OGH 1Ob70/13w

OGH1Ob70/13w21.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. R***** I*****, vertreten durch Rechtsanwälte Pieler & Pieler & Partner KG in Wien, wegen 38.010,64 EUR sA und Feststellung (Streitwert 30.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. August 2012, GZ 13 R 60/12g-71, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Jänner 2012, GZ 58 Cg 191/09y-57, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die meritorische Behandlung der Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Am vorletzten Tag der Berufungsfrist brachte der Prozessvertreter der Klägerin im Elektronischen Rechtsverkehr einen als „Berufung“ bezeichneten Schriftsatz ein, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die Beilagen im PDF-Format als Schriftsatz-Anlage übermittelt würden. Im Beilagenverzeichnis waren unter der Rubrik „Anhangsart“ eine „Beilage“ und ein „Rechtsmittel“ erwähnt. Tatsächlich wurden als Anhänge ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Vermögensbekenntnis und drei Urkunden einerseits und (lediglich) die erste Seite („Rubrum“) eines anwaltlichen Schriftsatzes mit der Überschrift „A) Berufung B) Verfahrenshilfeantrag“ andererseits übermittelt. Das Erstgericht teilte dem Klagevertreter daraufhin schriftlich mit, dass lediglich das Deckblatt ohne Berufung eingelangt sei, und ersuchte um Übermittlung der Berufung. Noch am Tag der Zustellung dieser Mitteilung übermittelte der Klagevertreter die vollständige Berufungsschrift und stellte am nächsten Tag zudem einen Wiedereinsetzungsantrag, für den Fall, dass es sich nicht um einen verbesserungsfähigen Mangel gemäß § 84 ZPO gehandelt haben sollte. Der Berufungsschriftsatz sei vollständig ausgearbeitet gewesen, offenbar sei es jedoch zu einem Fehler bei der Umwandlung des Word-Dokuments in das PDF-Format gekommen. Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung ab, die Berufung sei ohnehin fristgerecht eingebracht und dann unverzüglich verbessert worden.

Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Ein inhaltsleeres Rechtsmittel eines Rechtsanwalts - wie eine Berufung ohne Begründung - sei keinem Verbesserungsverfahren zu unterziehen. Um der Gefahr vorzubeugen, dass durch bewusst unvollständige Erhebung des Rechtsmittels eine Verbesserungsfrist erschlichen werde, dürfe eine Verbesserung eines anwaltlichen Rechtsmittels nur dann verfügt werden, wenn sich der Schriftsatz nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels erschöpft. Von einem Rechtsmittel als Gegenstand eines Verbesserungsverfahrens könne nur gesprochen werden, wenn wenigstens erkennbar ist, welche Fehler der Entscheidung vorgeworfen werden und wodurch sich die Partei benachteiligt erachtet. Durch den elektronisch eingebrachten Schriftsatz sei die Berufungsfrist somit nicht unterbrochen worden.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Rekurs der klagenden Partei, der berechtigt ist.

Gemäß § 84 Abs 1 ZPO hat das Gericht die Beseitigung vom Formgebrechen, welche die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung eines überreichten Schriftsatzes zu hindern geeignet sind, von Amts wegen anzuordnen. Es trifft zwar zu, dass die Verbesserungsvorschriften nicht dazu führen dürfen, dass eine Partei oder ein Parteienvertreter durch das bewusste Verfassen von unvollständigen oder mit Formfehlern behafteten Schriftsätzen im Ergebnis die gesetzlichen Notfristen verlängern oder zumindest das Verfahren verzögern könnte. In diesem Sinne wird auch judiziert, dass ein Verbesserungsverfahren dann grundsätzlich nicht stattzufinden hat, wenn sich der Schriftsatz in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpft, die Entscheidung zu bekämpfen (RIS-Justiz RS0036478). In diesem Sinne wurde etwa auch ausgesprochen, dass die bloße Übermittlung eines „Deckblatts“ eines anwaltlichen Rechtsmittels nicht verbesserbar ist und zu keiner Fristverlängerung führt (10 Ob 34/04d; RIS-Justiz RS0036478 [T5]; vgl auch 9 Ob 78/08y).

Da diese Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Verbesserungsmöglichkeiten allerdings darauf abzielt, prozessuale Vorteile zu verhindern, die durch bewusstes Fehlverhalten bei der Einbringung von Schriftsätzen entstünden, ist grundsätzlich ein Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch bewusst unvollständige Einbringung - etwa nur des „Deckblatts“ - die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags - und damit eine Fristverlängerung - erreicht werden sollte (1 Ob 200/06b = RIS-Justiz RS0036478 [T7]). Auf die Zielrichtung dieser Judikatur insbesondere die zuletzt angeführte Entscheidung (der auch die zu 7 Ob 130/10h = SZ 2011/41 folgte) hat das Berufungsgericht nicht Bedacht genommen und insbesondere auch nicht ausgeführt, worin es Anzeichen für einen solchen (vermuteten) Missbrauch gesehen haben könnte. Dies wäre aber insbesondere deshalb zu verlangen, weil gerade mit der automationsunterstützten Verfassung und Einbringung von Schriftsätzen zahlreiche mögliche Fehlerquellen verbunden sind, weshalb bei im Elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Eingaben eine Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit in der Regel ohne jene böse Absicht erfolgt, die die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung in den Griff bekommen will.

Gerade im vorliegenden Fall spricht auch der zeitliche Ablauf nicht für einen Missbrauch von Verbesserungsmöglichkeiten durch die Klägerin bzw deren Prozessvertreter, wurde die Eingabe doch am vorletzten Tag der Rechtsmittelfrist übersandt. Es wäre also noch ein voller Tag zur Verfassung des Rechtsmittels zur Verfügung gestanden. Dass ein Rechtsanwalt dennoch absichtlich eine bloß aus dem „Rubrum“ des Berufungsschriftsatzes bestehende Eingabe übermittelt, um sich im Wege eines erwarteten Verbesserungsauftrags über den verbleibenden Tag hinaus einen weiteren Zeitraum für die Ausarbeitung des Schriftsatzes zu verschaffen, ist mangels besonderer Anhaltspunkte nicht zu unterstellen. Die Auffassung des Rekursgegners, es sei „lebensnah“ davon auszugehen, dass die Klägerin es genau darauf ankommen habe lassen wollen, die Frist für die Einbringung der Berufung durch einen Verbesserungsauftrag des Gerichts erstrecken zu lassen, wird nicht einmal ansatzweise begründet.

Das Erstgericht hat daher zutreffend einen - wenn auch unrichtigerweise unbefristeten - Verbesserungsauftrag erteilt, dem die Klägerin jedenfalls rechtzeitig (vgl dazu auch 1 Ob 217/03y = RIS-Justiz RS0118296) nachgekommen ist. Die Auffassung des Berufungsgerichts, mangels Fristsetzung läge gar kein Verbesserungsauftrag vor, ist unrichtig.

Da das Berufungsgericht somit zu Unrecht eine Verspätung der Berufung der Klägerin angenommen hat, ist der Zurückweisungsbeschluss aufzuheben. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 8 Abs 1 OGHG) ist in diesem Zusammenhang nicht zu lösen. Das Berufungsgericht wird die Berufung meritorisch zu behandeln haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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