noch nicht verfahrensrelevante Tatsachen erfordert. Aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit wäre bei Zulassung der Klagsänderung auch dem Beklagten neues Bestreitungsvorbringen offengestanden (Kuderna aaO Rz 7).

Die Ansicht des Berufungsgerichts, die bei Zulassung der Klagsänderung erforderlichen weiteren Erörterungen und Beweisaufnahmen hätten den Rahmen des bisherigen Verfahrens erheblich überstiegen, ist daher nicht zu beanstanden.

Mangels Zulässigkeit der Klagsänderung ist auch den zum neuen Vorbringen erstatteten Beweisanträgen des Klägers die Grundlage entzogen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 2 ASGG, 41 und 50 ZPO.

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