OGH 1Ob52/13y

OGH1Ob52/13y11.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer und Mag. Bernhard Lehofer, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 80.547,56 EUR sA, über die außerordentliche Revision und den Rekurs der beklagten Partei (Rechtsmittelinteresse je 52.408,46 EUR sA) gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2013, GZ 14 R 243/12a-96, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 17. August 2012, GZ 25 Cg 22/09x-80, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 15. Oktober 2012, GZ 25 Cg 22/09x-83, zum Teil bestätigt und zum Teil aufgehoben sowie die zweite Berufung der beklagten Partei zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten dieses Rechtsmittels selbst zu tragen.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

I.1. Das Urteil des Erstgerichts vom 17. 8. 2012 wurde dem Klagevertreter am 4. 10. 2012 und der Finanzprokuratur als Vertreterin der beklagten Republik Österreich am 8. 10. 2012 zugestellt. In dieser Entscheidung wurde eine (angeblich angeschlossene) Urkunde zum integrierenden Bestandteil der Feststellungen erklärt. Tatsächlich war diese Urkunde weder der Urschrift noch den Urteilsausfertigungen angeschlossen worden. Das Erstgericht berichtigte sein Urteil mit Beschluss vom 15. 10. 2012 dahin, dass dieses Versehen durch Anschluss der Urkunde zu korrigieren sei. Mit Beschluss vom selben Tag forderte es die Parteien auf, dem Gericht ihre Ausfertigungen des Urteils umgehend zur Berichtigung des Urteils zuzustellen. Beide Beschlüsse wurden der Finanzprokuratur am 24. 10. 2012 zugestellt. Über ihr Ersuchen verfügte das Erstgericht am 5. 11. 2012 die Übermittlung des Akts zur Einsicht. Am 5. 11. 2012 brachte die Beklagte ihre erste Berufung beim Erstgericht ein. Am 7. 11. 2012 langte der Akt von der Finanzprokuratur wieder beim Erstgericht ein. Am selben Tag verfügte das Erstgericht die Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigungen an die Parteienvertreter. Diese erfolgte jeweils am 9. 11. 2012. Am 14. 11. 2012 brachte die beklagte Partei eine zweite Berufung ein, mit der sie den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 3 ZPO geltend machte. Aufgrund der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung müsse davon ausgegangen werden, dass das Erstgericht trotz seiner funktionellen Unzuständigkeit im Stadium des Rechtsmittelverfahrens neuerlich eine Entscheidung in der Sache gefällt habe. Ansonsten war der Inhalt der beiden Rechtsmittelschriften identisch.

Das Berufungsgericht wies die zweite Berufung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu (vgl RIS-Justiz RS0041666). Dem Erstgericht unterlief ein Versehen, indem eine Urkunde, die laut erstinstanzlichem Urteil integrierender Bestandteil der Feststellungen war, weder der Urschrift noch den Urteilsausfertigungen angeschlossen wurde. Noch vor Einbringung der ersten Berufung durch die beklagte Partei berichtigte das Erstgericht diesen Fehler und übermittelte der Beklagtenvertreterin (Finanzprokuratur) den Akt. Die beklagte Partei ging in der Rechtsrüge ihrer nach Zustellung des Berichtigungsbeschlusses erhobenen ersten Berufung auf den Inhalt der Urkunde ein, was zeigt, dass sie zum Zeitpunkt der Einbringung ihres Rechtsmittels keinen Zweifel daran hatte, welche Feststellungen das Erstgericht getroffen hatte (vgl RIS-Justiz RS0041797 [T34, T49]). Mit dieser Berufung hat sie ihr Rechtsmittelrecht konsumiert. Mit dem Einbringen ihrer zweiten Berufung verstieß sie gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, weshalb das Berufungsgericht dieses Rechtsmittel zu Recht zurückgewiesen hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.

II. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Gegen den Kläger wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts eines Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) geführt. Er befand sich von 19. 12. 2005 bis 13. 9. 2006 in Verwahrungs- bzw Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 13. 9. 2006 wurde er (rechtskräftig) nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Im vorliegenden Verfahren macht er Ansprüche nach dem StEG 2005 geltend.

Diesen Ansprüchen hält die beklagte Partei den Einwand des Mitverschuldens des Klägers entgegen, den sie offenbar aus § 4 Abs 1 Z 1 StEG 2005 ableitet. Im Sinn dieser Bestimmung kann die Haftung des Bundes wegen eines Mitverschuldens nach § 1304 ABGB eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn die geschädigte Person ein Verschulden an ihrer Festnahme oder Anhaltung trifft, weil sie den Verdacht oder einen Haftgrund dadurch herbeiführte, dass sie sich in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu einer späteren Verantwortung belastete oder wesentliche entlastende Umstände verschwieg oder sonst gegen die Festnahme oder Anhaltung sprechende Gründe nicht vorbrachte.

Die beklagte Partei wirft dem Kläger vor, er habe den Verkauf psychotroper Pilze fortgesetzt, nachdem er während des anhängigen Ermittlungsverfahrens in einer Rechtsauskunft des Bundesministeriums für Justiz eindeutig auf die Unerlaubtheit dieser Tätigkeit hingewiesen worden sei. Zunächst ist zweifelhaft, ob diese, ausdrücklich als nicht bindend bezeichnende Rechtsauskunft die Strafbarkeit des Handels mit derartigen Pilzen tatsächlich so eindeutig darlegte, finden sich dort doch Formulierungen, dass deren Vertrieb „nicht von vornherein die gerichtliche Strafbarkeit abgesprochen“ werden oder dieser unter bestimmten Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht einen kausalen Tatbeitrag zu Delikten nach §§ 27 f SMG darstellen könne. Nach Erhalt dieser Auskunft hielt jener Strafverteidiger, den der Kläger mit der Abklärung beauftragt hatte, ob der beabsichtigte Vertrieb der Pilze strafrechtlich relevant sei, seine Stellungnahme aufrecht, laut der Einfuhr und Vertrieb der Pilze nicht gegen gerichtlich strafrechtliche Bestimmungen zu verstoßen scheine. Schon das Berufungsgericht zog diese Unsicherheit der Rechtslage als Argument gegen ein Mitverschulden des Klägers heran.

Die Argumentation der Revisionswerberin ist aber unabhängig von diesen Erwägungen schwer verständlich, setzt sie doch die fortgesetzte Tatbegehung einem Mitverschulden im Sinn des § 4 Abs 1 Z 1 StEG 2005 gleich. Inwieweit diese eine unter diese Norm, die das Herbeiführen des Verdachts oder eines Haftgrundes durch nachträgliches Verhalten sanktioniert, fallende Konstellation begründen sollte, bleibt unerfindlich. Wenn die Revisionswerberin die erst jüngst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 2/13w zur Unterstützung ihres Standpunkts zitiert, missversteht sie deren Aussage. Der Oberste Gerichtshof sah den Mitverschuldensvorwurf nach der zitierten Bestimmung in Fällen des „Subsumtions- oder Qualifikationsfreispruchs“ nur für den Fall als begründet an, dass der Verdächtige nach Bekanntwerden seiner Handlung ein weiteres (ihm vorwerfbares) Verhalten gesetzt habe, das die Verdachtsmomente entgegen der tatsächlichen Sachlage verstärkt habe, wozu etwa auch das Verschweigen entlastender Umstände gehören würde. Die Begehung der Tat verstärkte hier gerade nicht Verdachtsmomente entgegen der tatsächlichen Sachlage, sie begründete vielmehr den (dringenden) Tatverdacht und die Haftgründe als Voraussetzung für die Verhängung der Verwahrungs- bzw Untersuchungshaft.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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