OGH 8Ob7/13g

OGH8Ob7/13g4.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** AG, *****, vertreten durch DDr. Christian F. Schneider, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Erwin Wlaka, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.594.679,95 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2012, GZ 5 R 134/12f‑23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Mai 2012, GZ 54 Cg 125/11b‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 5.856,84 EUR (darin enthalten 976,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist ein Elektrizitätsunternehmen und betreibt mehrere Wasserkraftwerke. Sie ist als Erzeugerin an das Verteilernetz der Beklagten, einer Verteilernetz-betreiberin im Sinn des Elektrizitätswirtschafts‑ und Organisationsgesetzes (ElWOG), angeschlossen. Für die Lieferung elektrischer Energie bestehen preisrechtliche Tarifvorschriften. Im vorliegenden Fall fanden diese in § 25 ElWOG 1998 über die Bestimmung der Systemnutzungstarife und in den auf dieser Rechtsgrundlage erlassenen Systemnutzungstarife‑Verordnungen (SNT‑VO) ihre Grundlage (siehe dazu Würthinger , Systemnutzungstarife für Elektrizitätsnetze 5). Für den Anlassfall ist die SNT‑VO 2010 (Novelle 2011) maßgebend. Darin waren für das von den Entnehmern und Einspeisern zu entrichtende Netzverlustentgelt sowie für das von den Entnehmern zu entrichtende Netznutzungsentgelt (hier für Pumpspeicherkraftwerke) zwingende Tarife festgelegt (zu den Entgeltkomponenten siehe Würthinger 17 f). Das Netzverlustentgelt soll jene Kosten abgelten, die dem Netzbetreiber aus dem Zukauf jenes Stroms erwachsen, den er zum Ausgleich von technisch unvermeidbaren Verlusten des vom Einspeiser übertragenen Stroms benötigt.

Die Beklagte stellte der Klägerin für die Einspeisung in ihr Netz monatliche Netzverlustentgelte in Rechnung. Ebenso hob sie von der Klägerin Netznutzungsentgelte und Netzverlustentgelte für den Bezug von Pumpstrom ein. Die Klägerin bezahlte (auch) für den Zeitraum Jänner und Februar 2011 die von der Beklagten vorgeschriebenen Beträge unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Im vorliegenden Verfahren macht sie nunmehr die Rückforderung dieser Beträge geltend.

Vor Einbringung der zugrunde liegenden Klage leitete die Klägerin am 12. 4. 2011 ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren ein. Ihr Antrag wurde mit Bescheid vom 25. 5. 2011 von der Regulierungsbehörde abgewiesen.

Infolge Anfechtung von Vorschriften des ElWOG 1998 sowie der auf dieser Basis ergangenen SNT‑VO stellte der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. 6. 2011, G 3/11 ua, fest, dass § 25 Abs 1 Z 1 und 3, § 25 Abs 4 und § 25 Abs 12 ElWOG 1998 wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots verfassungswidrig gewesen seien. Mit weiterem Erkenntnis vom 27. 9. 2011, V 59/09 ua, hob der Verfassungsgerichtshof die SNT‑VO 2006 (Novellen 2008 und 2009) und die SNT‑VO 2010 (samt Novelle 2011) als gesetzwidrig auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Grundlage dieser Verordnungen durch das Erkenntnis vom 21. 6. 2011 weggefallen sei. Die Aufhebung trete mit Ablauf 31. 3. 2012 in Kraft. Die Anlassfallwirkung sei gemäß § 139 Abs 6 zweiter Satz B‑VG auch für die im Erkenntnis im Einzelnen bezeichneten Gerichtsverfahren herbeizuführen.

Mit Klage vom 7. 6. 2011 begehrte die Klägerin die Rückzahlung der ihr von der Beklagten vorgeschriebenen Netzverlust‑ und Netznutzungsentgelte für Jänner und Februar 2011. Ein von der Klägerin zusätzlich erhobenes Feststellungsbegehren wurde wegen Streitanhängigkeit rechtskräftig zurückgewiesen. Die Klägerin brachte vor, dass bei richtiger Auslegung des ElWOG 1998 und der SNT‑VO 2010 (Novelle 2011) ein Elektrizitätsunternehmen hinsichtlich des Bezugs von Pumpstrom nicht als „Entnehmer“ anzusehen sei. Aus diesem Grund bestehe dafür keine Entgeltverpflichtung. Davon abgesehen sei ihre Belastung als „Einspeiser“ mit Netzverlustentgelten gesetzwidrig. Vor allem verstoße § 25 ElWOG 1998 gegen das verfassungsrechtliche Determinierungsgebot, weshalb für die SNT‑VO keine geeignete Rechtsgrundlage bestehe. Dementsprechend habe auch der Verfassungsgerichtshof § 25 Abs 1 Z 1 und 3, Abs 4 und Abs 12 ElWOG 1998 und die auf dieser gesetzlichen Grundlage ergangenen SNT‑VO 2006 (Novelle 2009) und SNT‑VO 2010 einschließlich der Novelle 2011 aufgehoben. Nach dem unionsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes müssten im Fall der Aufhebung eines Rechtsakts auch jene Personen berechtigt sein, sich auf die Ungültigkeit dieses Rechtsakts zu berufen, die vor der Aufhebung einen auf dasselbe Rechtsschutzziel abzielenden Rechtsbehelf ergriffen hätten. Daraus folge, dass die Anlassfallwirkung des VfGH‑Erkenntnisses auch auf das vorliegende Verfahren zu erstrecken sei.

Die Beklagte entgegnete, dass auch Pumpstrombezieher als Entnehmer im Sinn des ElWOG 1998 anzusehen seien. Eine Gesetzwidrigkeit der zugrunde liegenden Bestimmungen der SNT‑VO könne nicht mehr geltend gemacht werden. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die von ihr zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs berufen, weil es sich beim vorliegenden Verfahren um keinen Anlassfall handle. In jedem Fall habe die Klägerin aber für die von der Beklagten gesetzes- und vertragsgemäß erbrachten unternehmerischen Leistungen ein angemessenes Entgelt im Sinn des § 354 UGB zu leisten.

Das Erstgericht wies das Rückzahlungsbegehren ab. Auch die Klägerin falle als Pumpstrombezieherin unter den Begriff „Endverbraucher“ nach § 7 Z 9 ElWOG 1998. Auf die Anlassfallwirkung der zugrunde liegenden VfGH‑Erkenntnisse könne sich die Klägerin nicht berufen. Für Tatbestände, die sich vor der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof verwirklicht hätten, seien mit Ausnahme des Anlassfalls weiterhin die SNT‑VO anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis die Anlassfallwirkung nicht erstreckt habe. Dies habe der Verfassungsgerichtshof zwar getan, das Anlassverfahren sei im VfGH‑Erkenntnis allerdings nicht aufgezählt, weshalb dieses keinen Anlassfall darstelle. Dies bedeute, dass die aufgehobene SNT‑VO 2010 (Novelle 2011) im vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden sei. Die von der Klägerin vorgetragenen unionsrechtlichen Bedenken im Zusammenhang mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes seien nicht berechtigt. Die zitierte Rechtsprechung des EuGH beziehe sich nur auf unionsrechtliche Rechtsakte.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit ähnlicher Begründung. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu einem allfälligen Vorzug des unionsrechtlichen Gebots des effektiven Rechtsschutzes im Verhältnis zur verfassungsrechtlichen Norm des § 139 B‑VG höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Leistungsbegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art 47 der Grundrechte‑Charta (GRC) eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Unstrittig ist, dass das vorliegende Verfahren im zugrunde liegenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht angeführt ist. Es ist daher nicht von der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Ausdehnung der Anlassfallwirkung erfasst.

Den verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass eine gesetzwidrige Verordnung mangels Anlassfallwirkung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden ist (Art 139 Abs 6 B‑VG), stellt die Klägerin nicht in Frage. Sie beruft sich allerdings auf das unionsrechtliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs 1 EUV und Art 47 Abs 1 GRC. Daraus ergebe sich, dass die Anlassfallwirkung der VfGH‑Erkenntnisse auf das vorliegende Verfahren erstreckt werden müsse.

2.1 Die Klägerin stellt in diesem Zusammenhang zunächst zu Recht die Frage, ob der Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret des EUV und der GRC, im Anlassfall eröffnet ist. Dazu beruft sie sich auf den Umstand, dass die für den Rechtsstreit maßgebenden nationalen Rechtsvorschriften durch die Bestimmungen der Elektrizitätsbinnenmarkt‑Richtlinien 2003/54/EG und 2009/72/EG determiniert seien. Davon ausgehend vertritt sie die Ansicht, dass der Rechtsstreit einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betreffe.

2.2 Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes hat schon vor dem Vertrag von Lissabon in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Niederschlag gefunden. Der Vertrag von Lissabon positiviert in Art 19 Abs 1 EUV diese Rechtsprechung des EuGH, nach der sich aus dem allgemeinen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes im Zusammenhang mit dem Prinzip der Unionstreue die Pflicht der Mitgliedstaaten ergibt, ihre nationalen Prozessordnungen derart auszugestalten, dass den Anforderungen des Rechtsschutzgebots vor allem unter Berücksichtigung der eingeschränkten Direktklage-möglichkeiten auf Unionsebene Genüge getan wird (EuGH C‑317/08 ua, Alassini , Rn 61; Pache in Vedder/Heintschel v. Heinegg , Europäisches Unionsrecht, Art 19 EUV, Rz 1 und 12).

Durch die mit dem Vertrag von Lissabon im Rang des Primärrechts verbindliche GRC hat der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes eine weitere detaillierte Positivierung erfahren ( Pache aaO Rz 10).

2.3 Es stellt sich damit die Frage nach dem Anwendungsbereich der GRC.

Nach Art 51 Abs 1 leg cit gilt die Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung (besser: Anwendung) des Rechts der Union. Der Anwendungsbereich der GRC ist damit immer dann eröffnet, wenn eine Maßnahme in den Anwendungsbereich des AEUV fällt, sich eine Partei also auf das Freizügigkeitsrecht oder eine Grundfreiheit berufen kann, oder wenn zu einem Regelungsbereich eine sekundärrechtliche Vorschrift besteht ( Brenn, VfGH versus Unionsrecht, ÖJZ 2012/121, 1062 [1064]; vgl auch Ladenburger in Tettinger/Stern , Kölner Gemeinschafts-kommentar zur Europäischen Grundrechte‑Charta, Art 47 Rz 33 ff). Ohne jeden Zweifel fällt damit der Regelungsbereich einer Richtlinie in den Anwendungsbereich der GRC, und zwar auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Ermessen einräumt (EuGH C‑411/10, N.S. ). Im Anwendungsbereich der Grundrechte‑Charta hat die Prüfung der Grundrechte ausschließlich nach den EU‑Grundrechten stattzufinden (EuGH C‑256/11, Dereci ; Brenn aaO 1064).

2.4 Die Klägerin verweist mit Recht darauf, dass für § 25 ElWOG 1998 samt den auf dieser Basis ergangenen SNT‑VO ‑ mit Art 20 Abs 1 und Art 23 Abs 2 der Richtlinie 2003/54/EG (vgl auch Art 32 Abs 1 und Art 37 Abs 6 der Richtlinie 2009/72/EG ) ‑ eine unionsrechtliche Grundlage besteht. Dementsprechend wird im jeweiligen Vorblatt zur SNT‑VO 2006 (Novelle 2009) und zur SNT‑VO 2010 (samt Novelle 2011) festgehalten, dass mit den vorgesehenen Regelungen das im ElWOG abgebildete Regulierungsregime der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt unter Beachtung der Grundsätze der Richtlinie 2006/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 4. 2006 über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen umgesetzt werde (siehe auch das Vorblatt zur Systemnutzungsentgelte ‑Verordnung 2012 einschließlich der Novelle 2013).

Damit beruhen die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften auf einer sekundärrechtlichen unionsrechtlichen Grundlage; es handelt sich um Rechtsakte zur Umsetzung einer Richtlinie. Der Anwendungsbereich der GRC ist im Anlassfall damit eröffnet.

3.1 Es stellt sich somit die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob sich aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eine Erstreckung der Anlassfallwirkung nach Art 139 Abs 6 B‑VG auf Rechtsstreitigkeiten ableiten lässt, in denen vor Erlass der „normaufhebenden Entscheidung“ (hier VfGH‑Entscheidung) eine einschlägige Klage eingebracht oder zumindest ein entsprechender außergerichtlicher Rechtsbehelf erhoben wurde.

3.2 Die Klägerin beruft sich in dieser Hinsicht auf die Entscheidung des EuGH zu C‑228/92, Roquette Frères . Darin hat der EuGH in den Rn 17 ff ausgesprochen, dass der Ungültigerklärung eines Unionsrechtsakts durch den Gerichtshof grundsätzlich Rückwirkung zukomme. Der Gerichtshof sei (im Interesse der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und der Rechtssicherheit) jedoch befugt, die Wirkung der Ungültigkeit zeitlich (für die Vergangenheit) zu begrenzen. Dementsprechend könne er feststellen, dass mitgliedstaatliche Vollzugsmaßnahmen für Zeiträume vor dem EuGH‑Urteil nicht in Frage gestellt werden könnten. Weiters wurde in dieser Entscheidung festgehalten (Rn 23 ff), dass der Gerichtshof grundsätzlich bestimmen könne, ob eine Ausnahme von der Begrenzung der zeitlichen Wirkung seines Urteils zugunsten der (sich auf die Ungültigkeit berufenden) Partei des Ausgangsverfahrens vorgesehen werde, oder ob auch für diese Partei eine nur in die Zukunft wirkende Feststellung der Ungültigkeit des Rechtsakts in angemessener Weise Abhilfe schaffe. Aufgrund des Anspruchs auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sei die Person, die vor einem Erlass des EuGH‑Urteils beim nationalen Gericht Klage erhoben und das Verfahren geführt habe, das zur Ungültigerklärung geführt habe, aber berechtigt, sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens auf die Ungültigkeit zu berufen. Das gleiche Recht stehe den Marktteilnehmern zu, die vor dem genannten Zeitpunkt (Erlass des EuGH‑Urteils) einen außergerichtlichen Rechtsbehelf (gegen eine Verpflichtung aus dem ungültigen Rechtsakt) eingelegt hätten.

In dieser Entscheidung statuiert der EuGH somit die Möglichkeit zur Festlegung einer Anlassfallwirkung für seine eigenen Ungültigkeitsentscheidungen. Um in den Genuss der Anlassfallwirkung zu gelangen, genügt die Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs vor dem Erlass der EuGH‑Entscheidung. Zudem ergeben sich aus dem Urteil zeitliche Schranken für die „Begrenzung der Unwirksamkeit“, also für die bestehen bleibende Wirksamkeit eines aufgehobenen Rechtsakts, und zwar nur für die Vergangenheit bis zum Erlass des EuGH‑Urteils.

3.3 Diese Überlegungen verhelfen der Klägerin allerdings nicht zum Erfolg. Anders als im vorliegenden Fall betrifft die EuGH‑Entscheidung die Ungültigerklärung eines Unionsrechtsakts durch den EuGH. Eine solche Entscheidung liegt im Anlassfall nicht vor.

Davon abgesehen ist mit den dargestellten Überlegungen noch nichts über die Reichweite bzw den Schutzbereich des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz ausgesagt.

4.1 Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz garantiert, dass einem Betroffenen ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Ein solcher Rechtsbehelf muss im Lichte der Rechtsprechung des EuGH für alle auf EU‑Ebene gewährten Rechte und Freiheiten zur Verfügung stehen. Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Art 47 Abs 1 GRC ist jedoch, dass ein unionsrechtlicher Bezug besteht. In den Schutzbereich fällt daher nur die Verletzung von (subjektiven) Rechten bzw Ansprüchen oder von Freiheiten, die durch Unionsrecht garantiert werden. Diese Rechte müssen sich entweder aus einem unionsrechtlichen Rechtsakt (jede Handlung oder Maßnahme bzw jeder Akt, der eine Rechtswirkung erzeugt), oder aber aus einem mitgliedstaatlichen Rechtsakt ergeben, der Unionsrecht umsetzt ( Alber in Tettinger/Stern , Kölner Gemeinschafts-kommentar zur Europäischen Grundrechte‑Charta, Art 47 Rz 4, 9, 12 f und 19). Art 47 Abs 1 GRC gilt somit auch für Rechte, die sich aus Vorschriften der Mitgliedstaaten ergeben, sofern diese Vorschriften in Umsetzung von Unionsrecht ergangen sind ( Jarass , Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 47 Rz 6 und 7). Ansprüche, die durch rein nationales Recht normiert werden, fallen hingegen nicht in den Schutzbereich des Art 47 Abs 1 GRC ( Alber aaO Rz 21).

Art 47 GRC ist damit akzessorisch zur Geltendmachung der Verletzung eines materiellen Rechts, das sich aus dem Unionsrecht ableiten lässt ( Alber aaO Rz 8). Die Rechtsverletzung muss daher in Form einer materiellen Rüge behauptet werden. Dies bedeutet, dass vom Betroffenen eine schlüssige Behauptung aufgestellt werden muss, dass die durch Unionsrecht garantierten Rechte bzw Freiheiten verletzt wurden ( Alber aaO Rz 25; Jarass aaO Rz 11; Eser in Meyer , Charta der Grundrechte der Europäischen Union 3 Art 47 Rz 17).

4.2 Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, dass für den (von ihr behaupteten) Systemwechsel ab der SNT‑VO 2009 durch Umschichtung der Systemnutzungs‑Tarifbelastung von den Entnehmern hin zu den Erzeugern (als Einspeiser und als Bezieher von Pumpstrom) § 25 ElWOG 1998 keine geeignete gesetzliche Grundlage (bzw Ermächtigung) geboten habe und der für eine solche Maßnahme gebotene Interessenausgleich unterblieben sei, was Gesetzwidrigkeit begründe. Zudem hat sie sich darauf berufen, dass § 25 ElWOG 1998 wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots verfassungswidrig sei.

Ihre unionsrechtlichen Überlegungen beziehen sich nur auf rechtliche Ausführungen zum Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Dementsprechend hat sie zur Darlegung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts im gegebenen Zusammenhang (nur) vorgebracht, dass es sich bei den Bestimmungen über die Systemnutzungstarife im Elektrizitätsrecht um einen durch das EU-Recht determinierten Bereich handle. In der Berufung und in der Revision wiederholte die Klägerin ihren Hinweis, dass es sich um einen vom Unionsrecht erfassten Bereich handle, weil die Systemnutzungstarife unionsrechtlichen Vorgaben unterliegen würden. Eine schlüssige Behauptung, dass und wodurch sie in einem von den Elektrizitätsbinnenmarkt‑Richtlinien eingeräumten (subjektiven) Recht verletzt worden sei, hat die Klägerin allerdings nicht aufgestellt. Konkret hat sie keine Richtlinienwidrigkeit behauptet und sich auch nicht darauf berufen, dass die zugrunde liegende Richtlinie im Sinn des Art 263 (iVm Art 277) AEUV ungültig sei. Insgesamt hat sie damit keine materielle Rüge in Bezug auf ein durch Unionsrecht garantiertes Recht erhoben, was für den Schutzbereich des Art 47 GRC aber notwendig wäre.

In der Revision führte die Klägerin auch aus, dass das in den Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinien grundgelegte Beschwerderecht effektiv ausgestaltet sein müsse. Dies sei aber nicht der Fall, wenn sie trotz Ergreifung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs vor Erlass des VfGH‑Erkenntnisses an der Anlassfallwirkung nach Art 139 Abs 6 B‑VG scheitere. Auch damit hat die Klägerin keine materielle Rüge erhoben. Vielmehr ist ihre Schlussfolgerung, dass das Beschwerderecht effektiv sein müsse, unionsrechtliche Konsequenz (nur) für den Fall, dass die Verletzung eines unionsrechtlich garantierten materiellen Rechts schlüssig dargelegt wird. Der effektive Rechtsschutz bezieht sich sodann auf die effektive Durchsetzung der materiellen Rüge.

5.1 Insgesamt kann sich die Klägerin damit nicht unter Hinweis auf unionsrechtliche Grundsätze auf die Erstreckung der Anlassfallwirkung des VfGH‑Erkenntnisses vom 27. 9. 2011 berufen. Es bleibt damit bei der Anwendbarkeit der hier maßgebenden SNT‑VO 2010 (Novelle 2011). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die Zahlungspflicht für sie mangels Anlassfallwirkung nicht weggefallen.

5.2 Auf das Argument, dass sich die Anlassfallwirkung im Zusammenhang mit dem Parallelverfahren ***** des Handelsgerichts Wien auch auf das vorliegende Verfahren und die in diesem Verfahren geltend gemachten Rückforderungsbeträge beziehe, kommt die Klägerin in der Revision nicht mehr zurück. Ergänzend wird die Klägerin auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 126/12a und 4 Ob 186/12z hingewiesen. Nach diesen Entscheidungen kann sich der Netzbetreiber trotz Wegfalls der Systemnutzungstarife-Verordnungen (bei gegebener Anlassfallwirkung) auf eine vertragliche Preisregelung und eine in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Vereinbarung eines angemessenen Entgelts berufen. Im Anlassfall hat sich die Beklagte in dieser Hinsicht auf § 354 UGB berufen.

6.1 Zu den Entgelten (Netznutzungsentgelt und Netzverlustentgelt) für den Betrieb ihrer Pumpspeicherkraftwerke, also für den Bezug von Pumpstrom, anerkennt die Klägerin, dass durch die SNT‑VO 2006 idF der Novelle 2009 ein entsprechender Tarif eingeführt und damit die Zahlungspflicht auch für Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken festgelegt wurde. Sie vertritt dazu die Auffassung, dass Bezieher von Pumpstrom nicht als „Entnehmer“ im Sinn des ElWOG 1998 anzusehen seien. Nach § 25 Abs 4 ElWOG 1998 könnten Systemnutzungstarife aber nur für „Endabnehmer“ und für „Einspeiser“ vorgesehen werden. Im Hinblick auf die Novelle 2009 der SNT‑VO sei eine Änderung der beschriebenen Rechtsgrundlage nicht erfolgt.

Diese Argumentation zielt in Wirklichkeit auf die behauptete Gesetzwidrigkeit der im Anlassfall anzuwendenden SNT‑VO ab. Die Gesetzwidrigkeit einer bereits aufgehobenen SNT‑VO kann allerdings nicht mehr geltend gemacht werden.

6.2 Auch mit ihren Überlegungen zum Begriff „Entnehmer“ im Sinn des ElWOG 1998 (siehe auch §§ 5 und 6 SNT‑VO 2010 idF 2011) ist die Klägerin nicht im Recht.

§ 25 Abs 4 ElWOG 1998 (idF BGBl I 2000/121), auf den sich die Klägerin bezieht, sah vor, dass für Entnehmer und Einspeiser jedenfalls Systemnutzungstarife zu bestimmen sind (vgl dazu auch § 25 Abs 2 ElWOG 1998 in der Stammfassung). Die für die Zahlungspflicht maßgebenden Entgeltbestandteile waren in § 25 Abs 1 ElWOG 1998 (idF BGBl I 2000/121) aufgezählt. Darunter fielen unter anderem das Netznutzungsentgelt (Z 1) und das Netzverlustentgelt (Z 3). Die Netznutzung knüpft an die Definition des „Netzbenutzers“ an. Dabei handelte es sich nach § 7 Z 26 ElWOG 1998 (idF BGBl I 2000/121) um jede natürliche oder juristische Person oder Erwerbsgesellschaft, die Elektrizität in ein Netz einspeist oder entnimmt. Dass die Klägerin für den Betrieb ihrer Pumpspeicherkraftwerke Elektrizität verwendet, also elektrische Energie aus dem Netz entnimmt, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden.

6.3 Die Klägerin wird hinsichtlich des Bezugs von Pumpstrom auch vom Begriff „Entnehmer“ im Sinn des § 7 Z 10 ElWOG 1998 (idF BGBl I 2000/121) erfasst. Danach ist „Entnehmer“ ein Endverbraucher oder ein Netzbetreiber, der elektrische Energie aus dem Netz bezieht. „Endverbraucher“ ist nach § 7 Z 9 leg cit ein Verbraucher, der Elektrizität für den Eigenverbrauch kauft. In der Stammfassung des ElWOG 1998 (§ 7 Z 9) wurde noch zusätzlich der Verbraucher genannt, der Elektrizität zur Versorgung einer Verbrauchsstätte kauft. Daraus ergibt sich ohne jeden Zweifel, dass der Begriff „Verbraucher“ nicht etwa auf das KSchG, sondern auf das Verbrauchen von Energie abstellt.

In den Gesetzesmaterialien zur ElWOG‑Novelle 2000 (Änderung der RV Zu 66 BlgNR XXI. GP) wird zu § 7 Folgendes festgehalten: „Im neuen System der virtuellen Zusammenfassung von Erzeugern und Verbrauchern sind eine Reihe neuer Aufgaben und damit neuer Begriffe für jene, denen diese Aufgaben zukommen, erforderlich. Deshalb sind in diesen Definitionen Ergänzungen und Änderungen vorzunehmen, die sich auf die neuen Bedingungen beziehen. Dabei sind vor allem Bilanzgruppen, Stromhändler und Lastprofile zu nennen, einige andere Begriffe, wie zB die Verbrauchsstätte, der zugelassene Kunde oder die Betriebsstätte, konnten mit Hinblick auf die vollständige Marktöffnung entfallen.“

Daraus lässt sich ableiten, dass eine systematische Änderung des „Verbraucherbegriffs“ nicht beabsichtigt war. Vielmehr ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass unter den Begriff „Endverbraucher“ jede Person fällt, die Strom kauft, um diesen zu verbrauchen. Dass elektrische Energie, die zum Betrieb eines Pumpspeicherkraftwerks verwendet wird, verbraucht wird, kann nicht zweifelhaft sein. Nach der Gesetzessystematik sind von den (End-)Verbrauchern die Netzbetreiber und die Stromhändler zu unterscheiden. Wenn die Klägerin schon den Begriff der „Kunden“ in § 7 Z 21 ElWOG 1998 (idF BGBl I 2000/121), der vor allem für die Netzzugangsberechtigung von Bedeutung ist (vgl Hauer/Oberndorfer, ElWOG § 7 Rz 32), bemühen will, ergibt sich aus den dargestellten Überlegungen, dass in dieser Begriffsbestimmung „Elektrizitätsunternehmen, die elektrische Energie kaufen“, als besondere Gruppe der Endverbraucher hervorgehoben sind. Dazu zählen auch Erzeuger von Elektrizität, die für den Betrieb ihrer Kraftwerke selbst elektrische Energie benötigen und daher beziehen (vgl auch 4 Ob 126/12a).

6.4 Die Ansicht der Vorinstanzen, dass der Begriff des Endverbrauchers am Eigenverbrauch von Energie anknüpft und auch Energie verbrauchende Elektrizitätsunternehmen darunter fallen, ist damit nicht zu beanstanden.

7.1 Insgesamt ergibt sich:

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art 47 Abs 1 GRC garantiert, dass einem Betroffenen ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. In den Schutzbereich dieses Grundrechts fällt die Verletzung von (subjektiven) Rechten oder von Freiheiten, die durch Unionsrecht garantiert werden. Art 47 GRC ist akzessorisch zur Geltendmachung der Verletzung eines entsprechenden materiellen Rechts. Die Rechtsverletzung muss in Form einer materiellen Rüge schlüssig behauptet werden. Eine solche Rüge kann sich auf die materielle Unionsrechtswidrigkeit oder auf die Ungültigkeit des unionsrechtlichen Rechtsakts beziehen. Der effektive Rechtsschutz bezieht sich auf die effektive Durchsetzung der materiellen Rüge.

„Endverbraucher“ nach § 7 Z 9 ElWOG 1998 idF BGBl I 2000/121 (und damit „Entnehmer“ nach Z 10 leg cit) sind auch Erzeuger von Elektrizität, die für den Betrieb ihrer Kraftwerke selbst elektrische Energie beziehen.

7.2 Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

Die Anregung der Klägerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil hinsichtlich des Schutzbereichs des Art 47 Abs 1 GRC kein Zweifel besteht (vgl RIS‑Justiz RS0082949).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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