OGH 7Ob109/12y

OGH7Ob109/12y28.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. G***** R*****, und 2. E***** R*****, beide vertreten durch Mag. Martin Prett, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei B***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen 8.530,36 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. April 2012, GZ 3 R 65/12x‑19, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Februar 2012, GZ 45 Cg 42/11m‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.308,17 EUR (darin enthalten 218,03 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Kausalitätsgegenbeweis im vorliegenden Fall gelungen sei, als Abgehen von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs verstanden werden könnte, wonach eine Beweisführung mit Hilfe eigener Angaben ausscheide, wenn der Versicherungsnehmer (berechtigter Lenker) eigene Feststellungen des Versicherers unmöglich gemacht habe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu den im Wesentlichen gleich ausgestalteten Aufklärungsobliegenheiten (hier Art 12.3. AKB 2007 und Art 9.3. AKHB 2004) gibt es eine ständige oberstgerichtliche Judikatur. Danach verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht dann, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle nicht meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 StVO verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung durch objektives „Unbenützbarwerden“ (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassen der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels muss der Versicherer behaupten und beweisen (7 Ob 97/09d; RIS‑Justiz RS0043520). Vom Versicherungsnehmer ist in Entsprechung der Allgemeinen Bedingungen und § 4 Abs 5 StVO zu verlangen, nach einem Unfall in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Polizeianzeige zu erstatten (RIS‑Justiz RS0074495). Die Höhe des Schadens selbst ist ohne Bedeutung. Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv werden muss (RIS‑Justiz RS0080477). Dieses Bewusstsein ist mangels besonderer Entschuldungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, in der Regel bis zum Beweis des Gegenteils vorauszusetzen (7 Ob 299/04b, 7 Ob 44/03a, 7 Ob 79/02x je mwN). Der Versicherer muss die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer beweisen. Der Versicherungsnehmer muss beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313). Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 1 VersVG auch bei (schlicht) vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen (RIS‑Justiz RS0086335). Darunter ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979). Der Kausalitätsgegenbeweis ist nur ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit mit Schädigungs‑ oder Täuschungsvorsatz verletzt, also mit dem Vorsatz handelt, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (RIS‑Justiz RS0109766). Der Versicherungsnehmer muss nachweisen, dass es ihm bei der Obliegenheitsverletzung am Täuschungsvorsatz mangelt (RIS‑Justiz RS0081253). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen. Ein wirksamer Gegenbeweis setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrundeliegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Obliegenheitsverletzung zerstört oder eingeschränkt hat (RIS‑Justiz RS0081225).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass zwar eine Übertretung des § 4 Abs 5 StVO durch die Zweitklägerin (Lenkerin des PKW des Erstklägers, für den die Beklagte sowohl Haftpflicht‑ als auch Kaskoversicherer ist) feststeht, es der Beklagten aber nicht gelungen sei, eine konkrete Verdachtslage in bestimmter Richtung zu beweisen, hält sich im Rahmen der Judikatur und ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Aufgrund der Schadensbilder der beteiligten Fahrzeuge konnte das Fahrverhalten der Zweitklägerin objektiviert werden. Die Schäden entsprechen nicht jenen, die durch ein Fahrverhalten aufgrund überhöhten Alkoholkonsums zu erwarten wären. Die Klägerin hielt eine Geschwindigkeit von nur 15 km/h ein und die Schäden an den Fahrzeugen können nur mit einem abrupten Ausweichmanöver (wie vor einem plötzlich auftauchenden Reh) in Einklang gebracht werden.

Die weitere Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Erstkläger eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nicht schon deshalb vorzuwerfen sei, weil er bei der Schadensmeldung die Frage, ob ein „Behördenprotokoll“ aufgenommen worden sei, verneinte, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Es hat zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Befragung durch einen Polizisten stattgefunden, ohne dass ein Protokoll (eine schriftliche Zusammenfassung der Aussagen) aufgenommen wurde.

Der Beklagten ist es zwar gelungen, eine Verletzung der Obliegenheit, die Einleitung eines mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen, zu beweisen. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass aber den Klägern der Kausalitätsgegenbeweis gelungen ist, weil der Unfallhergang objektiv nachvollziehbar ist, hält sich ebenfalls im Rahmen der Judikatur. Die Beklagte hat dadurch, dass sie nicht darüber informiert wurde, dass gegen die Zweitklägerin ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Fahrerflucht eingeleitet worden ist, nichts versäumt, was ihr weitere Erkenntnisse zur Aufklärung des Schadensereignisses im konkreten Einzelfall bringen hätte können.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Soweit die Ausführungen in der Revision als Rüge im Kostenpunkt aufzufassen sind, ist sie unzulässig. Hinsichtlich aller mit Kostenansprüchen zusammenhängenden Fragen entscheidet das Gericht zweiter Instanz endgültig. Es besteht ein absoluter Rechtsmittelausschluss (RIS‑Justiz RS0044233).

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