OGH 1Ob199/12i

OGH1Ob199/12i15.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der beim Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht zu AZ 26 Kt 31/09 anhängigen Kartellsache der Antragstellerin M***** GmbH, *****, vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechsanwälte KG in Wien, gegen die Antragsgegnerin Wiener Linien GmbH & Co KG, Wien 3, Erdbergstraße 202, vertreten durch Dr. Norbert Wiesinger, Rechtsanwalt in Wien, und die Amtsparteien 1) Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, 2) Bundeskartellanwalt Dr. Alfred Mair, Wien 1, Schmerlingplatz 11, wegen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach § 26 KartG, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 10. August 2012, GZ 13 Nc 7/12x‑4, mit dem die Ablehnung der vorsitzenden Richterin des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Wien zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

In einem Kartellverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht wurde für den 20. 4. 2012 eine Verhandlung anberaumt. Eineinhalb Stunden vor deren Beginn langte ein 91‑seitiger Ablehnungsschriftsatz der Antragstellerin gegen den im Verfahren bestellten Sachverständigen ein, was die Vorsitzende eingangs der Verhandlung im Protokoll festhielt. Eine Gleichschrift des Schriftsatzes samt den damit vorgelegten Beilagen wurde den Amtsparteien sowie dem Antragsgegnervertreter ausgefolgt. Der Kartellsenat fasste den durch die Vorsitzende verkündeten Beschluss auf Verwerfung der Ablehnung des Sachverständigen. Auf Ersuchen des Antragstellervertreters wurde festgehalten, dass die Vorsitzende den Ablehnungsschriftsatz vor der Verhandlung nicht im Detail gelesen, sondern bloß „überflogen“ hätte. Der Antragstellervertreter beantragte die Beschlussausfertigung.

Nach einer Diskussion zwischen dem Antragstellervertreter und dem Gericht über die Möglichkeit, das Verfahren vor Ausfertigung und Anfechtung des verkündeten Beschlusses fortzusetzen, wurde der Antragstellervertreter darauf hingewiesen, dass einer Fortsetzung der Verhandlung nichts im Wege stünde. Auf Frage der Vorsitzenden legte er mehrere Punkte dar, auf die der schriftliche Ablehnungsantrag gestützt worden sei. Auf weitere Frage der Vorsitzenden stellte er klar, dass mit diesem protokollierten Vorbringen ein neuer Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen gestellt würde. Nach Stellungnahme des Sachverständigen zur Ablehnung verkündete die Vorsitzende den Beschluss, mit dem der Ablehnungsantrag, soweit er mit dem schriftlichen ident sei, zurückgewiesen und im Übrigen verworfen werde.

Daraufhin erklärte der Antragstellervertreter, die Vorsitzende abzulehnen. Diese habe die schriftliche Äußerung des Sachverständigen dem Antragstellervertreter am 5. 4. 2012, einem Gründonnerstag, zugestellt und den Ablehnungs„antrag“ vor der Verkündung des Beschlusses auf Verwerfung nur „überflogen“.

Das Oberlandesgericht Wien wies diesen Ablehnungsantrag unter anderem aus der Erwägung zurück, dass er im Sinn des § 21 Abs 2 JN verspätet gestellt worden sei.

Der Rekurs der Antragstellerin und Ablehnungswerberin ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN), aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Weder das Kartellgesetz 2005 (mit Ausnahme seines [hier nicht einschlägigen] § 72) noch das Außerstreitgesetz enthalten Bestimmungen über die Ablehnung von Richtern. Im kartellgerichtlichen Verfahren sind daher die allgemeinen Regelungen der §§ 19 ff JN anzuwenden (RIS‑Justiz RS0123013).

2. Nach § 21 Abs 2 JN kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Das Ablehnungsrecht ist verzichtbar und verschweigbar (RIS‑Justiz RS0046040 [T1]; RS0045982 [T5]). Ablehnungsgründe sind sofort nach ihrem Bekanntwerden geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0045977 [T2]). Jede Einlassung in die Verhandlung oder Antragstellung nach Bekanntwerden des Befangenheitsgrundes bewirkt den Ausschluss von der Geltendmachung (RIS‑Justiz RS0045982 [T3] = RS0046040 [T4]). Wird ein Befangenheitsgrund in einer mündlichen Verhandlung bekannt, so hat die Partei in dieser sofort den Ablehnungsantrag zu stellen (RIS‑Justiz RS0045982 [T3]).

3. Nach diesen Kriterien ist das Oberlandesgericht Wien zutreffend von einer verspäteten Antragstellung ausgegangen. Die Zustellung der Stellungnahme des Sachverständigen am Gründonnerstag, dem 5. 4. 2012, war der Antragstellerin (bzw ihrem Rechtsvertreter) schon vor Beginn der Verhandlung am 20. 4. 2012 bekannt. Sie hatte ja einen umfangreichen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen eingebracht, in dem sie auf diese Zustellung hingewiesen hatte. Trotz Kenntnis der Tatsache, dass die Vorsitzende den Ablehnungsschriftsatz „überflogen“ hätte, erklärte die Antragstellerin in der Verhandlung neuerlich die Ablehnung des Sachverständigen. Erst nach Entscheidung darüber lehnte sie die Vorsitzende wegen der Zustellung der Stellungnahme des Sachverständigen und des „Überfliegens“ des ersten Ablehnungsantrags ab.

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