OGH 13Os123/12f

OGH13Os123/12f22.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jasmin F***** wegen Vergehen der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs 1 StGB, AZ 36 Hv 160/11y des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 10. Jänner 2012 (ON 49) und andere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 36 Hv 160/11y des Landesgerichts Innsbruck verletzen

(1) der Beschluss vom 10. Jänner 2012 (ON 49 S 3) § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB,

(2) das Unterlassen der unverzüglichen Anordnung des Vollzugs der Freiheitsstrafe § 397 erster Satz StPO iVm § 3 Abs 1 StVG und

(3) der Beschluss vom 3. Februar 2012 (ON 54), soweit darin die bedingte Entlassung der Jasmin F***** aus einem das Urteil und den Beschluss vom 10. Jänner 2012 (ON 49) betreffenden Strafrest ausgesprochen wurde, § 265 StPO iVm § 46 Abs 1 und Abs 3 StGB.

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Jänner 2012 (ON 49 S 3) und Punkt 2 des Beschlusses dieses Gerichts vom 3. Februar 2012 (ON 54 S 1) werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 6. März 2009, GZ 23 Hv 189/07m-104, gewährten bedingten Strafnachsicht und der mit unter einem gefassten Beschluss dieses Gerichts gewährten bedingten Entlassung wird gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen.

Text

Gründe:

Mit (seit 10. März 2009 rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 6. März 2009, GZ 23 Hv 189/07m-104, wurde Jasmin F***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 JGG nach dem zweiten Strafsatz des § 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, von der das Gericht gemäß § 43a Abs 3 StGB einen achtmonatigen Strafteil unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Mit zugleich gefasstem Beschluss sprach das Landesgericht Innsbruck gemäß § 265 StPO - ebenfalls unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit - die bedingte Entlassung aus dem im Urteilszeitpunkt noch nicht (durch Anrechnung der Vorhaft) verbüßten (unbedingten) Strafteil von einem Monat, zwanzig Tagen und einer Stunde aus (ON 48, nicht journalisierte Kopie des genannten Urteils).

Mit gekürzt ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO) Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 10. Jänner 2012 (ON 49) wurde Jasmin F***** nach § 149 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Dabei unterblieb - entgegen § 38 Abs 1 Z 2 StGB - die Anrechnung der im Verfahren AZ 27 HR 323/11h des Landesgerichts Feldkirch seit 13. Dezember 2011 erlittenen Vorhaftzeiten (ON 44 S 3 und S 7).

Unter einem fasste das Landesgericht Innsbruck den Beschluss, vom Widerruf der mit Urteil dieses Gerichts vom 6. März 2009, GZ 23 Hv 189/07m-104, gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, die mit dem gemeinsam mit diesem Urteil ergangenen Beschluss gewährte bedingte Entlassung jedoch zu widerrufen (ON 49 S 3).

Das Urteil und der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Jänner 2012 erwuchsen sogleich in Rechtskraft (ON 49 S 4), wurden aber nicht (durch eine entsprechende Strafvollzugsanordnung) in Vollzug gesetzt.

Mit - unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem - Beschluss vom 3. Februar 2012 (ON 54) rechnete das Landesgericht Innsbruck „gem § 400 StPO“ die in der Zeit vom 13. Dezember 2011, 17:00 Uhr, bis zum 23. Jänner 2012, 17:00 Uhr, im Verfahren AZ 27 HR 323/11h (= 20 Hv 43/12b) des Landesgerichts Feldkirch erlittene Verwahrungs- und Untersuchungshaft auf die mit Urteil vom 10. Jänner 2012 (ON 49) verhängte Freiheitsstrafe an (1) und sprach aus, dass der nach dieser Anrechnung aus dem genannten Urteil und dem gleichzeitig mit diesem gefassten Widerrufsbeschluss verbleibende Strafrest von einem Monat und zehn Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren „bedingt nachgesehen“ werde (2).

Die vom Punkt 1 des Beschlusses vom 3. Februar 2012 (ON 54) umfasste Vorhaftzeit wurde sodann auch auf die mit am 23. Juli 2012 zu AZ 20 Hv 43/12b des Landesgerichts Feldkirch ergangenem (seit 24. Juli 2012 rechtskräftigem) Urteil ausgesprochene (zweijährige) Freiheitsstrafe angerechnet (Beilagen zur Nichtigkeitsbeschwerde).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, wurde das Gesetz durch die beschriebenen Vorgänge mehrfach verletzt:

(1) Nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB können die bedingte Nachsicht des Teiles einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Der im Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Jänner 2012 (ON 49 S 3) ausgesprochene Widerruf der bedingten Entlassung aus dem mit Urteil desselben Gerichts vom 6. März 2009, GZ 23 Hv 189/07m-104, gemäß § 43a Abs 3 StGB unbedingt verhängten viermonatigen Strafteil bei gleichzeitigem Absehen vom Widerruf des mit dieser Entscheidung bedingt nachgesehenen achtmonatigen Strafteils ist daher unzulässig (RIS-Justiz RS0125448).

(2) Gemäß § 397 erster Satz StPO ist jedes Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht, dass der Vollstreckung kein gesetzliches Hindernis und insbesondere kein rechtzeitig von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel entgegensteht, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimisst.

Urteile, mit denen eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, sind dadurch zu vollziehen, dass der Strafvollzug anzuordnen und die nach § 9 StVG zu dessen Einleitung oder Durchführung zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen ist (§ 3 Abs 1 erster Satz StVG).

Da das Landesgericht Innsbruck hinsichtlich der mit - sogleich in Rechtskraft erwachsenem (ON 49 S 4) - Urteil vom 10. Jänner 2012 ausgesprochenen (ON 49 S 2) und der mit dem unter einem gefassten Widerrufsbeschluss aktualisierten (ON 49 S 3; siehe dazu aber (3) des Erkenntnisses) Freiheitsstrafe keine Strafvollzugsanordnung erließ, verletzte es somit § 397 erster Satz StPO iVm § 3 Abs 1 StVG.

(3) Durch die Aufhebung des Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem zu AZ 23 Hv 189/07 des Landesgerichts Innsbruck ausgesprochenen unbedingten Strafteil (1) ist auch die (von diesem Widerruf rechtslogisch abhängige) bedingte (gemeint) Entlassung aus eben diesem Strafteil (Punkt 2 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Februar 2012 [ON 54]) beseitigt (RIS-Justiz RS0100444).

Die mit Punkt 2 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Februar 2012 (ON 54) darüber hinaus ausgesprochene bedingte (gemeint) Entlassung aus der mit Urteil desselben Gerichts vom 10. Jänner 2012 (ON 49) ausgesprochenen Freiheitsstrafe kam schon begrifflich nicht mehr in Betracht, weil diese Sanktion (ein Monat Freiheitsstrafe) bereits durch die Haftanrechnung (Punkt 1 des Beschlusses vom 3. Februar 2012 [ON 54]) verbüßt war (RIS-Justiz RS0126180; Jerabek in WK² § 46 Rz 10d).

Diesbezüglich sei ergänzt, dass die Anrechnung (auch) der nach Rechtskraft des Urteils vom 10. Jänner 2012 (ON 49) erlittenen Untersuchungshaft verfehlt war, weil die insoweit maßgebende Norm des § 400 StPO die Anrechnung der sogenannten Zwischenhaft, also der zwischen erstinstanzlicher Urteilsfällung und Rechtskraft gelegenen Verwahrungs- oder Untersuchungshaftzeiten regelt (Lässig, WK-StPO § 400 Rz 1, 3).

Ein Nachteil entstand der Verurteilten dadurch auch in Bezug auf die einen Monat übersteigende Untersuchungshaftzeit nicht, weil das Landesgericht Feldkirch zu AZ 20 Hv 43/12b - unter Missachtung des § 38 Abs 1 StGB - die vom Punkt 1 des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Februar 2012 (ON 54) umfasste Haftzeit (erneut zur Gänze) auf die im bezeichneten Verfahren verhängte (unbedingte) Freiheitsstrafe anrechnete.

(4) Da der mit Beschluss vom 10. Jänner 2012 ausgesprochene Widerruf der bedingten Entlassung (ON 49 S 3) und die mit Beschluss vom 3. Februar 2012 ausgesprochene bedingte Strafnachsicht (ON 54 S 1) - zufolge Bestimmung einer dreijährigen Probezeit - zum Nachteil der Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof insoweit veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen (in Bezug auf den Beschluss vom 3. Februar 2012 - wie zu (3) des Erkenntnisses dargelegt - teilweise zur Klarstellung) mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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