OGH 2Ob213/12f

OGH2Ob213/12f21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hanspeter Egger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.326,33 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Mai 2012, GZ 34 R 78/12s-18, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. März 2012, GZ 27 C 520/11i-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

I. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es als Teilurteil zu lauten hat:

„1. Die Klagsforderung besteht mit 3.760,63 EUR zu Recht.

2. Die eingewendete Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 3.760,63 EUR samt 4 % Zinsen aus 2.741,33 EUR vom 1. 7. 2011 bis 9. 11. 2011 und aus 3.760,63 EUR seit 10. 11. 2011 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

II. Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird im noch streitverfangenen Umfang (2.565,70 EUR sA) zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 7. 5. 2011 ereignete sich auf einem Betriebsgelände an der Adalbert-Schweitzer-Gasse in 1140 Wien, Auhofcenter, ein Verkehrsunfall zwischen einem PKW der klagenden Partei und einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW im Bereich eines Parkplatzes, der überwiegend überbaut ist. Der Lenker des Klagsfahrzeugs fuhr mit zumindest 10 km/h auf einer nicht überdachten Zufahrtsstraße geradeaus, der Lenker des Beklagtenfahrzeugs kam von rechts, aus dem überbauten Teil des Parkplatzes und beabsichtigte zur weiteren Parkplatzsuche nach links abzubiegen. Er hielt eine Geschwindigkeit von 5 bis 10 km/h ein, richtete seine Aufmerksamkeit nach rechts und sah daher das Klagsfahrzeug erst kurz vor der Kollision. Am Klagsfahrzeug entstand ein Totalschaden.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz des Wiederbeschaffungswerts des Fahrzeugs abzüglich des Restwerts, von Nebenspesen, Anmeldespesen, Umbaukosten, Eichkosten, Kosten eines Taxikennzeichens, Vignettenkosten und des Verdienstentgangs infolge reparaturbedingter Stehtage. Sie wirft dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs einen Verstoß gegen § 19 Abs 6 StVO vor, weil er aus einer Garage ausgefahren sei.

Die beklagte Partei stützt sich auf den Rechtsvorrang und wendet eine Reaktionsverspätung sowie relativ überhöhte Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs ein. Außerdem erhob sie eine Gegenforderung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei dem überdachten Bereich des Parkplatzes handle es sich nicht um eine Garage und keine iSd § 19 Abs 6 StVO untergeordnete Fahrbahn.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es gelangte zur Auffassung, dass das bloße Vorhandensein von Abstellflächen der daran angrenzenden bzw dazwischen hindurchführenden Verkehrsfläche nicht die Gleichrangigkeit mit anderen, der Zu- und Abfahrt zu diesen Abstellflächen dienenden Straßen nehme. Auch die Tatsache, dass außerhalb des überdachten Bereichs gekennzeichnete Parkplätze vorhanden seien, bekräftige die Ansicht, dass es sich um ein einheitliches Parkplatzgelände handle, sodass die Rechtsvorrangregel des § 19 Abs 1 StVO anzuwenden sei.

Die ordentliche Revision wurde im Hinblick auf eine abweichende Entscheidung eines anderen Senats des Berufungsgerichts zur selben Unfallstelle nachträglich zugelassen.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen; in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Wie der erkennende Senat in der dieselbe Unfallstelle betreffenden Entscheidung 2 Ob 216/12x - auf deren Begründung im Übrigen verwiesen wird - ausgesprochen hat, ist im vorliegenden Fall aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten eines Parkplatzes, der großteils unter einem darüber befindlichen Gebäude situiert ist und von den übrigen Parkflächen und der Zu- und Abfahrtsstraße, die das Klagsfahrzeug benutzte, durch Pfeiler, auf denen das darüber befindliche Gebäude ruht, abgegrenzt ist, bei objektiver Beurteilung (RIS-Justiz RS0074521) eine unterschiedliche Ausgestaltung der Verkehrsflächen iSd § 19 Abs 6 StVO anzunehmen (RIS-Justiz RS0074509), weil die unterhalb des Gebäudes liegende Abfahrt von den Parkplätzen nach objektiven Kriterien den Eindruck einer Garagenausfahrt vermittelt.

Es ist daher im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanzen von einem Vorrang des Fahrzeugs der klagenden Partei auszugehen. Eine gegenüber der Vorrangverletzung ins Gewicht fallende Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit oder eine Reaktionsverspätung des Lenkers des Klagsfahrzeugs lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.

Der Höhe nach ist das Klagebegehren aber nur in jenem Umfang spruchreif, in welchem das Erstgericht entsprechende Feststellungen getroffen hat (Totalschaden: 2.691,33 EUR; Anmeldespesen: 153,55 EUR; Umbaukosten: 813,25 EUR; Eichkosten: 52,50 EUR) oder eine Außerstreitstellung vorliegt (Nebenspesen: 50 EUR). Im Umfang der weiteren Schadenspositionen (Kennzeichen; Vignette; Verdienstentgang) sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, um Feststellungen zur Höhe des Klagebegehrens nachzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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