OGH 5Ob183/12s

OGH5Ob183/12s20.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G* W*, vertreten durch Mag. Margit Sagel, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner G* S*, vertreten durch Dr. Leopold Grohmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 16 Abs 2 WEG iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Juni 2012, GZ 39 R 10/12b‑10, womit über Rekurs der Antragstellerin der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 31. Oktober 2011, GZ 28 Msch 5/11g‑6, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:E102741

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Der Antragsgegner ist schuldig, die von der Antragstellerin bereits durchgeführte Veränderung am Haus *, und zwar die Herstellung eines Durchbruchs samt Einbau einer Tür zwischen dem 'Kellerstüberl' und der Garage der Antragstellerin, zu dulden.“

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 949,98 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 70 EUR Barauslagen und 146,66 EUR USt) sowie die mit 692,13 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 19,69 EUR USt und 148 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Antragsgegner ist weiters schuldig, der Antragstellerin die mit 595,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 62,28 EUR USt und 222 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind Mit‑ und Wohnungseigentümer eines Zweifamilienhauses in *. Während das Wohnungseigentumsobjekt des Antragsgegners im Obergeschoss des Hauses liegt, befindet sich die Wohnung der Antragstellerin im Erdgeschoss. Mit dem Wohnungseigentum an der Erdgeschosswohnung ist das Zubehörwohnungseigentum an einer Garage verbunden. Diese Garage ist von außen über eine abschüssige Einfahrt und nach Überwindung eines Kipptors zu erreichen. Eine Verbindung zum Inneren des Hauses bestand ursprünglich nicht.

Die Antragstellerin ließ mit Billigung der Baubehörde, allerdings ohne dass der Antragsgegner am Bauverfahren beteiligt gewesen wäre, eine Verbindungstür von einem im Keller gelegenen Raum, dem sogenannten „Kellerstüberl“, zu ihrer Garage herstellen. Die Verbindungstüre ist 90 cm breit und als Brandschutztür ausgeführt. Die Ausführung stellt keine Gefährdung des Hauses oder des Antragsgegners dar. Die Behauptung, dass dadurch eine Kaminführung beeinträchtigt werde, hat sich im Verfahren nicht erwiesen. Die Antragstellerin verwendet die Garage derzeit als Abstellraum, das Wohnobjekt ist vermietet.

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Antragstellerin, den Antragsgegner zur Zustimmung zur Errichtung dieser Verbindungstür zu verpflichten. Sie behauptet eine Verkehrsüblichkeit dieser Maßnahme nach allgemeiner Lebenserfahrung, weil vergleichbare Zweifamilienhäuser üblicherweise einen Zugang zur Garage vom Inneren des Hauses aus hätten. Ihr wichtiges Interesse begründete die Antragstellerin mit der relativ schwierigen Erreichbarkeit der Garage von außen über den abschüssigen und im Winter vereisten Zufahrtsweg und die erheblich verbesserte Erreichbarkeit vom Inneren des Hauses.

Der Antragsgegner wendete sich gegen die bereits durchgeführte Veränderung mit dem Argument, beim sogenannten „Kellerstüberl“ handle es sich nicht um einen Wohn‑, sondern um einen Kellerraum. Die Herstellung einer Verbindungstüre zwischen der Garage der Antragstellerin und den allgemeinen Kellerräumlichkeiten lasse eine übermäßige Belastung durch Lärm und Autoabgase erwarten, was als empfindliche Interessensbeeinträchtigung des Antragsgegners zu qualifizieren sei. Überdies sei bereits durch allgemeine Bauvorschriften die Herstellung einer solchen Verbindungstür untersagt. Wichtige Interessen der Antragsgegnerin seien nicht gegeben, weil das verfahrensgegenständliche Objekt weder von ihr noch ihrer Familie genutzt werde, sondern vermietet sei. Der Mauerdurchbruch sei schon deshalb nicht zulässig, weil er eine tragende Kaminmauer betreffe. Auch sei der Durchbruch nicht ordnungsgemäß hergestellt.

Beide Vorinstanzen wiesen das Änderungsbegehren ab. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, es müsse geradezu unzumutbar sein, die Garage im Winter von außen zu betreten, was bei ordnungsgemäßer Reinigung von Schnee und Eis nicht anzunehmen sei. Dass die Zufahrt zur Garage abschüssig sei, hänge mit der Bauweise zusammen. Die Herstellung eines Durchgangs von Kellerräumlichkeiten zu einer Garage sei auch keineswegs verkehrsüblich. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen begründeten kein wichtiges Interesse der Antragstellerin.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Stattgebung ihres Rechtsmittels im Sinne einer Bewilligung ihres Antrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die vom Antragsgegner entgegen § 68 Abs 4 Z 2 AußStrG im Wege des ERV beim Erstgericht eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung langte beim Obersten Gerichtshof erst am 7. 11. 2012 und somit nach Fristablauf (§ 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG) ein (vgl RIS‑Justiz RS0060177; RS0041584; RS0041653 [T5]; 6 Ob 39/06p SZ 2006/35).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig und im Sinne der Stattgebung des verfahrenseinleitenden Antrags auch berechtigt.

Unbeschadet der Frage der Verkehrsüblichkeit der konkreten Maßnahme ‑ hier der nachträglichen Errichtung einer Verbindungstür zwischen Garage und dem Hausinneren, wofür ein Antragsteller konkrete Tatsachen darzulegen hat, wenn sie sich nicht schon aus einer ganz allgemeinen generalisierenden Betrachtung ergibt (5 Ob 167/10k; 5 Ob 70/11x Zak 2011/478, 256) ‑ ist entgegen der nicht zu billigenden Ansicht der Vorinstanzen ein wichtiges Interesse der Antragstellerin zu bejahen:

Diesen Begriff hat der erkennende Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung besonders unter dem Gesichtspunkt beurteilt, ob die fragliche Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer die dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (5 Ob 97/09i wobl 2010/16, 42 [Vonkilch] = wobl 2010/28 [Cerha]; zuletzt 5 Ob 70/11x Zak 2011/478, 256). Dass die Benützbarkeit des Wohnungseigentumsobjekts ohne die angestrebte Änderung nahezu unmöglich wäre, um ein wichtiges Interesse daran zu begründen, ist hingegen entgegen der Ansicht des Rekursgerichts keine notwendige Voraussetzung der Genehmigungsfähigkeit.

Der vorliegende Sachverhalt ist nicht mit jenen Fällen vergleichbar, in denen der Durchbruch von Mauern der Einbeziehung von allgemeinen Teilen der Liegenschaft in das Wohnungseigentumsobjekt dient (wie Dachterrassen, allgemeiner Hausgang etc), was in der Regel vom erkennenden Senat abgelehnt wurde (vgl etwa RIS‑Justiz RS0083345), oder jenen Fällen, in denen es bloß um eine Steigerung des Wohn‑ oder Verkehrswerts eines Objekts ging (RIS‑Justiz RS0083341). Hier sind jedoch nicht reine Zweckmäßigkeitserwägungen maßgeblich. Durch die beabsichtigte Maßnahme wird vielmehr eine heute in Ein‑ und Zweifamilienhäusern entsprechende, übliche Nutzung des Zubehörobjekts ermöglicht. Die Erreichbarkeit einer Garage durch das Hausinnere bietet eine erhebliche Erleichterung ihrer Verwendung bei Schlechtwetter, Transport von Kindern, Handhabung von Einkäufen etc und entspricht insofern dem heutigen Wohnstandard eines Ein- oder Zweifamilienhauses.

Darauf, wie ein Wohnungseigentümer ein Objekt derzeit benützt oder ob es vermietet ist, kommt es nicht entscheidend an, weil in der Beurteilung heutigen Wohnstandards eine generalisierende, objektive Betrachtungsweise geboten ist.

Wie der Revisionsrekurs zutreffend aufzeigt, ist nach der Rechtsprechung eine Verhältnismäßigkeit der Wichtigkeit des Interesses des Änderungswilligen zum Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Teile, der Liegenschaft als weiteres Kriterium heranzuziehen. Je geringer die Inanspruchnahme allgemeiner Teile, umso geringere Anforderungen sind an die Wichtigkeit des Interesses zu stellen (vgl dazu Vonkilch in Hausmann/Vonkilch,Österreichisches Wohnrecht § 16 WEG Rz 49a; kritisch T. Hausmann in wobl 2010, 44 zu 5 Ob 185/09f wobl 2010/17; RIS‑Justiz RS0126244). Ein 90 cm breiter Durchbruch einer Kellerwand, die keine andere Funktion hat, als den Keller vom Zubehörobjekt der Antragstellerin zu trennen, stellt sich als eine derart geringe Inanspruchnahme des allgemeinen Teils Kellerwand dar, dass an die Wichtigkeit des Interesses der Antragstellerin keine zu hohen Ansprüche gestellt werden dürfen.

Dass das Rekursgericht bei dieser Sach‑ und Rechtslage die von der Antragstellerin angestrebten Änderungen nicht genehmigte, stellt im Ergebnis eine Überschreitung des ihm dabei eingeräumten Ermessensspielraums dar und steht auch mit der jüngeren Rechtsprechung zur Definition des wichtigen Interesses eines Wohnungseigentümers an einer beabsichtigten Änderung nicht im Einklang.

Feststellungen, welche die vom Antragsgegner vorgetragenen Verweigerungsgründe stichhaltig erscheinen ließen, liegen in Anbetracht der von der Baubehörde geprüften Umstände nicht vor.

Damit erweist sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin als berechtigt. Ihrem Duldungsbegehren war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Dabei war die Bemessungsgrundlage mit 2.000 EUR zugrundezulegen (§ 10 Abs 3 lit a sublit aa RATG). Die im Verfahren zu entrichtenden Pauschalgebühren betragen für das Verfahren erster Instanz 74 EUR, für das Verfahren zweiter Instanz das Doppelte und für das Verfahren dritter Instanz das Dreifache dieses Betrags. Insofern war der Kostenersatzanspruch der Antragstellerin zu korrigieren.

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