OGH 8ObA76/12b

OGH8ObA76/12b24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** F*****, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 28.334,60 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2012, GZ 8 Ra 72/12k‑17, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 29. Februar 2012, GZ 33 Cga 124/11p‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.610,64 EUR (darin enthalten 268,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1994 als Angestellte bei Rechtsvorgängern der (im Jahr 2011 gegründeten) Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 18. 9. 2008 wurde die Klägerin zum 31. 1. 2009 gekündigt, weil sie als Einzige der Mitarbeiter vor Vollendung des Regelpensionsalters stand. Da nach der Vorgabe des Aufsichtsrats im Bereich der Klägerin ein Vollzeitäquivalent eingespart werden sollte, war überlegt worden, wer am ehesten versorgt sei. Am 30. 9. 2008 brachte die Klägerin gegen die Kündigung eine Anfechtungsklage wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ein. Aufgrund des ungewissen Ausgangs dieses Verfahrens beantragte sie Ende 2008 die Gewährung der Alterspension, die sie am 1. 2. 2009 antrat. Im Fall des Antritts der ASVG‑Alterspension um ein Jahr später (am 1. 2. 2010) wäre die ASVG‑Alterspension höher gewesen.

Der Anfechtungsklage der Klägerin wurde mit Urteil vom 19. 5. 2009 wegen Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Klägerin sowie mangels betrieblicher Erfordernisse der Beklagten stattgegeben und die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt; das Urteil wurde im April 2010 rechtskräftig. Aufgrund dieses Urteils wurde der Klägerin das ausstehende Entgelt für den Zeitraum 1. 2. 2009 bis 31. 1. 2010 nachgezahlt. Das Dienstverhältnis der Klägerin endete durch Dienstgeberkündigung zum 31. 1. 2010; diese Kündigung wurde von der Klägerin nicht angefochten.

Mit der zugrunde liegenden Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass ihr die Beklagte für alle aus der Kündigung zum 31. 1. 2009 resultierenden Schäden, die ihr durch die im Hinblick auf die frühere Antragstellung geringere ASVG‑Pension entstünden, zu haften habe. Die Kündigungsanfechtung habe sie wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung gewonnen. Die Beklagte habe mit der Kündigung gegen die sie treffende Fürsorgepflicht verstoßen. Die Praxis der Beklagten, Frauen zum 60. und Männer zum 62,5. Geburtstag zu kündigen, sei überdies alters- und geschlechterdiskriminierend. Sie habe die Beklagte bereits vor der Kündigung darauf hingewiesen, dass ihr durch die sozialwidrige Kündigung ein Schaden entstehe. Aufgrund der Kündigung sei sie gezwungen gewesen, die Alterspension nach dem ASVG zu beantragen.

Die Beklagte entgegnete, dass die Klägerin nicht gezwungen gewesen sei, in Pension zu gehen. Vielmehr hätte sie die Möglichkeit gehabt, weitere Beitragszeiten zu erwerben. Mit den erhaltenen Abfertigungszahlungen hätte sie die Zeit zwischen der Kündigung und der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils im Anfechtungsverfahren überbrücken können. Sowohl § 105 ArbVG als auch die §§ 12 und 26 GlBG würden dem Schutz des durch die Weiterbeschäftigung gebührenden Erwerbseinkommens dienen, nicht aber die Sicherung einer höheren Pension bezwecken. Außerdem sei eine Kündigung nicht per se rechtswidrig. Ein Verschulden könne ihr nicht angelastet werden. Die Kündigung sei auch nicht geschlechter- und/oder altersdiskriminierend gewesen. Der Grund der Kündigung habe in den massiven finanziellen Problemen des Unternehmens bestanden.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Ein Schadenersatzanspruch der Klägerin gemäß § 1295 ABGB komme mangels eines rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten nicht in Betracht. Ersatz- bzw Schadenersatzansprüche für den Verlust des Arbeitsverhältnisses seien nicht Gegenstand der Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG. Auch der Schutzzweck der §§ 12 und 26 GlBG erstrecke sich nicht auf einen durch die Weiterbeschäftigung allenfalls höheren Pensionsanspruch.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG könne nicht entnommen werden, dass sie den Schutz eines durch die Weiterbeschäftigung höheren Pensionsanspruchs bezwecke. Soweit sich die Klägerin auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgesetzes stütze, sei zu beachten, dass dieses Gesetz dem diskriminierten Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen einer Anfechtung der Kündigung oder der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen innerhalb einer Frist von sechs Monaten einräume. Abgesehen davon, dass die Sechsmonatsfrist nach §§ 15 und 29 GlBG bei Einbringung der Klage längst verstrichen gewesen sei, habe die Klägerin die Kündigung zum 31. 1. 2009 angefochten und nicht gegen sich gelten lassen. Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

Mit ihrer ‑ durch den Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil zum Bestehen eines allgemeinen Schadenersatzanspruchs aufgrund einer sozialwidrigen Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG sowie zur Frage, ob neben den Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes wegen einer behaupteten geschlechter- und/oder altersdiskriminierenden Maßnahme des Dienstgebers ein allgemeiner Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden kann, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehlt. Die Revision der Klägerin ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin stützt sich auf eine Verletzung der im Zusammenhang mit § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG stehenden sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers sowie auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und wegen des Alters. Die Verpflichtungen des Arbeitgebers zur sozialen Gestaltung sowie zur Verhinderung von Diskriminierungen begründeten eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht. Dies führe zu Ansprüchen nach den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen.

2.1 Es entspricht der Rechtsprechung, dass bei einem Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes im Rahmen der Beurteilung der Betriebsbedingtheit der Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG zu überprüfen ist, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist. Diese verpflichtet ihn zur Prüfung, ob noch einschlägige Stellen im Betrieb vorhanden sind, die er dem zu kündigenden Arbeitnehmer anbieten muss. Bei sozial benachteiligenden Kündigungen müssen demnach vom Arbeitgeber alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausgeschöpft werden, um trotz Rationalisierungsmaßnahmen die bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Eine Kündigung ist erst dann in den Betriebsverhältnissen begründet, wenn für den betroffenen Arbeitnehmer im gesamten Betrieb kein Bedarf mehr gegeben ist und dem Arbeitgeber keine Maßnahme zumutbar ist, die eine Weiterbeschäftigung ermöglicht. Die Gestaltungspflicht des Arbeitgebers geht aber nicht so weit, dass er dem zu kündigenden Arbeitnehmer einen weniger qualifizierten Posten ohne Verringerung des Einkommens anbieten müsste (8 ObA 95/11w mwN).

2.2 Die rechtliche Konsequenz eines Verstoßes gegen die soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers besteht aufgrund der besonderen gesetzlichen Anordnungen in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG in der Anfechtbarkeit der Kündigung mit der Wirkung, dass die Auflösungserklärung durch gerichtliche Rechtsgestaltung ex tunc für unwirksam erklärt wird (RIS‑Justiz RS0028417 [T2]). Mit der Herstellung des rechtmäßigen Zustands wird dem Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers Rechnung getragen (vgl Marhold in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 18 Rz 113).

2.3 Windisch-Graetz hat in ihrer Untersuchung zur sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers (Soziale Gestaltungspflicht über die Betriebsgrenzen hinaus? ZAS 1996, 109) darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit ‑ ebenso wie die Festlegung von Kündigungsfristen und Kündigungsterminen ‑ als gesetzliche Konkretisierung des allgemeinen Fürsorgegedankens verstanden werden könne (vgl auch Binder in Löschnigg , AngG II 8 § 18 Rz 241 und Binder/Schindler in Löschnigg , AngG II 9 Rz 240). Dazu deutet sie (außer bei sittenwidriger Kündigung) zumindest an, dass die Konkretisierung der Fürsorgepflichten gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG für sozialwidrige Kündigungen abschließend geregelt sei.

Der Oberste Gerichtshof folgt dem Ansatz, dass § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht darstelle, nicht. Der allgemeine Kündigungsschutz des ArbVG ist als personelles Mitwirkungsrecht der Belegschaft konzipiert. Die Anfechtungsbefugnis ist also ein besonderes Recht der Belegschaft, das auf die Mitgestaltung bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Die Belegschaft wirkt auf diese Weise an der Willensbildung des Arbeitgebers mit. Gegebenenfalls kann sie das Klagerecht auch dem Arbeitnehmer selbst überlassen (8 ObA 21/12i). Die kollektive Konzeption des Kündigungsschutzes wird in besonderem Maß auch durch das Sperrecht des Betriebsrats deutlich. Eine Kündigung kann vom einzelnen Arbeitnehmer nicht angefochten werden, wenn der Betriebsrat einer selbst sozialwidrigen Kündigung ausdrücklich zugestimmt hat.

Aus diesen Überlegungen folgt, dass das Anfechtungsrecht der Belegschaft wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung von der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu unterscheiden ist.

2.4 Im gegebenen Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass außerhalb des gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsschutzes ‑ bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit ‑ ein grundsätzlich freies Kündigungsrecht besteht. Eine Kündigung des Arbeitgebers ist daher im Allgemeinen nicht rechtswidrig. Abgesehen von gesondert zu beurteilenden Diskriminierungstatbeständen kann der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet sein, ein Arbeitsverhältnis über die Erreichung des Regelpensionsalters hinaus allein aus dem Grund fortzusetzen, dem Arbeitnehmer eine höhere Abfertigung oder höhere Pensionszahlungen zu sichern (vgl Marhold aaO Rz 107).

2.5 Nach den dargestellten Überlegungen stellt die Möglichkeit für den Arbeitnehmer, bei Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht durch den Arbeitgeber iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG die Kündigungserklärung durch Rechtsgestaltungsurteil beseitigen zu lassen, einen angemessenen Interessenausgleich dar. Eine Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist demnach nicht mit einer Rechtswidrigkeit iSd § 1295 ABGB gleichzusetzen.

2.6 Auch wenn der Anfechtungsklage der Klägerin im Vorverfahren wegen Beeinträchtigung wesentlicher Interessen nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG stattgegeben wurde, weil „ sich bei einer Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum 31. 1. 2010 die Einkommenseinbuße von rund 30 % auf (zumutbare) rund 20 % reduziert hätte “ und der Kündigung keine maßgeblichen betrieblichen Erfordernisse der Beklagten entgegengestanden seien, kann sie den Pensionsschaden, der sich daraus ergibt, dass sie trotz der (später erfolgreichen) Anfechtung der Kündigung einen Pensionsantrag gestellt und die Alterspension bereits zum 1. 2. 2009 angetreten ist, nicht unter Berufung auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend machen.

3. Zu den von der Klägerin unter Hinweis auf die einschlägigen unionsrechtlichen Grundlagen ins Treffen geführten Diskriminierungstatbeständen ist vorweg darauf hinzuweisen, dass aus dem Umstand, dass eine Maßnahme eine unmittelbare oder mittelbare Ungleichbehandlung darstellt, nicht automatisch folgt, dass es sich dabei auch um eine verbotene Diskriminierung handelt. Vielmehr stellt nur eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung eine Diskriminierung dar. Im Hinblick auf eine mögliche Rechtfertigung der zu beurteilenden Maßnahme ist zu prüfen, ob eine Rechtfertigung überhaupt in Betracht kommt, bejahendenfalls ob ein Rechtfertigungsgrund (ein legitimes Schutzziel) besteht, und ob die Maßnahme verhältnismäßig ist, also ein geeignetes und erforderliches Mittel darstellt, um das Schutzziel zu erreichen. Die zu beurteilende Maßnahme darf demnach nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das legitime Ziel zu erreichen.

Im gegebenen Zusammenhang ist zu beachten, dass das Unionsrecht für die unmittelbare Diskriminierung ausschließlich spezifische Einreden vorsieht, während eine allgemeine Einrede (aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses) nur im Zusammenhang mit einer mittelbaren Diskriminierung zulässig ist. Nach Maßgabe der Antidiskriminierungsrichtlinien ist eine unmittelbare Ungleichbehandlung somit nur dann zu rechtfertigen, wenn mit ihr bestimmte Zielsetzungen verfolgt werden, die in der jeweiligen Richtlinie ausdrücklich festgelegt sind.

4.1 In der Entscheidung C‑356/09, Kleist , gelangte der EuGH zum Ergebnis, dass eine Möglichkeit des Arbeitgebers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Altersgrenze, mit der ein Anspruch auf Altersrente besteht, eine unmittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht. Nach der zugrunde liegenden Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) ist gegen eine unmittelbare Ungleichbehandlung nur die Einrede der wesentlichen beruflichen Anforderung zulässig (Art 14 Abs 2; vgl Schrammel/Winkler , Europäisches Arbeits- und Sozialrecht 133). Daraus folgt, dass eine Kündigung wegen Erreichen des gesetzlichen (Regel-)Pensionsalters geschlechterspezifisch diskriminierend ist, wenn für Männer und Frauen ein unterschiedliches (Regel-)Pensionsalter besteht.

4.2 Nach den Feststellungen wurde die Klägerin gekündigt, weil nach der Vorgabe des Aufsichtsrats ein Arbeitsplatz eingespart werden sollte und sie als Einzige vor Erreichen des Regelpensionsalters gestanden ist. Dazu hat das Erstgericht in der Beweiswürdigung festgehalten, dass es nicht generell Vorgabe bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten gewesen sei, Mitarbeiter mit Erreichen des Regelpensionsalters automatisch und ohne weiteren Anlass zu kündigen. Zusätzlich wurde festgestellt, dass aufgrund der zurückgegangenen Auftragslage noch im Jahr 2009 in der (früheren) Abteilung der Klägerin fünf weitere Mitarbeiter unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Geschlechts gekündigt wurden.

Die Klägerin hat sich im gegebenen Zusammenhang auf die generelle Vorgabe beim Mutterunternehmen der Beklagten und bei der Beklagten selbst berufen, Frauen zum 60. und Männer zum 62,5. Geburtstag zu kündigen. In der Berufung hat sie dazu auf § 16 Z 4 lit a des Mutter‑Kollektivvertrags Bezug genommen. Diese Bestimmung lautet: „ Die Bestimmungen der Z 2 und des § 12 Z 2 sind auf Unternehmenskündigungen nicht anzuwenden, wenn der Kündigungstermin nach Vollendung des 60. Lebensjahres des Dienstnehmers liegt und dieser unmittelbar anschließend einen Anspruch auf Alterspension bzw vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§§ 253 und 253b ASVG in der jeweiligen Fassung) geltend machen kann.

4.3 Die Fragen, ob der erwähnte Kollektivvertrag auf die Klägerin anwendbar ist und ob bei der Beklagten die von der Klägerin behauptete Kündigungsautomatik besteht, müssen im Anlassfall mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes nicht abschließend geklärt werden.

Bei einer Verletzung des Diskriminierungsverbots nach der in Rede stehenden Richtlinie 2006/54/EG müssen die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung zugefügte Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen und angemessen ersetzt wird. Ein Wiedereinstellungsanspruch muss nicht zwingend gewährt werden ( Schrammel aaO 133).

Diese Vorgaben wurden in Österreich mit dem Gleichbehandlungsgesetz (hier in der Fassung BGBl I 2008/98) umgesetzt. § 12 Abs 7 GlBG räumt dem betroffenen Arbeitnehmer ein Wahlrecht ein. Er kann die diskriminierende Kündigung bzw Entlassung entweder gerichtlich anfechten oder aber den Schaden (Vermögensschaden und immateriellen Schaden) aus der diskriminierenden Beendigung geltend machen. Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich bei der mit einer erfolgreichen Anfechtung verbundenen Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses um die Herstellung des diskriminierungsfreien Zustands im Sinn einer Naturalrestitution gemäß § 1323 ABGB. Hopf/Mayr/Eichinger (GlBG § 12 Rz 92) weisen darauf hin, dass ‑ entgegen den Vorgaben der Richtlinie ‑ neben der Herstellung des diskriminierungsfreien Zustands keine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung vorgesehen ist.

4.4 Diese Frage und jene nach den daraus resultierenden unionsrechtlichen Konsequenzen müssen hier aber nicht weiter vertieft werden. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche scheitern im gegebenen Zusammenhang nämlich schon an der Nichteinhaltung der Klagefrist nach § 15 Abs 1a GlBG.

Nach dieser Bestimmung müssen Schadenersatzansprüche nach § 12 Abs 7 letzter Satz GlBG binnen sechs Monaten ab Zugang der Kündigung bzw Entlassung gerichtlich geltend gemacht werden ( Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 98 und § 15 Rz 5).

Wie schon erwähnt hat die Klägerin im Vorverfahren die Kündigung zum 31. 1. 2009 angefochten. In der Anfechtungsklage hat sie dazu vorgebracht, dass es bei der Beklagten eine (interne) Richtlinie gebe, derzufolge alle Mitarbeiter mit dem 60. Lebensjahr gekündigt würden. Auf eine geschlechterspezifisch diskriminierende Kündigung im Zusammenhang mit dem Erreichen eines unterschiedlichen Pensionsalters hat sie nicht Bezug genommen. Diese Frage war auch im weiteren Anfechtungsverfahren kein Thema. Dementsprechend hat das Berufungsgericht im Anfechtungsverfahren ausdrücklich festgehalten, dass die Frage der Diskriminierung im Verfahren nicht relevant gewesen sei.

Mangels Anfechtung der fraglichen Kündigung nach dem Gleichbehandlungsgesetz wäre der Klägerin selbst nach der Bestimmung des § 12 Abs 7 leg cit (trotz normierten Wahlrechts) die Geltendmachung des darin vorgesehenen Schadenersatzanspruchs offen gestanden. Die Klägerin hätte aber die Frist nach § 15 Abs 1a leg cit wahren müssen.

5.1 Im vorliegenden Verfahren beruft sich die Klägerin ausdrücklich nicht auf einen Schadenersatzanspruch nach § 12 Abs 7 letzter Satz GlBG. Vielmehr vertritt sie die Ansicht, dass eine diskriminierende Kündigung jedenfalls auch rechtswidrig sei und bei einem schuldhaften Verhalten des Arbeitgebers die Ansprüche unabhängig von den in den §§ 15 bzw 29 GlBG genannten Fristen geltend gemacht werden könnten.

5.2 Mit dieser Ansicht ist die Klägerin nicht im Recht.

Nach Lehre und Rechtsprechung geht ein zeitlich späteres Spezialgesetz einer grundsätzlichen Regelung vor. Ist die spätere Regel zugleich lex generalis, so hebt im Zweifel das spätere Gesetz auch das frühere speziellere Gesetz eines bestimmten Rechtsgebiets dann auf, wenn das spätere Gesetz selbst eine „Kodifikation“ darstellt (RIS‑Justiz RS0008900; 2 Ob 92/11k; 7 Ob 224/11h).

Mit dem Gleichbehandlungsgesetz wurden die Diskriminierungsverbote, die sich aus den einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben ergeben, umgesetzt. Um die Gleichbehandlung der vom jeweiligen Schutzbereich umfassten Personen und Personengruppen vor allem in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen, müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um alle Formen der Diskriminierung aufgrund der jeweiligen Schutzgründe (hier Geschlecht) zu bekämpfen und den Grundsatz der Gleichbehandlung zu verwirklichen. Die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes sind dementsprechend speziell dafür normiert worden, um einen angemessenen Rechtsschutz der Betroffenen wegen verbotener Diskriminierung zu schaffen. Dabei handelt es sich um jene Sanktionen, die zur Herstellung des unionsrechtlichen Schutzniveaus vorgesehen sind.

5.3 Nach diesen Überlegungen stehen die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes zu den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften im Derogationsverhältnis (vgl 2 Ob 92/11k). Beim Gleichbehandlungsgesetz handelt es sich nicht nur um die spätere Regelung, sondern zugleich auch um die lex specialis. Außerdem sind die schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes auch als abschließende Regelungen zum Ausgleich von Beeinträchtigungen aufgrund von Diskriminierungen im Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgesetzes zu sehen.

Bei den schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes handelt es sich somit um die späteren Spezialbestimmungen im Verhältnis zu den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Dies gilt auch für § 15 GlBG (Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen), der als lex specialis die allgemeinen Verjährungsvorschriften des ABGB verdrängt.

Da es sich bei den schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes somit um spezielle und abschließende Regelungen zur Sanktionierung der von der Klägerin behaupteten Verstöße gegen das Verbot der Diskriminierung (hier) aus Gründen des Geschlechts handelt, kann sie nicht auf die allgemeinen Bestimmungen der §§ 1295 ff ABGB zurückgreifen.

5.4 Angemerkt wird, dass im österreichischen Arbeitsrecht auch zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen (unter anderem) wegen unberechtigter Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine sechsmonatige Frist besteht (§ 34 AngG bzw § 1162d ABGB; vgl Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 34 Rz 1). Diese Verfallsfrist gilt auch bei Auflösung besonders bestandgeschützter Arbeitsverhältnisse, wenn der Arbeitnehmer von seinem Wahlrecht Gebrauch macht und die an sich unwirksame Auflösungserklärung gegen sich gelten lässt (vgl RIS‑Justiz RS0028839; RS0101989).

6.1 Zu der von der Klägerin geltend gemachten Altersdiskriminierung ist darauf hinzuweisen, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters unter bestimmten Umständen zulässig sein kann und daher einer Rechtfertigung zugänglich ist (Art 6 der RL 2000/78/EG ). Nach der Rechtsprechung des EuGH stellen Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung dar, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (C‑141/11 Rn 21 und 30; C‑286/12 Rn 55 und 60). In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof regelmäßig auf den weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten und gegebenenfalls der Sozialpartner hin (C‑141/11 Rn 32; siehe auch 8 ObA 20/12t mwN). Zudem hat der Gerichtshof wiederholt bekräftigt, dass sich aus Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG nicht ableiten lasse, dass eine nationale Regelung, die das angestrebte Ziel nicht genau angebe, automatisch von einer Rechtfertigung nach dieser Bestimmung ausgeschlossen sei. Fehle es an einer solchen Angabe, sei aber wichtig, dass andere ‑ aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete ‑ Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichten (C‑411/05 Rn 56; C‑141/11 Rn 24; C‑286/12 Rn 58; siehe auch die von der Klägerin zitierte Entscheidung C‑388/07 Rn 45). Der Gerichtshof hat auch darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten die Beweislast dafür trifft, dass das zur Rechtfertigung angeführte Ziel rechtmäßig ist (C‑159/10 Rn 77). Damit bringt der EuGH zum Ausdruck, dass er nicht von Amts wegen auf theoretisch in Betracht kommende Rechtfertigungsgründe Bedacht nimmt. Dies heißt aber nicht, dass das nationale Vorlagegericht nicht berechtigt wäre, von sich aus Rechtfertigungsgründe an den EuGH heranzutragen, soweit das vom jeweiligen Mitgliedstaat in Anspruch genommene Schutzziel aus dem Kontext der getroffenen Maßnahme abgeleitet werden kann (vgl 8 ObA 20/12t).

6.2 Aus der Judikatur des EuGH zur Altersdiskriminierung lässt sich ableiten, dass der Gerichtshof eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beendigungsmöglichkeit des Arbeitgebers jedenfalls bei Erreichen des Regelpensionsalters für zulässig erachtet, wenn der betroffene Arbeitnehmer Anspruch auf eine der Höhe nach angemessene Altersrente hat, sofern dieser Maßnahme ein taugliches Schutzziel im Sinn der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zugrunde liegt (C‑411/05; C‑45/09; C‑141/11).

6.3 Die Frage, ob sich die Klägerin auf eine Diskriminierung aus Gründen des Alters berufen könnte, muss allerdings ebenfalls nicht abschließend beantwortet werden. Für die Ansprüche, die aus einer Verletzung des Verbots der Altersdiskriminierung resultieren würden, gelten nämlich idente Bestimmungen wie für die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts. § 26 Abs 7 stellt das Pendant zu § 12 Abs 7 dar; § 29 Abs 1a GlBG entspricht der Regelung des § 15 Abs 1a leg cit ( Hopf/Mayr/Eichinger , GlBG § 26 Rz 43 und § 29 Rz 1). Dementsprechend gilt die voranstehende Beurteilung zur Derogation der allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ABGB auch für eine Altersdiskriminierung.

7.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Die rechtliche Konsequenz eines Verstoßes gegen die soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers besteht aufgrund der besonderen gesetzlichen Anordnungen in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG in der Anfechtbarkeit der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit. Das Anfechtungsrecht der Belegschaft wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung ist von der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu unterscheiden. Eine Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG kann nicht mit einer Rechtswidrigkeit iSd § 1295 ABGB gleichgesetzt werden. Den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts wird durch die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes derogiert. Dies gilt auch für für die Klagefristen nach §§ 15 und 29 GlBG, die die allgemeinen Verjährungsvorschriften des ABGB verdrängen.

7.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen das Feststellungsbegehren der Klägerin zu Recht abgewiesen.

Der von der Klägerin vermissten Feststellung, wonach sie die Beklagte auf eine geringere Pensionshöhe anlässlich der Kündigung hingewiesen habe, kommt keine Relevanz zu. Mit der begehrten Feststellung zur behaupteten Kündigungsautomatik bei der Beklagten wird in Wirklichkeit kein sekundärer Feststellungsmangel geltend gemacht, sondern die Beweiswürdigung der Vorinstanzen in unzulässiger Weise bekämpft.

Der Revision der Klägerin war damit insgesamt der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.

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