OGH 8ObA70/12w

OGH8ObA70/12w29.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 8021 Graz, Göstinger Straße 26, vertreten durch Dr. Peter Schaden, Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch NM Norbert Moser Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 102.534,40 EUR und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 2012, GZ 7 Ra 46/12g-20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Grobe Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist. Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften reicht für sich allein für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht aus (RIS-Justiz RS0030644 [T13]). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, kann immer nur Ergebnis einer Beurteilung der besonderen Umstände des Einzelfalls sein und wirft, außer im Fall einer krassen Fehlbeurteilung, keine darüber hinaus wesentlichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Soweit die Revision eine außergewöhnliche Sorgfaltsverletzung von Organen der Beklagten darin erblickt, dass die streitgegenständliche Maschine nicht den Anforderungen der geltenden Fassung § 43 Abs 3 und 4 AM-VO idF BGBl II Nr 21/2010 entsprochen habe, übersieht sie, dass diese Bestimmungen zum Unfallszeitpunkt noch nicht in Kraft standen.

Die § 43 Abs 3 und 4 AM-VO in der am 10. 8. 2009 geltenden Fassung lauteten:

„3) (…) Verkleidungen und Verdeckungen müssen unter Einhaltung der Sicherheitsabstände nach § 42 unmittelbar vor der Gefahrenstelle angeordnet und, soweit dies möglich ist, in die Konstruktion der Betriebseinrichtungen, sonstiger mechanischer Einrichtungen und Betriebsmittel einbezogen sein. Umwehrungen müssen in einem solchen Abstand von der Gefahrenstelle angebracht sein, dass diese nicht erreicht werden kann.

4) Verkleidungen, Verdeckungen und Umwehrungen müssen aus genügend widerstandsfähigem Material gefertigt und sicher befestigt sein. Sie müssen so gestaltet und angeordnet sein, dass sie bei der Arbeit möglichst wenig behindern; sie dürfen ohne Hilfsmittel nicht abnehmbar sein. Diese Schutzeinrichtungen müssen ferner so gestaltet und angeordnet sein, dass Erschwernisse für die Wartung von Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln möglichst gering sind.“

Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz, eine Überprüfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen ist ihm verwehrt. Bei rechtlicher Beurteilung ist im vorliegenden Fall daher von der bindenden Feststellung auszugehen, dass die gegenständliche Maschine noch am Unfallstag, vor der Inbetriebnahme durch den Verletzten, mit einer vor der Gefahrenstelle angeschraubten Plexiglasverdeckung versehen war. Es konnte weder festgestellt werden, dass diese Verdeckung zu gering dimensioniert oder falsch montiert war, noch dass die Befestigungsschraube ohne Hilfsmittel entfernt werden konnte, noch dass die Verdeckung im befestigten Zustand tatsächlich ohne Hilfsmittel weggedreht werden konnte.

Davon ausgehend sind die Vorinstanzen aber ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin der Nachweis eines Verstoßes gegen § 43 Abs 3 und 4 AM-VO in der zum Unfallszeitpunkt 10. 8. 2009 geltenden Fassung nicht gelungen ist.

Dass die sich in der Revision zitierten mehrfachen behördlichen Aufträge zur Beseitigung von den Arbeitnehmerschutzvorschriften widersprechenden Zuständen, soweit sie überhaupt vor dem Unfall erteilt wurden, auf die gegenständliche Maschine, insbesondere auf eine Untauglichkeit der nach dem ersten Unfall im Jahre 2006 montierten Plexiglasabdeckung bezogen hätten, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die Vorlage der in der Revision angesprochenen EG-Konformitätserklärungen nach der Maschinen-Sicherheitsverordnung (MSV)-2010 konnte im Unfallsjahr 2009 noch keine Relevanz haben.

Mit der CE-Kennzeichnung nach § 8 MSV in der am Unfallstag geltenden Fassung wird vom Hersteller, dessen Vertreter oder vom Inverkehrbringer die Übereinstimmung einer Maschine mit den zutreffenden Bestimmungen dieser Verordnung, insbesondere mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen, bescheinigt. Dass das Fehlen einer solchen deklarativen Erklärung Dritter alleine hier schon zur Folge hätte, dass der Eintritt eines Unfallschadens als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar ist, haben die Vorinstanzen ausgehend von den konkreten Feststellungen jedenfalls vertretbar verneint.

Ausgehend von den bindenden Feststellungen vermag die Revision insgesamt nicht darzulegen, worin konkret in Bezug auf diese Maschine eine von den Vorinstanzen nicht berücksichtigte außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht bei der Beklagten gelegen sein soll, und warum der Eintritt des konkreten Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar gewesen wäre. Eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO im Einzelfall aufzugreifende Fehlentscheidung der Vorinstanzen wird damit nicht aufgezeigt.

2. Der behauptete Verfahrensmangel wegen Nichterledigung eines Teils der Beweisrüge ist nicht zu erkennen. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich auf diesen Punkt der Beweisrüge Bezug genommen und diesen behandelt. Grundsätzlich muss sich das Berufungsgericht aber nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis und Argument des Rechtsmittelwerbers auseinandersetzen (RIS-Justiz RS0043371 [T18, T23]).

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