OGH 14Os14/13k

OGH14Os14/13k9.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian W***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Juli 2012, GZ 34 Hv 52/12b-14, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft „wegen Schuld“ sowie die Berufung des Angeklagten „wegen Nichtigkeit und Schuld“ werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian W***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er in F***** von Herbst 2004 bis 6. November 2010

(1) in oftmaligen, zumindest monatlich wiederkehrenden Angriffen mit dem am 7. November 1996 geborenen Norbert M***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er an ihm einen Oralverkehr durchführte;

(2) in oftmaligen, von Punkt 1 nicht erfassten zumindest monatlich wiederkehrenden Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB an dem Genannten geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er dessen Penis intensiv betastete und sich von ihm an seinem Penis betasten und streicheln ließ.

Von der weiters wider ihn erhobenen Anklage, er habe in F*****

(1) „in der Zeit von ca. 2007 bis zum November 2011 in oftmaligen ... vom Schuldspruch nicht erfassten Angriffen“ den am 7. November 1996 geborenen Norbert M***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihn an den Schultern erfasste und auf eine Couch niederdrückte, sodass er nicht entkommen konnte, und in weiterer Folge einen Oralverkehr an ihm vollzog;

(2) „durch die im Schuldspruch und Punkt 1 des Freispruchs angeführten Taten“ mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und von ihr eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen lassen,

wurde der Angeklagte gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die aus dem Grund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gegen den Freispruch „von der Anklage wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB“ (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 633) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.

Nach den wesentlichen Urteilsannahmen hat der Angeklagte von Herbst 2004 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres des Tatopfers am 6. November 2010 - jeweils mit entsprechendem Vorsatz - an diesem wiederholt einen Oralverkehr durchgeführt und - bei anderen Gelegenheiten (US 2) - geschlechtliche Handlungen vorgenommen, wobei er das Alter des Kindes kannte. Dass er dabei auch Gewalt gegen Norbert M***** anwendete und unter Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses handelte, erachteten die Tatrichter für nicht erweislich (US 6, 10) und subsumierten - trotz missverständlicher Formulierung im Freispruch („in oftmaligen … vom Schuldspruch nicht erfassten Angriffen“; US 2) - hinreichend deutlich (vgl dazu RIS-Justiz RS0106264; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) sämtliche dieser innerhalb des - nur durch Anfangs- und Endzeitpunkt - eingeschränkten Tatzeitraums begangenen Taten entweder dem § 206 Abs 1 StGB (1) oder dem § 207 Abs 1 StGB (2).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (für viele: RIS-Justiz RS0099810).

Mit dem nicht näher konkretisierten Vorwurf, der Schöffensenat hätte den Angeklagten auf Basis der oben zitierten - im Rechtsmittel vollständig wiedergegebenen - Feststellungen „unter Einbeziehung der übrigen Sachverhaltskonstatierungen“ nicht „von der Anklage wegen der Verbrechen der Vergewaltigung freisprechen, sondern (ebenfalls) wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig sprechen müssen“, verfehlt die Rechtsrüge schon deshalb eine im dargestellten Sinn an der Prozessordnung orientierte Ausführung, weil sie einen - nicht ohnehin vom Schuldspruch 1 umfassten - festgestellten Sachverhalt, der nach ihrer Ansicht dem bezeichneten Strafsatz zu subsumieren wäre, nicht bezeichnet.

Zudem erfolgten die Schuldsprüche jeweils wegen einer unbestimmten Anzahl (durch Nennung des Tatorts, des Tatzeitraums und der ungefähren Häufigkeit [zumindest einmal im Monat] sowie der Umschreibung der sexuellen Übergriffe) nur pauschal individualisierter gleichartiger, jeweils den genannten Gesetzesbestimmungen unterstellter Taten (sogenannte gleichartige Verbrechensmenge [vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 21, 33, 291 ff]). Inwiefern Hinzutreten weiterer innerhalb des selben Zeitraums begangener gleichartiger - ebenso bloß pauschal individualisierter - Taten, mit anderen Worten eine Erhöhung deren - vorliegend gar nicht bestimmter - Anzahl, Auswirkungen auf den Schuldspruch oder die Subsumtion haben sollte, lässt die Beschwerde nicht erkennen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33, 327 [Punkt 4], § 295 Rz 15 ff).

Bleibt anzumerken, dass einer Tat für schuldig befunden oder von der Anklage freigesprochen zu werden, von der StPO als kontradiktorisches Gegensatzpaar angelegt ist; eine dritte Möglichkeit soll für Endurteile logisch ausscheiden. Schuld- und Freispruch beziehen sich demnach nicht auf die rechtliche Kategorie (strafbare Handlung), sondern auf die Tat, also das unter Anklage gestellte historische Geschehen. Das ist der Grund, warum nach ständiger Rechtsprechung ein Subsumtionsfreispruch (sogenannter Qualifikationsfreispruch) nicht in Frage kommt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523, 563; RIS-Justiz RS0120128, RS0115553).

Demzufolge hätte das Erstgericht in Ansehung des Tatzeitraums bis zum 6. November 2010 die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 StGB und die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB rechtsrichtig bloß als nicht ideell konkurrierend und solcherart nicht begründet anzusehen gehabt (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Der stattdessen erfolgte Freispruch von einer Subsumtion der den Schuldsprüchen 1 und 2 zugrunde liegenden Taten auch unter diese strafbaren Handlungen war nach dem Vorgesagten insoweit zwar rechtlich verfehlt, aber prozessual bedeutungslos (Ratz, WK-StPO § 293 Rz 15).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Gleiches gilt für die gegen schöffengerichtliche Urteile nicht zustehende Berufung „wegen Schuld“ (ON 15) der Staatsanwaltschaft und die vom Angeklagten ohne Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) „wegen Nichtigkeit und Schuld“ angemeldete Berufung (ON 16). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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